Essen. Nach 47 Jahren hat die „Steele“ den Baldeneysee für immer verlassen. Keines der Fahrgastschiffe fuhr länger für Essens Weiße Flotte.
Ein letzter Gruß, dann öffnet sich das Schleusentor: Die „Steele“ nimmt für immer Abschied vom Baldeneysee. „Ein bisschen Wehmut ist mit im Spiel“, sagt Werner Grindel (68). Mehr als 40 Jahre war er Schiffsführer bei der Weißen Flotte Baldeney. Ungezählte Male hat er die „Steele“, das kleinste Schiff der Flotille, über den See gesteuert. Keines fuhr länger unter der Flagge der Weißen Flotte wie dieses.
Zur Saison 1974 legte die „Steele“ zum ersten Mal im Hafen am Hardenbergufer ab. Ein Jahr zuvor war sie in der Lux-Werft am Rhein vom Stapel gelaufen. Es war das modernste Schiff der Weißen Flotte. Der 196 PS starke Diesel verbrauchte nur acht Liter pro Stunde. Der Clou: Gesteuert wurde die „Steele“ nicht über ein Ruderblatt, sondern über die drehbare Schraube. Dadurch ließ sie sich leichter manövrieren.
Fahrgäste ließen oft ein anderes Schiff passieren, weil sie mit der „Steele“ fahren wollten
„Das Schiff war der Renner“, berichtet Werner Grindel. Oft hätten Passagiere, die am Anleger warteten, ein anderes Schiff passieren lassen, weil sie unbedingt mit der „Steele“ fahren wollten. „Die Mutter trug ein schönes Kleid, der Vater kam im Anzug. So eine Schifffahrt war etwas Besonderes“, erinnert sich der langjährige Schiffsführer an vergangene Zeiten.
Wolfgang Kaerger (88), von 1969 bis 1996 Chef am Hardenbergufer, hatte die „Steele“ nach Essen geholt. Die Flotte musste damals dringend erneuert werden. Mit Ausnahme der alten „Stadt Essen“ von 1955 und der „Gruga“, Baujahr 1963, stammten die Schiffe noch aus den 1930er Jahren. „Das war alles Holzklasse“, erinnert sich Kaerger. „Den Ansprüchen genügte das nicht mehr.“ So ersetzte die „Steele“ ihre Vorgängerin mit dem gleichen Namen. 350.000 Mark hatte das neue Schiff gekostet.
Schon damals dachten sie bei der Weißen Flotte, die seinerzeit noch zur Essener Verkehrs-AG gehörte, nicht nur an den Linienbetrieb, sondern an Charterfahrten für verschiedenste Anlässe, mit denen die mittlerweile selbstständige städtische Tochtergesellschaft längst den größten Teil ihres Umsatzes macht. An Bord gab es keine feste Bestuhlung. Das Schiff ließ sich nach Bedarf möblieren. Bei so mancher Feier soll es an Bord hoch her gegangen sein.
Für Charterfahrten sei die „Steele“ heute zu klein. Zugelassen ist das 22,8 Meter lange Fahrgastschiff für 150 Personen. Doch Platz gebe es für maximal 48 Passagiere im Salon und für weitere 60 auf dem Oberdeck. Im vergangenen Jahr lief die „Steele“ nur fünf Mal aus, in diesem Jahr blieb sie die komplette Saison im Hafen, was wohl auch der Corona-Pandemie geschuldet war.
Die Weiße Flotte Baldeney will ihre Schiffe modernisieren und setzt auf Elektro-Antrieb
Die Weiße Flotte hatte sich da bereits auf die Suche nach einem Käufer gemacht. Die städtische Tochter will ihre Flotille modernisieren. Geschäftsführer Boris Orlowski setzt auf Elektroantrieb. Die „Stadt Essen“ soll schon in der kommenden Saison elektrisch fahren. Die „Baldeney“ und die „Heisingen“ wären die nächsten, die ihren alten Diesel gegen die moderne Antriebstechnik austauschen. Noch muss die Politik zustimmen, der Finanzausschuss des Stadtrates wird sich mit den Plänen befassen. Für die „Steele“ hat die Weiße Flotte keine Verwendung mehr.
Ein Interessent aus Bayern sei im letzten Moment abgesprungen. Verkauft wurde das älteste Fahrgastschiff der Flotte schließlich nach Österreich – für 100.000 Euro. Vom Baldeneysee ging es dieser Tage zunächst nach Duisburg, wo die „Steele“ einen Lotsen an Bord nahm, um weiter rheinaufwärts zu fahren. In der Lux-Werft wird das Schiff zunächst umgebaut, bevor es weitergeht über den Rhein, den Main, den Rhein-Main-Donau-Kanal und über die Donau bis nach Linz. Von dort wird die „Steele“ auf dem Landweg zu ihrem Bestimmungsort gebracht, zum Traunsee im Salzkammergut.
Rekordhalter
Mit 47 Dienstjahren hat die „Steele“ die ehemalige „Baldeney“ als Rekordhalter unter Essens Fahrgastschiffen abgelöst. Die „Baldeney“, Baujahr 1933, fuhr 45 Jahre lang unter der Flagge der Weißen Flotte. 1979 wurde das Schiff verkauft.
Der Essener Heinz Hülsmann hat es in Ostfriesland aufgetan, wo es es unter dem Namen „Moornixe“ bis 2014 den Ems-Jade-Kanal und den Nordgeorgsfehnkanal befuhr. Hülsmann holte das Schiff zurück ins Ruhrgebiet. Unweit der Mendener Brücke in Mülheim hat es einen festen Liegeplatz.
Der neue Eigner will die „Steele“ als Fährschiff für den Fahrradtourismus einsetzen, heißt es bei der Weißen Flotte. Wer als Essener in der Nach-Corona-Zeit also am schönen Traunsee urlaubt, könnte dort eine alte Bekannte treffen.