Essen. Seit Mitte Dezember ist Halle 4 im Essener Messe-Gelände startbereit für die massenhafte Impfung gegen Corona. Am Montag ging es endlich los.
Schnee und Eis, pah. Wer den Großvenediger in den Hohen Tauern bezwungen hat, der wird doch wohl vor siebeneinhalb Kilometern Fußmarsch nicht einknicken. Also hat Wolfgang Assiep sich an diesem Montag kurzerhand Wanderstock und Handschuhe gegriffen und ist einfach losgelaufen: Von seinem Zuhause an der Kevelohstraße in Überruhr-Hinsel bis zur Norbertstraße in Rüttenscheid. Eineinhalb Stunden hat der 81-Jährige dafür gebraucht, nun steht er in Messehalle 4 und zieht sich eine Wartemarke, auch wenn es eigentlich nichts zu warten gibt. Denn Assiep ist Impfling Nr. 1 im Impfzentrum, das an diesem Montag Schnee und Eis zum Trotz seinen Betrieb aufgenommen hat. Endlich.
Seit fast zwei Monaten ist die mit Leichtbauwänden umgebaute Ausstellungshalle nun schon einsatzbereit: Entlang von zwölf sogenannten Impfstraßen können hier bis zu 2400 Personen pro Tag geimpft werden, doch weil es nicht genügend Impfstoff gab, blieben die Türen bislang verschlossen. Das ist nun anders, der Nachschub scheint fürs erste gesichert. Auch wenn die Immunisierung einstweilen nur im Rahmen der Nachmittagsschicht von 14 bis 20 Uhr läuft.
„Wir sind einfach nur froh, dass es losgeht“, sagt der Ärztliche Leiter Dr. Stefan Steinmetz
Immerhin: Es läuft. Dass ausgerechnet zum lang ersehnten Start Schnee fällt wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr, das passte irgendwie in den holprigen Kampagnen-Beginn, bei dem sich Dr. Stefan Steinmetz aber nicht lange mit der Frage aufhalten mag, wer denn nun wann wieder was falsch gemacht haben soll: „Es hilft nichts, auf diesen negativen Dingen herumzureiten“, sagt der ärztliche Leiter des Essener Impfzentrums, der sein gutes Team und die Zusammenarbeit in der Stadt lobt: „Wir sind einfach nur froh, dass es losgeht.“
Dabei ist er selbst am Morgen nicht aus seiner Garage herausgekommen, musste sich von einem Kollegen abholen lassen. Dem Impfstoff ging es da gottlob anders: Gegen halb zwölf am Mittag trafen die Fläschchen mit dem Vakzin der Firma BioNTech ein. Sie werden in den kommenden Tagen an die Über-80-Jährigen verimpft. Am Mittwoch landet zusätzlich Impfstoff von AstraZeneca in den drei bereitgestellten Kühlschränken, er ist zunächst für die Mitarbeiter in ambulanten Pflegediensten gedacht. Rund 1800 gibt es davon in Essen, und bis zum Sonntag will man mit ihnen „durch“ sein.
Für die ersten beiden Februar-Wochen sind über 11.000 Impftermine vereinbart
Wochen, nein Monate haben sie auf diesen Tag hingearbeitet, 40 Mitarbeiter und Helfer sind heute zum Start vor Ort, darunter auch OB und Ordnungsdezernent, Ärzte und Feuerwehr, Polizei und Freiwillige. Aber als Impfling Nr. 1 Wolfgang Assiep von Arzt Klaus Leifeld frisch geimpft zu den Plätzen für die Nachbeobachtung geleitet wird, da fällt das gar niemandem groß auf, alle scheinen irgendwie ein bisschen überrascht, dass diese Logistik, die sie sich da vorher ausgedacht haben, tatsächlich reibungslos funktioniert.
Am Ende dieses Tages werden es rund 320 geimpfte Essener mehr sein, jeden Tag wird das nun so gehen, hunderte pro Tag, und später, wenn genügend Impfstoff vorhanden ist, auch tausende. Steinmetz schätzt, dass das Impfzentrum Anfang März unter Volllast an allen zwölf Impfstraßen arbeiten wird, dann womöglich auch im Zwei-Schicht-Betrieb. Für die ersten beiden Februar-Wochen sind über 11.000 Impftermine vereinbart. Wie hoch der Anteil derer ist, die ihren Termin nicht wahrnehmen, weiß noch niemand.
„Wir verfügen jetzt über wesentlich größere Mengen als wir erwartet haben“
Aber verzagen sollte keiner, appelliert Steinmetz: „Niemand, der einen Termin hat, muss Angst haben, abgewiesen zu werden.“ Klar gebe es schon mal Fehler, wo denn auch nicht? Die Terminvergabe lief am
Impftermin klappt auch im zweiten Anlauf
Auch wenn Schnee und Eis den Weg beschwerlich machen: Die Stadt appellierte an die Impflinge, ihren vereinbarten Termin möglichst einzuhalten. Wem dies zum Start am Montag nicht gelang, weil er etwas wacklig auf den Beinen ist oder auch nur unsicher, der kann seinen Termin an den Folgetagen wahrnehmen, also am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag, 9., 10. oder 11. Februar, jeweils zur gleichen Uhrzeit wie für Montag vereinbart. Eine erneute Terminvereinbarung über die Hotline oder per Internet ist also nicht erforderlich. Gleichwohl gelten auch an den Folgetagen die bekannten Bedingungen: Es müssen alle für die Impfung erforderlichen Unterlagen sowie ein Lichtbild-Ausweis mitgebracht werden.
Anfang nicht gut, aber „wir werden alle Pannen ausbügeln können“ – sagt mit Steinmetz einer, der nach eigenen Schätzung rund 50.000 Impfen verabreicht hat und sich nur wundern kann über manches „Affentheater“ der zurückliegenden Tage und Wochen.
Dabei hat das Theater auch manches bewirkt, „der Druck“, sagt Steinmetz war durchaus auch hilfreich: „Wir verfügen jetzt über wesentlich größere Mengen an Impfstoff als wir erwartet haben“, und keine einzige Impfdosis wird mangels Impflingen weggeworfen, „das wäre ethisch nicht vertretbar“. Da haben sie sich auch in den Heimen zuletzt lieber irgendwelche anwesenden Leute gegriffen. Dass darauf mancher spekuliert hatte: geschenkt.
Für Wolfgang Assieps Frau gab es noch keine Impfe: Sie wird erst im April 80
Wolfgang Assiep jedenfalls ist’s zufrieden. Zurück in Überruhr-Hinsel werde er sich nachher ans Telefon hängen, sagt er, es geht um einen Termin für seine Frau, die wird erst im April 80 Jahre alt, und durfte noch nicht mitgeimpft werden. Das kann man typisch deutsch nennen oder beseufzen – auch dass sie Assiep in Halle 4 nicht reingelassen haben, als er schon um halb eins vor der Tür stand: „Das ist doch keine Kinovorstellung hier“, sagt er dem Oberbürgermeister, mit dem er ein kleines Pläuschchen hält.
Andererseits: Das mit der Terminvereinbarung, für die er selbst noch zwei Stunden brauchte, funktioniert mittlerweile super, räumt der 81-Jährige ein und sinniert: „Man wird ja manchmal ungerecht kritisch.“