Essen. Es grünt stark im Vertrag von Schwarz-Grün. Enttäuschend, dass es die CDU nicht geschafft hat, in der Wirtschaftspolitik Akzente zu setzen.
Es ist ein bemerkenswert grünes Programm, auf das sich CDU und Grüne in Essen in ihrer Koalitionsvereinbarung verständigt haben. Das soll keineswegs heißen, dass sich die CDU über den Leisten hat ziehen lassen. Der Eindruck ist vielmehr: Hier haben sich in Essen zwei Parteien und Fraktionen gesucht und gefunden, die mittlerweile auf den wichtigsten Politikfeldern nichts wesentliches mehr trennt - und das nicht etwa nach hartem Ringen, sondern weil die CDU sich deutlich und durchaus mit innerer Überzeugung in Richtung der Grünen bewegt hat. Insofern werden wir hier Zeuge einer Verbindung, die mehr einer Liebesheirat und weniger einer Zweckbeziehung gleicht.
Natürlich ist die Bundespolitik ein Verstärker gewesen. Die Tatsache, dass die CDU unter Angela Merkel in der Energie-, Klima- und Migrationspolitik in den letzten Jahren eigene Positionen räumte und grüne übernahm oder ihnen weit entgegenkam, hat atmosphärische und auch politische Auswirkungen bis in die Kommunen hinein. In Essen kommt hinzu, dass CDU und Grüne schon seit Ende der 1990er Jahre inhaltlich kooperierten. Zunächst geschah dies nur punktuell und als eine Art Notgemeinschaft gegen die damals übermächtige SPD, dann aber immer mehr auf Basis inhaltlicher Gemeinsamkeiten. Die festen Kooperationen in mehreren Ratsperioden ließen zudem auch menschlich tragfähige Beziehungen wachsen.
Ökologisierung vieler Lebensbereiche ist nun Programm
Und so wird Essen nun für die nächsten fünf Jahre ein kommunalpolitisches Programm verpasst, das sich die Ökologisierung vieler Lebensbereiche vorgenommen hat, ja mehr noch: Dieser Vertrag schreibt das Primat der Umweltpolitik vor allen anderen Erwägungen fest. Beim Verkehr etwa soll die Verdrängung des Autos durch Raumverknappung prinzipiell fortgesetzt werden, wenn auch offen bleibt wo genau. Zwar beteuerte Essens Grünen-Chef Kai Gehring, man wolle "keinen Kulturkampf ums Auto", und die Kooperationsvereinbarung verzichtet tatsächlich auf aggressive Rhetorik. Dennoch ist klar, dass alle anderen Verkehrsarten so massiv wie möglich gefördert werden sollen. Das ist zwar als Ankündigung nicht neu, doch droht zum Nachteil von Autofahrern nun neuer Elan, etwa bei der Ausweisung weiterer Fahrradspuren, die bislang übrigens ausnehmend schwach genutzt werden.
Besonders enttäuschend ist, dass die CDU es nicht geschafft hat, in der Wirtschaftspolitik Akzente zu setzen, sieht man ab vom Lob der Digitalisierung, die bezeichnenderweise auch ein Lieblingsanliegen der Grünen ist. Vor allem das Problem fehlender Gewerbeflächen wird im Koalitionsvertrag praktisch nicht erwähnt, was jetzt Freifläche und nicht bereits als Bauland ausgewiesen ist, bleibt sakrosankt. Selbst landwirtschaftliche Nutzflächen sollen von künftiger Bebauung strikt ausgeschlossen bleiben, wenn auch anderslautende Einzelfallentscheidungen nicht ausgeschlossen sind.
Besonders große Ambitionen in der Energiepolitik
Wenn CDU-Fraktionschef Fabian Schrumpf betont, selbstverständlich sei auch künftig jeder in Essen willkommen, der Arbeitsplätze schafft, dann stellt sich jedenfalls mehr denn je die Frage, auf welchem Grund und Boden das stattfinden soll. Im Internet wird nicht alles gehen. Immerhin ist das Bekenntnis zur Wohnungsbaupolitik klarer, bemerkenswert das ausdrückliche Ja auch der Grünen zum Projekt auf dem Messe-Parkplatz an der Rüttenscheider Brücke.
Wo es in der klassischen Wirtschaftspolitik schüchtern zugeht, wirkt das Thema Energie umso ambitionierter. Solaroffensive beim Gebäudebestand, Neuausrichtung der Stadtwerke, Umstellung des städtischen Fuhrparks, Wasserstoff-Strategien: Mitunter atmet der Vertrag einen Geist, als gäbe es keine finanziellen Grenzen - weder bei der Stadt noch bei den Bürgern, die jetzt schon an ihrer Stromrechnung sehen, dass die Energiewende alles andere als kostengünstig ist.
Anflüge von Dissens sind in der Asylpolitik spürbar
Am ehesten so etwas wie Dissens zwischen den Parteien kann man in der Asylpolitik herauslesen. Dass die CDU im Vertrag die eigentlich selbstverständliche Formulierung unterbrachte, bei Abschiebungen krimineller Ausländer werde "geltendes Recht angewendet", lässt tief blicken. Man möchte hoffen, dass die Grünen das ähnlich sehen, fragt sich aber dann, warum es nötig ist, dies extra festzuhalten. Geräumt haben die Christdemokraten ihre Ablehnung, über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus Sonderlasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu tragen. 50 Moria-Flüchtlinge inklusive Familienanhang will Essen nun aufnehmen. Ein Sieg für die Grünen und die Sozialpolitiker der CDU.
Sicher, viele Formulierungen sind wachsweich, Papier ist geduldig, und mancher in der CDU wird hoffen, dass der graue kommunalpolitische Alltag die eine oder andere überschießende Idee schreddert oder zumindest weit in die Zukunft bugsiert. Dennoch wird den Grünen mit diesem Vertrag ein Mittel an die Hand gegeben, um die CDU bei Bedarf mehr oder weniger freundlich daran zu erinnern, wie weit ihr Partner dem Primat des Ökologischen zugestimmt hat. Kurzfristig mag es dann Ausreden geben, nicht aber auf längere Sicht.
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