Essen. Wasserspender sind gut, aber fehlende WCs sind das drängendere Problem, sagt ein Essener. Für die Stadt ist letzteres aber keine Pflichtaufgabe.
Die jüngst in der Bezirksvertretung I diskutierte Anregung der Grünen, kostenlos nutzbare Trinkwasserspender im Stadtgebiet aufzustellen, begrüßt der Rüttenscheider Klaus Neubert. Allerdings hält er es für weitaus dringlicher, öffentliche Toiletten zur Verfügung zu stellen.
Auf Antrag der Grünen in der Bezirksvertretung I (Innenstadt und umliegende Stadtteile) hatten die Politiker die Stadt aufgefordert, zu prüfen, ob die Installation von Trinkwasserspendern, zum Beispiel mit Unterstützung von Sponsoren, möglich sei. Das Thema hatte jüngst sogar das Europäische Parlament beschäftigt. Dabei ging es darum, Menschen kostenlosen Zugang zum wichtigsten Lebensmittel zu verschaffen und gleichzeitig Plastikmüll zu sparen.
Nicht nur ältere Menschen in Essen sind auf gut erreichbare Toiletten angewiesen
Dennoch hält der Rüttenscheider Klaus Neubert die Möglichkeit, eine öffentliche Toilette aufsuchen zu können, für noch wichtiger als Trinkwasserspender. „Wasser kann ich notfalls auch unterwegs kaufen oder mir eine Flasche von zu Hause mitnehmen. Aber das Wasser wieder loszuwerden, das ist das viel größere Problem“, sagt er. Er sei 85 Jahre alt und müsse aus gesundheitlichen Gründen Wassertabletten einnehmen, was dazu führe, dass er in absehbarer Zeit eine Toilette aufsuchen müsse.
„Ich muss meine Wege und Besorgungen regelrecht danach planen. Außer am Hauptbahnhof oder im Einkaufszentrum Limbecker Platz gibt es in der Innenstadt kaum eine Möglichkeit, ein WC aufzusuchen“, sagt er. Je nachdem, wo man sich gerade befinde, sei das zu weit entfernt. Das Problem hätten nicht nur ältere Menschen, sondern zum Beispiel auch Mütter mit Kindern, habe er beobachtet.
Während des Corona-Lockdowns stehen auch WCs in Cafés und Läden nicht zur Verfügung
„Es ist doch kein Wunder, dass Menschen in ihrer Not dann einfach in irgendwelchen Ecken oder Treppenaufgängen urinieren“, sagt Klaus Neubert. Besonders drängend sei das Problem aktuell wegen des Corona-Lockdowns. Erst seien Restaurants und Cafés, jetzt auch die Geschäfte geschlossen worden. „Damit fällt auch dort die Möglichkeit weg, die Toilette – auch gegen eine kleine Gebühr – zu nutzen“, sagt Neubert, der viel und gern in Rüttenscheid unterwegs ist. Dort kenne er die entsprechenden Örtlichkeiten, wo normalerweise ein WC-Besuch möglich sei.
„Es muss doch möglich sein, öffentliche Toiletten gegen Bezahlung anzubieten. Das kann man doch notfalls an eine Firma abgeben, die dann dafür kassiert“, regt der Bürger an. Fehlende Toiletten sind auch anderenorts Thema. So gibt es immer wieder Beschwerden von Nutzern der Wege am Baldeneysee, die über Gestank und Hinterlassenschaft in den Gebüschen klagen, weil auch hier öffentliche WCs Mangelware sind.
Den Wunsch eines Bürgers an die Bezirksvertretung I, im Stadtgarten öffentliche Toiletten bereitzustellen, hatte die Immobilienwirtschaft der Stadt vor kurzem abgelehnt: „Die Bereitstellung öffentlicher Toilettenanlagen gehört nicht zu den Pflichtaufgaben der öffentlichen Hand im Rahmen der Daseinsvorsorge. Aus diesem Grund wurden die von der Stadt Essen betriebenen Toilettenanlagen im Rahmen der Haushaltssicherung bereits zum 31. Dezember 1994 geschlossen. Auf den Bau neuer Toilettenanlagen wurde verzichtet.“
Der Rat hat 1993 die Schließung der von der Stadt betriebenen Toiletten beschlossen
Der Ratsbeschluss aus dem Jahr 1993 – Schließung der von der Stadt betriebenen Toilettenanlagen – sei nach wie vor gültig. Aufgrund der derzeitigen Haushaltssituation könnten weiterhin nur Maßnahmen umgesetzt werden, zu denen die Gemeinde verpflichtet sei. Insgesamt gebe es im Essener Stadtgebiet noch an 53 Standorten öffentlich zugängliche Toilettenanlagen (ohne Toilettenanlagen auf Friedhöfen). Diese Anlagen befänden sich überwiegend in privater Trägerschaft in öffentlichen Verwaltungsgebäuden und auf Marktplätzen. Die Aufrechterhaltung des Nutzungsbetriebes falle in die alleinige Zuständigkeit des jeweiligen Betreibers, so die Immobilienwirtschaft.
Es geht aber auch unkompliziert: In Kettwig hat sich der dortige Heimat- und Verkehrsverein (HVV) des Problems angenommen. 2018 wurde das Projekt „Nette Toilette“ initiiert. Acht Kettwiger Betriebe beteiligen sich daran und stellen ihre Toiletten der Öffentlichkeit zur Verfügung. Es sind Cafés und Altenheime sowie das Bürger- und Kulturzentrum Alter Bahnhof Kettwig. Größtenteils sind die WC-Anlagen sogar barrierefrei. Fällig wurden Einmalkosten von rund 2500 Euro. Monatlich kostet die „Nette Toilette“ den Verein 400 Euro – der Zuschuss von 50 Euro pro Betrieb. Die dazu notwendige finanzielle Unterstützung hat der HVV von der Bezirksvertretung IX erhalten.
„Das Projekt wird sehr gut angenommen“, sagt HVV-Geschäftsführerin Rita Forstmann. „Nur im Lockdown steht die ,Nette Toilette’ natürlich auch nicht zur Verfügung, weil die Geschäfte und Gastronomien geschlossen haben“, ärgert sie sich. Einzig der Kettwiger Markt-Grill als To-Go-Station stehe auf der Teilnehmerliste und böte eine WC-Möglichkeit an. „Man muss nun schon genau planen, wie lange man in der Stadt für seine Einkäufe des täglichen Bedarfs unterwegs ist.“ Es fehlten in Essen definitiv öffentliche Toiletten.