Essen. Musikunterricht mit Laptop und Kamera: Wie die Essener Folkwang-Musikschule der Corona-Krise mit kreativen Online-Angeboten begegnet.
Das einzige Geräusch, das die Ruhe vor der Weststadthalle an diesem Vormittag in Coronazeiten unterbricht, ist das leise Surren einer Hydraulikbühne auf dem Vorplatz. Doch die vermeintliche Stille, die derzeit rund um die Folkwang-Musikschule herrscht, täuscht. Trotz des derzeitigen Verbots von Präsenzunterricht hat das Institut in den vergangenen Monaten mit kreativen Online-Angeboten die allermeisten Schüler erreicht und auch während des Lockdowns kaum Abmeldungen verzeichnet. Wenn am 1. März das neue Semester beginnt, kann sich Institut-Leiter Bernd Mengede sogar über 200 Neuanmeldungen freuen.
Auch der neue Fachleiter im Bereich Tasteninstrumente, Desar Sulejmani, ist froh, dass der digitale Unterricht inzwischen gut funktioniert. „Wir freuen uns über jeden neuen Schüler, der kommt und Spaß an der Musik hat.“ Allein in seinem Fachbereich ist die Warteliste mit rund 160 Anwärtern lang. Schon während des ersten Lockdowns habe man Erfahrungen gesammelt, die nun für einen zunehmend reibungslosen Ablauf sorgten. Zwar stellen auch hier wie anderswo schlechte Internet-Verbindungen, ruckelnde Bilder und andere Übertragungsprobleme bisweilen Lehrer und Schüler auf die Probe. Doch registriert der 42-jährige Sulejmani, der selbst schon auf eine bemerkenswerte Karriere als Pianist und Dirigent in den Konzertsälen zurückblicken kann, eine große, gemeinsame Anstrengung, das Modell Fernunterricht zum Erfolg zu bringen. „Die Kollegen machen das mit enormem Engagement.“
Die Büros in der Musikschul-Zentrale wurden teils mit Kamera und Stativ ausgestattet, um die digitale Musikstunde möglichst anschaulich zu machen. Andere Kollegen unterrichten von zu Hause aus, kommunizieren live per Videochat oder verschicken Unterrichtsvideos. Neben gängigen Videokonferenzsystemen wie Skype oder Zoom kommt dabei auch eine hauseigene Plattform zum Einsatz. Eine Lehrkraft, erzählt Sulejmani, habe sogar einen eigenen Youtube-Kanal eingerichtet.
Im Lockdown müssen Musiklehrer einfallsreich sein
Im Lockdown müssen Musiklehrer einfallsreich sein. Um Anfänger wie Fortgeschrittene zu erreichen, braucht es die richtige Methodik und gut vorbereitetes Unterrichtsmaterial. Viele Musiklehrer empfänden den Online-Unterricht als anstrengender, hat Sulejmani erfahren. Dazu müssten Erwartungen und Ziele manchmal auch „etwas heruntergeschraubt werden. Man arbeitet langsamer“.
Um trotzdem möglichst viele Kinder und Jugendliche während der Pandemie zu erreichen, wurden Gruppenstunden zum Teil auch in kleinere Einzelunterricht-Einheiten unterteilt. „Kürzer, aber intensiv“ könne so ein Großteil der insgesamt 11.000 Köpfe zählenden Schülerschaft vom „Jugend musiziert“-Teilnehmer bis zum Jekits-Einsteiger erreicht werden. Wichtig sei, „dran zu bleiben und Lücken beim Lernen zu vermeiden“, sagt Sulejmani. Auch viele Eltern helfen dabei mit und engagieren sich beispielsweise als „Kamerateam“, wenn der Nachwuchs im Wohnzimmer den Notenständer aufklappt. Das Ensemblespiel aber leidet stark, durch die technisch-bedingte Verzögerung der Onlineverbindung ist ein harmonisches Zusammenspiel praktisch unmöglich. Auch die Arbeit mit Chören ist deshalb schwierig.
Die Eltern engagieren sich schon mal als „Kamerateam“ am Klavier
Obwohl viele Schüler und Eltern vom monatelangen Home-Schooling inzwischen genug haben, würde das digitale Angebot der Folkwang-Musikschule gut angenommen, bestätigt Sulejmani. „Es ist wichtig, dass die Schüler den Unterricht nicht als Zwang sehen, sondern als Entlastung.“ Trotzdem wünscht auch er sich eine baldige Rückkehr zum Präsenzunterricht.
Pianist und Dirigent
Desar Sulejmani ist Konzertpianist, Dirigent, Liedbegleiter und Korrepetitor. Der gebürtige Albaner ist vor 23 Jahren zum Studium nach Deutschland gekommen. An der Essener Folkwang-Universität hat er Klavier, Kammermusik und Dirigieren studiert. Als Solo- wie auch als Kammermusikkünstler ist Sulejmani international gefragt. Als Dirigent hat der 42-Jährige unter anderem schon am Pult der Bochumer Symphoniker, der neuen Westfälischen Philharmonie und vielen anderen internationalen Orchestern gestanden.
Seit 2012 unterrichtet Desar Sulejmani als Dozent für Klavier an der Folkwang-Musikschule. Im vergangenen November hat er offiziell die Nachfolge von Hans-Gerd Ott als Fachleiter im Bereich Tasteninstrumente übernommen.
Die aktuelle Corona-Schutzverordnung in NRW sieht ab dem 22. Februar zumindest erste Lockerungen vor. „Wir hoffen, bald zumindest wieder in den Mittelpunktschulen Einzelunterricht anbieten zu können“, sagt Sulejmani. Je nach Beschluss könne man den Betrieb dort rasch wieder hochfahren. In der Zusammenarbeit mit den Essener Schulen, die übers gesamte Stadtgebiet verteilt als Zweigstellen fungieren, müsse man die jeweiligen Gegebenheiten berücksichtigen. Während des Lockdowns habe man praktisch mit jeder einzelnen Schule Kontakt und in Absprache mit Schulleitern und Hausmeistern nach Kompromisslösungen gesucht.
Viele Gespräche mit den Schulen im gesamten Stadtgebiet
Viel organisatorischer Aufwand war da in den vergangenen Monaten zu betreiben. Nun wünscht sich Sulejmani bald wieder Raum für inhaltliche künstlerische Gespräche, „weil wir viele Pläne haben“. Dazu gehört beispielsweise das neu gegründete Sinfonieorchester, das unter seiner Leitung möglichst bald in Großbesetzung auftreten soll.
Und auch für seine eigene offizielle Vorstellung am 30. Juni hat Desar Sulejmani schon Pläne. Eines steht dabei fest: Beim Antrittskonzert kommt so oder so auch die digitale Technik zum Einsatz: „Mit oder ohne Publikum – es wird auf jeden Fall gestreamt.“
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