Essen. Der französische IT-Konzern Atos zieht mit 600 weiteren Mitarbeitern nach Rüttenscheid. Angebaut wird dort aber nicht. Die Lösung: das Homeoffice.

Knapp 600 Mitarbeiter sind bereits da, fast 650 sollen im nächsten Jahr dazukommen – kein Wunder dass Essens Wirtschaftsförderer jubeln: Aus dem Wettbewerb um den deutlich vergrößerten Standort des französischen IT-Dienstleisters Atos geht Essen jetzt als Sieger hervor. Doch obwohl sich die Mitarbeiter-Zahl im Rüttenscheider Gruga-Carree damit mehr als verdoppelt, schmiedet niemand Anbaupläne, sucht keine Immobilien-Abteilung zusätzlichen Büroraum. Des Rätsels Lösung: das Homeoffice.

Und jene Arbeitsteilung am Schreibtisch, die man in modernen Verwaltung gerne mit dem neudeutschen Begriff „Desk-Sharing“ bezeichnet. Was den Umstand umschreibt, dass nicht für jeden Mitarbeiter ein eigener Büro-Arbeitsplatz zur Verfügung steht, sondern Teams, sogenannte „Nachbarschaften“, sich diese teilen. Kein Problem, glaubt man bei Atos: Da die Aufträge überwiegend bei den Kunden oder daheim erledigt werden, steige die Anwesenheitsquote nur selten über 40 Prozent.

Der IT-Riese Atos in Zahlen

Die Atos SE (ehemals Atos Origin) ist ein börsennotierter französischer IT-Dienstleister mit Hauptsitz in der Nähe von Paris. Das Unternehmen hat weltweit rund 110.000 Mitarbeiter und macht in insgesamt 73 Ländern einen Jahresumsatz von rund 12 Milliarden Euro.

Erst die Übernahme der Siemens IT Solutions and Services GmbH im Jahr 2011 machte den Konzern zu einem der weltweit größten Anbieter von digitalen Dienstleistungen. Das IT-Geschäft in Gelsenkirchen, das jetzt an den Essener Standort umzieht, hatte Siemens im Jahre 2004 von der Ruhrkohle AG erworben.

Der Standort Essen stach Alternativen in Bottrop und Gelsenkirchen aus

Alles wegen Corona, könnte mancher meinen, doch weit gefehlt: Homeoffice war bei Atos schon in Vor-Corona-Zeiten alles andere als ein Fremdwort. Der IT-Dienstleister, der Unternehmen mit Komplettpaketen auch schon mal die komplette Datenverarbeitung vom Netzwerk über die Software bis zum Service abnimmt, schmiedete seine Konzentrationspläne schon vor gut einem Jahr. Und mit ihnen auch den Plan, sich mehr noch als bisher vom klassischen Büro zu verabschieden.

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Für die dennoch – zum Teil schon aus rechtlichen Gründen – erforderliche Zentrale stand das Rüttenscheider Gruga Carree gleich gegenüber der Messe im Wettbewerb mit einem leerstehenden Bürokomplex in Bottrop und dem bisherigen Atos-Standort am Nordsternpark in Gelsenkirchen. Dass Essen am Ende das Rennen machte, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Martin Hüppe mit der sehr guten Verkehrsanbindung in unmittelbarer A52-Nähe und der Nachhaltigkeits-Zertifizierung. Immerhin wirbt Atos mit dem Label einer „green-IT“, somit auch mit einem umweltfreundlichen Standort.

Betriebsratschef Hüppe: „Der Großteil arbeitet sehr gerne von zuhause aus“

Die Tatsache, dass sich bei Atos mehr denn je per Homeoffice abwickeln lässt und Teams nur noch virtuell miteinander verbunden sind, dürfte bei vielen der rund 650 Mitarbeiter im Gelsenkirchener Atos-Standort am Rhein-Herne-Kanal mit dafür sorgen, dass sie den „Umzug“ problemlos mittragen. Immerhin fürchtete mancher noch vor einem guten Jahr auch in Essen noch um seinen Job , als die Umbaupläne des Unternehmens ruchbar wurden.

Atos-Beschäftigte aus ganz NRW demonstrierten noch im Sommer vergangenen Jahres in der Essener Innenstadt, um auf den befürchteten Job-Abbau im Unternehmnen aufmerksam zu machen.
Atos-Beschäftigte aus ganz NRW demonstrierten noch im Sommer vergangenen Jahres in der Essener Innenstadt, um auf den befürchteten Job-Abbau im Unternehmnen aufmerksam zu machen. © Essen | Kerstin Kokoska

Am Ende stand eine Einigung. Eine Umfrage der Arbeitnehmer-Vertreter in der Belegschaft, wie diese mit dem Homeoffice-Trend zurecht kommt, steht zwar noch aus, sagt Betriebsrats-Chef Hüppe. Doch nach allem, was er von den Kollegen zu hören bekomme, „arbeitet der Großteil sehr gerne von zuhause aus“.

Wirtschaftsförderung freut sich über „potenzielle Neubürger“ und den Image-Gewinn

Unklar ist deshalb, ob da an gelegentlichen Werktagen wirklich „potenzielle Neubürger“ Rüttenscheid ansteuern, so wie es sich die Essener Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft wünscht. Zweifellos aber bedeutet das Signal von Atos „einen großen Imagegewinn“, betont EWG-Geschäftsführer Andre Boschem: „Diese Entscheidung zeigt, dass Essen im nationalen und internationalen Wettbewerb um Unternehmen überzeugt.“