Die Stadt hat auf einen Streich zwei Bürgerbegehren vorerst erledigt: Die einen erringen einen Teilerfolg, die anderen holen sich einen Korb.
Die einen sorgen sich ums Klima, die anderen um die Gesundheitsversorgung im Norden der Stadt. Und weil die örtliche Politik nach beider Geschmack entweder zu langsam oder gleich gänzlich falsch agiert, wollten sie jeder auf seine Weise dem Stadtrat das Heft des Handelns aus der Hand nehmen und stattdessen die Bürger per Begehren mobil machen. Dazu aber wird’s nicht kommen, denn die Stadt hat sich geräuspert. Nun jubeln die Klima-Leute. Und die Klinik-Aktivisten sind sauer.
Denn ersteren ist die Stadt so weit entgegen gekommen, dass diese darüber selber erklärtermaßen Bauklötze staunen: Hatte der Rat der Stadt nicht im August vergangenen Jahres noch mit großer Mehrheit den Plan abgelehnt, Essen beim Ausstoß von Treibhausgasen bis spätestens 2030 klimaneutral zu machen? Viel zu ambitioniert und teuer sei dies, hieß es damals. Man beschloss stattdessen, dieses Klimaziel erst 2050 anzupeilen.
Närrischer Protestkorso durch den Norden
Humor ist, wenn man trotzdem lacht, und so laden die Befürworter eines Bürgerbegehrens gegen die Klinik-Schließungen für Samstag, 13. Februar, um 11.11 Uhr karnevalskonform zu einem „närrischen Protestkorso“ mit Autos, Fahr -und Motorrädern.„Ob Baby, Leber, Niere, Herz – kein Krankenhaus, das ist ein Scherz“ heißt das Motto. Nach dem Start am St. Vincenz Krankenhaus in Stoppenberg gibt es einen ersten Zwischenstopp am Katernberger Markt und einen zweiten in der Stauderstraße 88, wo Brauerei-Geschäftsführer Thomas Stauder der Ordens „Wider die Vernunft“ verliehen werden soll – „für seine besonderen Verdienste beim Kahlschlag des Gesundheitswesens im Essener Norden“. Um 13.11 Uhr ist eine Schlusskundgebung auf dem Altenessener Markt geplant.
Für die Klima-Leute „ein erster Schritt auf dem Weg zum Ziel“
Nun will die Stadtverwaltung im Sommer doch den um nicht weniger als 20 Jahre vorgezogene Aktionsplan vorlegen. Und das, so freuen sich die überraschten Aktivisten, ohne dass sie eine einzige Unterschrift dafür haben sammeln müssen. Die Initiatoren sehen dies gleichwohl „als Erfolg unserer Arbeit“, sagt Petra Boesing, eine von drei Vertretungsberechtigten des „Klima-Entscheids“ Essen. Mit der nun anstehenden Berechnung des Szenarios erkenne die Stadt erstmals die Notwendigkeit vorgezogener Klimaneutralität offiziell an – für sie „ein erster Schritt auf dem Weg zum Ziel”.
Von dem sehen sich die Initiatoren des anderen Bürgerbegehrens derzeit weiter entfernt denn je. Anlass dafür ist jenes seit Wochen dringend erwartete Schreiben aus dem Rathaus, mit dem man das Bürgerbegehren zur Gründung einer gemeinnützigen kommunalen Klinik-Gesellschaft einstielen wollte.
Von städtischer Seite wird es keine Kostenschätzung geben
Doch statt der erhofften Kostenschätzung – die ist Bedingung für die Unterschriften-Sammlung – gab es von Rechtsdezernent Christian Kromberg nur eine unmissverständliche Absage: Von städtischer Seite, so Kromberg, werde es keine Kostenschätzung geben, weil dies „tatsächlich und aus Rechtsgründen nicht möglich“ sei.
Denn ein städtischer Klinikbetrieb, und darauf ziele ja das Begehren letztlich wohl ab, sei finanziell kaum überschaubar, die Krankenhaus-Planung im Prinzip ohnehin Landessache und die Stadt durch das Verbot zusätzliche freiwilliger Ausgaben eingeschränkt. Kurzum: Es ergeht ein abschlägiger Bescheid, gegen den man ja immerhin klagen könne.
„Ein Verhinderungs-Bescheid, der uns in die Klage treiben soll“
Ob die Initiatoren des Klinik-Begehrens es so weit treiben, ist noch unklar. Einstweilen beschränkt sich einer der Vertretungsberechtigten, der ehemalige grüne Bürgermeister Hans Peter Leymann-Kurtz, darauf, sich über „zweierlei Maß“ zu empören, das die Stadtverwaltung da an die beiden Bürgerbegehren anlege: „Das ist ein Verhinderungs-Bescheid“, urteilt Leymann-Kurtz, „der uns in die Klage treiben soll“.
Die aber kostet nicht nur Geld, das sich im Zweifel noch auftreiben ließe, sondern womöglich auch viel Zeit, wenn das zunächst zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen keine Eilbedürftigkeit erkennt. Dann könnten, mutmaßen Kenner der Materie, bis zu einem Urteil gut und gerne ein zwei Jahre vergehen.
Im Falle eines Falles, wird der Klima-Entscheid wieder aufgegriffen
Dabei ist unterm Strich noch gar nicht ausgemacht, ob nicht auch die Klima-Leute am Ende lange Gesichter machen. Denn dass die Stadt das Szenario einer Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 berechnen lässt, muss ja noch lange nicht bedeuten, dass sie die damit verbundenen Schritte auch geht. „Zu der Frage, ob wir das auch umsetzen können, sind wir gar nicht gekommen“, betont Dezernent Kromberg.
Kein Wunder, dass die Aktivisten des Klima-Entscheids den Verantwortlichen ein wenig Honig um den Bart schmieren: „Wir haben hier in Essen Politiker, die sich mit Verantwortung, Mut und Gestaltungswillen für die Zukunft und gegen den vermeintlich einfachsten Weg entscheiden werden”, formuliert Sven Borghs, einer der drei Vertretungsberechtigten. Und wenn nicht? „Für den schwer vorstellbaren Fall einer Fehlentscheidung im Sommer, stehen wir in den Startlöchern“, sagt Mitstreiterin Petra Boesing. Das Begehren ist ja nur aufgeschoben. Nicht aufgehoben.