Essen. Homeoffice bedeutet für viele, sich endlich den Wunsch nach einem Haustier zu erfüllen. Das Tierheim Essen fürchtet Folgen im Alltag nach Corona.
Wenn derzeit das Telefon im Essener Tierheim klingelt, hören die Mitarbeiter häufig die gleiche Frage: „Haben Sie Hundewelpen?“ Wahlweise fragen die Interessenten nach Katzenbabys. Die Nachfrage in Zeiten von Homeoffice sei jedenfalls riesig, die Anschaffung oft unüberlegt, sagt Tierheim-Mitarbeiterin Jeanette Gudd. Das Tierheim fürchtet eine Flut von Corona-Welpen auf sich zukommen, wenn sich der Arbeitsalltag erst wieder normalisiert.
„Wir bekommen derzeit unglaublich viele Anfragen nach jungen Hunden und Katzen“, erklärt Jeanette Gudd zur Situation an der Grillostraße. Viele wünschen sich offenbar seit langem schon ein Haustier, sehen nun im Homeoffice die richtige Zeit dafür. Die erfahrenen Tierpfleger wiederum sehen jetzt schon die Folgeprobleme.
Die entstünden einerseits, da sich künftige Halter oftmals nicht mit der Rasse und den typischen Eigenschaften auseinandersetzten – es solle nur unbedingt ein Welpe sein. „Ein Australien Shepherd mag ja niedlich, puschelig sein und eine schöne Fellfarbe haben“, sagt die Pflegerin. Aber es bleibe auch ein arbeitswilliger Hund, der beschäftigt werden möchte und andernfalls unerwünschte Eigenarten an den Tag lege.
Hinzu komme, dass es für unerfahrene Halter aktuell bei geschlossenen Hundeschulen von dieser Stelle zumindest keine Hilfe gebe und die Tiere zudem nicht lernten, auch mal allein zu Hause zu bleiben. Wenn dann die Erwachsenen an den Arbeitsplatz und die Kinder in die Schule zurückkehrten, sei manche zerstörte Wohnungseinrichtung und großer Unmut zu befürchten. Oder völlig genervte Nachbarn: „Weil der Hund sich zum Dauerkläffer entwickelt hat.“
Manche Anrufer sind völlig beratungsresistent
All das erklären die Tierpfleger nun in der Pandemie unermüdlich. Leider seien manche völlig beratungsresistent. Und gibt es keinen Hundewelpen im Tierheim, „fragen sie uns fast verzweifelt, wo sie den wohl herbekämen“, berichtet Jeanette Gudd wohlwissend darum, was sich auf Internetportalen abspielt. Zwar dürften illegale Vermehrer, die Hunde nicht artgerecht züchteten, die Tiere nicht mehr anbieten. Stattdessen gebe es aber inzwischen massenhaft Gesuche auch aus Essen: nach Welpen - der Kontakt komme dann doch zustande.
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Andere schafften sich Welpen aus dem Ausland an. Welche Tücken das mit sich bringen kann, zeigen ebenfalls immer wieder Fälle aus dem Essener Tierheim. „So wurde die kleine Luna illegal eingeführt, kam schwer krank in eine Klinik, wo festgestellt wurde, dass sie zudem den erforderlichen Impfschutz nicht hat“, erzählt die Pflegerin einen Klassiker aus dem Tierheimalltag. Luna überlebte nur knapp, kam in Quarantäne. Was auch bedeute, dass sie die wichtige Phase der Sozialisierung allein zwischen kahlen Fliesen verbringe.
Die Coronaphase könnte viele Problemhunde mit sich bringen
Derzeit sehe das Tierheim die Gefahr, dass die Coronaphase auch viele nicht sozialisierte oder schlecht erzogene Problemhunde bedeuten werde. Diese leben bereits im Essener Tierheim, etwa weil sie gebissen haben und nur noch an Menschen mit viel Erfahrung vermittelt werden können. „Welpen haben wir ohnehin selten in der Vermittlung“, sagt Jeanette Gudd.
Auf welchem Weg die Essener nun einen Welpen, ob Katze oder Hund, anschafften, der dringende Appell aus dem Tierheim lautet: „Jeder sollte sich ganz genau Gedanken machen, ob er die Zeit für ein Tier auch im normalen Leben nach der Pandemie haben wird.“ Ob Hund oder Katze, Halter binden sich für zehn Jahre oder länger. Das bedeute eben nicht nur einen anderen Alltag, sondern ebenso eine veränderte Urlaubsplanung (Hund fährt mit oder braucht eine andere Unterkunft) und mitunter auch hohe Kosten, wenn Tierarztbehandlungen anstehen.
„Tiere sind kein Spielzeug und keine Beschäftigungstherapie“
Digitale Führung durch das Essener Tierheim
Was ist eigentlich ein Tierheim und wie „funktioniert“ es? Welche Tiere werden im Essener Tierheim versorgt? Und wie sieht es eigentlich in Katzenhaus, Küche und Co. aus? Bei einer Videokonferenz können Besucher hinter die Kulissen des Tierheims schauen.
Dabei öffnen sich Türen und Momente, die sonst auch in realen Führungen nicht möglich sind. Es geht um den alltäglichen Tierschutz vor Ort und die vielfältige Arbeit im Essener Tierheim.
Die digitale Führung wird am Freitag, 12. Februar, 18 bis etwa 20 Uhr, und Samstag, 20. Februar, 15.30 bis maximal 17.30 Uhr angeboten. Die Führungen finden in zwei Einheiten mit einer Pause und abschließender Möglichkeit zur Chat-Fragenrunde statt. Im Anschluss erhalten alle Teilnehmer Zugang zu einem Padlet, einer digitalen Tafel mit vielen weiteren Infos, Spielen und mehr rund um das Tierheim.
Anmeldungen/Info an die Tierschutzlehrerinnen: Sandra Jansenjansen@tierheim-essen.orgoderMichèle Kleinklein@tierheim-essen.org
Ob Hund, Katze oder Meerschwein: „Tiere sind kein Spielzeug und keine Beschäftigungstherapie“, bittet Jeanette Gudd um Verständnis für die Bedenken der Tierpfleger. Sie selbst könne durchaus verstehen, wenn der Wunsch nach einem Vierbeiner allein im Homeoffice wächst. Da die Erfahrung an der Grillostraße die Mitarbeiter aber lehrt, was bei zu spontanem Handeln und Gedankenlosigkeit alles schief gehen kann, sind die Sorgen bereits groß.
„Es graut es jetzt schon dem ganzen Tierheim vor den Folgen“, gesteht Jeanette Gudd. Werde im Alltag wieder alles in annähernd normalen Bahnen laufen, könnten viele eben doch feststellen, dass sie mit Hund oder Katze überfordert seien. Und die Pfleger fragen sich bereits besorgt, ob sie die befürchtete Flut der Corona-Welpen überhaupt werden auffangen können.