Essen-Rüttenscheid. In Rüttenscheid mussten rund 1300 Menschen ihre Wohnungen verlassen, als eine 250-Kilo-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wurde.
Die älteren Menschen schieben langsam ihren Rollator voran, einige blicken recht skeptisch, als sie sich auf den Bus zubewegen, der sie zu ihrem Übergangsquartier in den Messe-Hallen bringen soll. „Viele sind recht aufgeregt“, sagt Ute Bressler, Leiterin des Seniorenzentrums St. Martin. Die Bewohner des Heimes an der Manfredstraße gehören zu den insgesamt 1287 Rüttenscheidern, die am Montagmorgen, 1. März, ihre Wohnungen verlassen müssen. In unmittelbarer Nähe der Senioreneinrichtung wurde wenige Tage zuvor eine Bombe gefunden, die nun entschärft werden soll. Nachmittags meldet der Kampfmittelräumdienst, dass die Aktion erfolgreich verlaufen ist.
Wegen der Seniorenheime verzögerte sich Beginn der Bombenentschärfung in Essen
Am Freitag war ein Baggerführer bei Bauarbeiten an der Ecke Manfredstraße/Ursulastraße auf eine britische 250-Kilo-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gestoßen. Dass nicht gleich nach dem Fund der Kampfmittelräumdienst anrückte, dafür seien die beiden Seniorenheime in unmittelbarer Umgebung ausschlaggebend, so Feuerwehr-Sprecher Mike Filzen. Einen Steinwurf weit von St. Martin entfernt liegt das Gotthard-Daniels-Haus der Arbeiterwohlfahrt.
Wenn nämlich höherer Aufwand für die Evakuierung im unmittelbaren Umfeld erforderlich sei, könne nach den Vorgaben der Bezirksregierung die Entschärfung auch später beginnen, erklärt der Sprecher. „Mit einer solchen Situation haben wir es in Rüttenscheid zu tun.“ Denn für rund 200 Heimbewohner, viele von ihnen hochbetagt und gesundheitlich beeinträchtigt, wäre ein Transport am späten Freitagabend nicht mehr zumutbar gewesen. Zudem habe man auch den Aufenthaltsort vorbereiten müssen. „Beispielsweise mussten die Hallen erst einmal vorgeheizt werden.“ Zudem galt es auch, die medizinische Versorgung zu gewährleisten und medizinisches Personal an Ort und Stelle zu haben.
Verdachtsfläche auf dem benachbarten Baugelände
Nach Angaben der Rettungsdienste blieben die Kindergärten an der Magdalenenstraße und am Alfried-Krupp-Krankenhaus geschlossen.
Unterstützung hielten die Hilfsorganisationen durch Einsatzkräfte aus Kreis Viersen, Kreis Mettmann, Mönchengladbach und Mülheim an der Ruhr.
Rund 3000 Anwohner in einem weiteren Umfeld waren aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben und sich luftschutzmäßig verhalten. Das bedeutet, sie sollten sich in Räumen aufhalten, die die größtmögliche Entfernung von dem Fundort bieten.
Auf dem benachbarten Baugelände des Unternehmens Vivawest, das derzeit 179 Wohnungen errichtet, gab es lange Zeit eine Verdachtsfläche für Munition aus dem Weltkrieg. Doch die wurde bei Bodenuntersuchungen dann doch nicht gefunden. Die Arbeiten für das Bauvorhaben verzögerten sich allerdings um einige Wochen.
Noch am Freitag beorderte die Stadt einen Sicherheitsdienst, der ein Auge auf die Fundstelle hielt. Die Bombe lag unter einer Folie am Randes Grundstücks, auf der 14 Eigentumswohnungen eines privaten Bauträgers entstehen sollen, vermarktet von Hirschmann Immobilien.
Kampfmittelräumdienst ließ noch mehr Vorsicht walten als ohnehin üblich
Da die Bombe nun direkt an der Erdoberfläche lag und wahrscheinlich auch bewegt worden war, sah sich Thomas Kaminski zu besonderer Vorsicht und Herangehensweise veranlasst. Der 54-Jährige ist seit Jahrzehnten für den Kampfmittelräumdienst tätig und ein erfahrener Mann. Entfernt er ansonsten eigentlich nur den Zünder, wie er erläutert, nimmt er hier auch die gesamte Hülle mit heraus. Das erforderliche Spezialwerkzeug hatte er am Morgen sicherheitshalber in seinen Wagen geladen.
Derweil Kaminski seine Vorbereitungen trifft, rollen mehrfach Wagen des Ordnungsamtes durch die Lydia-, die Katharinen- oder auch die Magdalenenstraße. Per Lautsprecher werden alle Bewohner im Radius von 250 Metern um den Fundort herum aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Einige von ihnen quartieren sich bei Freunden oder Verwandten ein. Wer eine solche Möglichkeit nicht hat, dem bietet die Stadt einen Aufenthalt in den Messe-Hallen an. Die Ruhrbahn hat zum Transport Busse im Einsatz.
Über 300 Einsatzkräfte kümmern sich um Transport und Versorgung
Bei 55 Menschen, die den Seniorenheimen leben, leisten Rettungsdienste Hilfe. Doch bei dieser Zahl, die bereits im Vorhinein mit den Einrichtungen ermittelt war, soll es nicht bleiben. Im Laufe des Vormittags melden sich noch Dutzende von Leuten aus den betroffenen Wohnungen und bitten um Unterstützung. „Da bekommt natürlich jede einzelne Person Hilfe“, so Filzen. Die rund 300 Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen kümmern sich aber nicht nur um den Transport von Betroffenen. Sie leisten auch in den Messe-Hallen Dienst. Die Versorgung der Menschen sei sichergestellt, auch wenn die Entschärfung länger dauern sollte und die Leute nicht so schnell wieder nach Hause zurückkehren könnten, betont Filzen.
Bevor Thomas Kaminski zur Tat schreitet, haben Mitarbeiter des Ordnungsamtes zwei Mal kontrolliert, ob sich auch wirklich niemand mehr in der Gefahrenzone befindet. Dabei wissen sie, dass es Ausnahmen von der Regel gibt. Einigen Bewohnern im Haus St. Martin kann und will man aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung den Transport nicht zumuten. Sie halten sich in Räumen auf, die im Falle einer Detonation größtmögliche Sicherheit bieten würden und liegen der Rüttenscheider Straße zugewandt.
Die Uhr zeigt 13.16 Uhr an, als Polizei und Ordnungskräfte die Gefahrenzone komplett abriegeln. Gespenstisch leer ist ab jetzt die Rüttenscheider Straße zwischen Einfahrt zum Gußmannplatz und der Brücke über die A52. Die Autobahn wird in dem Streckenabschnitt gesperrt, Autofahrer können von der A 40 aus Bochum kommend nicht auf die A 52 wechseln. Aus Richtung Düsseldorf wird der Verkehr ab der Anschlussstelle Essen-Haarzopf abgeleitet. Folgen sind auch bei Bus und Bahn zu spüren. Die Linie 108 fährt nur zwischen Essen-Hauptbahnhof und Altenessen. Der Bahnhof Florastraße bleibt vorübergehend geschlossen. Wer in dieser Zeit in Richtung Bredeney fahren muss, kann auf die Linien U 17 und 169 ausweichen.
Alles hat ein Ende. Rund zwei Stunden nach Beginn der Sperrung meldet Thomas Kaminski: Blindgänger erfolgreich entschärft. Die Menschen können zurückkehren, die Straßen werden wieder freigegeben.
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