Essen. In die Impfkampagne kommt Tempo: Ab Montag wird an der Messe auch vormittags immunisiert. Stadt öffnet das Antragsverfahren für „Härtefälle“.

Vergangenen Mittwoch haben sie erstmal den Vertrag verlängert: Vier weitere Wochen bleibt das Corona-Impfzentrum damit in Messehalle 4, wo sich Schritt für Schritt die Betriebstemperatur erhöht. Ablesbar daran, dass ab kommenden Montag auch eine Vormittags-Schicht antritt, um die Sonderkontingente für bestimmte Berufsgruppen zu spritzen. Zusätzliche Ärzte und das passende Hilfspersonal werden gerade rekrutiert, denn allein in den vier Wochen bis Ende März sollen insgesamt 39.000 weitere Essener geimpft werden.

Und die Kundschaft wird bunter: Zu den Über-80-Jährigen und den Pflegemitarbeitern gesellen sich jetzt auch Kita-Erzieher und Grundschul-Lehrer, Polizisten aus den Einsatzhundertschaften und Menschen aus Behinderten-Werkstätten, Senioren aus Demenz-WGs und Integrationshelfer. Gut möglich, dass da nacheinander ein 87-Jähriger und eine 17-Jährige die Ärmel hochkrempeln.

Nicht (nach)lässig werden, ist seine Devise: Dr. Stefan Steinmetz, der ärztliche Leiter des Essener Impfzentrums, will auch künftig „ganz ganz gerecht sein“, wenn es um die Impf-Reihenfolge geht.
Nicht (nach)lässig werden, ist seine Devise: Dr. Stefan Steinmetz, der ärztliche Leiter des Essener Impfzentrums, will auch künftig „ganz ganz gerecht sein“, wenn es um die Impf-Reihenfolge geht. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Mit der Buntheit des Impf-Klientels wächst offenbar das Misstrauen

Wo so viel Bewegung ist und auch Menschen geimpft werden, denen man die „Verletzlichkeit“ vielleicht nicht auf den ersten Blick ansieht, wächst augenscheinlich auch das Misstrauen, dass es dennoch weiter gerecht zugeht. Warum denn ihre 86-jährige Mutter erst einen Termin am 19. April hat, wo doch kommende Woche schon Kita-Personal in den Genuss der Impfe kommt, wundert sich etwa eine Ärztin aus Bayern.

Andere freuen sich klammheimlich, dass sie als Begleiter dreier betagter Senioren – obwohl selbst erst knapp über 60 – mitgeimpft wurden. Und dann meldet sich noch eine Frau, die einen kennt, der genau weiß, dass im Essener Ordnungsamt Mitarbeiter ohne Kundenkontakt mit einer Woche Voranzeige geimpft wurden, da könne es sich ja wohl „nicht um eine Verimpfung überzähliger Dosen gehandelt haben“.

Nicht „Fünfe gerade sein“ lassen, um die Statistik zu polieren

„Stimmt nicht“, sagt Dr. Stefan Steinmetz, der ärztliche Leiter des Essener Impfzentrums: „Fake News.“ Es gab keinen Termin im Ordnungsamt, die Über-80-Jährigen haben nun mal Termine bis Ende April, und die Knapp-über-60-Jährige schlicht Glück gehabt. Wenn er solche Meldungen dementiert, meint man, sein Augenrollen durchs Telefon zu hören: Warum dieser Neid? Wozu das Misstrauen?

Steinmetz bleibt dabei: „Wir versuchen ganz ganz gerecht zu bleiben.“ Wenn um 19.45 Uhr für eine 85-Jährige ein neues Injektionsfläschchen BioNTech geöffnet wird, aus dem sich mit ruhiger Hand bis zu sieben Spritzen aufziehen lassen – dann schaue man sich halt in der Halle um, „wer alt aussieht“. Und nicht geimpft ist. Man lasse aber sicher nicht aus einem Prinzip der Lässigkeit und um die Statistik zu polieren, „Fünfe gerade sein“: „Keiner kann hier einfach so vorbeikommen, wir sind da ganz konsequent.“

Was tun, wenn man ein „Härtefall“ ist?

Wer aufgrund von Vorerkrankungen im Falle einer Corona-Erkrankung ein „sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf“ befürchtet, kann ab sofort einen Antrag auf eine Einzelfallentscheidung für einen vorzeitigen Impftermin stellen.

Nötig sind für den Antrag begründete (fach-)ärztliche Zeugnisse behandelnder Ärzte, dass das entsprechende Risiko besteht. Diese Zeugnisse müssen n a c h Inkrafttreten der Coronavirus-Impfverordnung vom 8. Februar 2021 ausgestellt sein. Wichtig: Ein einfaches Attest über die Erkrankung ist nicht ausreichend.

Der Antrag geht per Mail an Einzelfallentscheidung@essen.de oder postalisch an das Gesundheitsamt der Stadt Essen, Hindenburgstraße 29, 45127 Essen. Als Antwort gibt es eine Rückmeldung und nach positivem Entscheid eine zeitnahe Vereinbarung für einen Impftermin.

Die Impfung durch niedergelassene Ärzte lässt noch auf sich warten

Das gilt auch für die Absage an die „israelische Lösung“, am Abend eines jeden Tages übriggebliebene Impfdosen an Wartende vor der Tür zu verimpfen, so wie Theater und Philharmonie Restkarten kurz vor Konzertbeginn losschlägt: „Dazu ist der Impfdruck noch zu hoch. Da gäb’s einen Auflauf, den wir nicht mehr beherrschen könnten.“

Natürlich ist ihm als ärztlichem Leiter der Impfkampagne daran gelegen, den Kreis der Impflinge möglichst groß zu fassen. Das eben ist der Spagat: Hüben die großen Gruppen zu impfen, die sich mit minimalem Aufwand herbeizitieren lassen, dort die „Härtefälle“ nicht zu vergessen, die jetzt bei der Stadt Einzelfall-Entscheidungen beantragen können (siehe Infobox). Eine echte Massenwirkung hätte die Möglichkeit, den niedergelassenen Ärzten das Impfen zu übertragen, doch darauf wird man noch eine Weile warten müssen.

Eine Wartezeit, die womöglich den Impfstoff von Johnson & Johnson ins Spiel bringt. Der wird hierzulande vermutlich Mitte März zugelassen und kommt, wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann frohlockt, „äußerst praktisch“ daher: Eine Spritze reicht.