Essen. Unter dem Motto „Winter in Essen“ bemühen sich Händler und Marketinggesellschaft trotz Corona um weihnachtliche Stimmung. Eine Gratwanderung.
Man muss nur nahe genug herangehen, und es fühlt sich an wie Weihnachten: Es duftet nach gebrannten Mandeln, Lebkuchenherzen senden stille Grüße an die Liebsten und in der Auslage lächeln einen mit Zuckerguss überzogene Früchte an. Wer aber ein paar Schritte zurücktritt, auf den wirkt der Süßwarenstand am Eingang zur Kettwiger Straße in der Essener Innenstadt irgendwie verloren.
„Normalerweise hätte ich jetzt gut zu tun“, erzählt Andi Fackler, der seit 30 Jahren auf dem Essener Weihnachtsmarkt Süßigkeiten anbietet. Doch was ist schon normal in diesen Zeiten von Corona? Die Passanten verlieren sich zwischen den paar Holzhütten, die sie auf dem Willy-Brandt-Platz aufgebaut haben. Nur wenige Kunden bleiben stehen, um bei Andi Fackler etwas Süßes zu kaufen.
Der ahnte, worauf er sich einlässt. Normalerweise reicht er gebrannte Mandeln und Zuckerwatte zu beiden Seiten über die Auflage. Diesmal hat er eine Holzwand im Rücken, weil er seinen Stand nur zur Hälfte aufgebaut hat. Es war schon vorab zu erwarten, dass weniger Ware über die Theke geht. „Ich kann davon leben“, sagt der Händler. Wenigstens das.
30 Verkaufsstände verteilen sich in der Essener Innenstadt
30 solcher Buden und Verkaufsstände verteilen sich in der Innenstadt. So viele sind es dann doch geworden. Der Weihnachtsmarkt, der sonst Jahr für Jahr Zehntausende Besucher nach Essen lockt, fällt aus. Verkaufsmärkte sind wegen der Pandemie verboten. „Winter in Essen“ nennt die Essen Marketing Gesellschaft (EMG) deshalb, was vom Essener Weihnachtsmarkt übriggeblieben ist: eine lose Ansammlung von Verkaufsständen, die so viel Abstand lässt, dass sich möglichst niemand zu nahe kommt.
„Winter in Essen“ – das weckt Assoziationen. Das klingt nach blauem Himmel über einer verschneiten City oder nach Schmuddelwetter und hochgestelltem Mantelkragen. Ganz wie man will.
Wen es zu sehr fröstelt, der ist auf der Kettwiger Straße gut aufgehoben. Glühwein, ein Klassiker und Verkaufsschlager auf Weihnachtsmärkten, gibt es bei „Ritter“, wie alle anderen Getränke aber nur zum Mitnehmen. Ein Kunde, der dankend auf den Deckel zum Becher verzichten will, muss erfahren, dass dies nicht geht: „Der Deckel muss drauf. Das ist wegen ,to go’. Sonst machen wir hier ganz schnell wieder zu“, heißt es hinter der Theke. Das Einhalten der Hygienevorschriften ist ein Muss, das Ordnungsamt hat ein Auge drauf.
Der Verzehr von Speisen und Getränken an Tischen und Bänken ist nicht gestattet
Der Verzehr von Speisen und Getränken an Tischen und Bänken ist nicht gestattet. Seinen „Feuerwald“ auf dem Kardinal-Hengsbach-Platz muss „Ritter“ deshalb wieder abbauen. Auch Ritters Bude auf dem Kennedyplatz kommt wieder weg. Der Elch, das Wappentier an der Hütte, scheint traurig dreinzublicken. Der Platzhirsch auf dem Essener Weihnachtsmarkt begnügt sich im „Winter in Essen“ mit einem Verkaufsstand.
Ein paar Schritte weiter bieten Lola und Gerd Meyer Engelsfiguren, Nussknacker und sonstige Weihnachtsdekorationen an: Nach Essen kommen sie seit 44 Jahren. Wie ist die Stimmung? „Na, so wie es hier aussieht“, sagt Lola Meyer und zeigt lachend über den weitgehend leeren Kennedyplatz. Das Ehepaar aus Köln hat sich seinen rheinischen Humor bewahrt. Die Ware war bestellt. Nun muss sie nur noch bezahlt werden. Also: „Augen zu und durch.“
Händler-Ehepaar aus Köln will seine Stammkunden nicht enttäuschen
Der Stand auf dem Weihnachtsmarkt sei schon immer ein Zubrot gewesen, erzählt Gerd Meyer. Als Rentner seien sie auf das Geschäft nicht angewiesen, so der 77-Jährige. Beiden macht es aber offensichtlich nach wie vor Freude, auch wenn die Umstände dafür in diesem Jahr kaum Anlass geben.
„Wir haben viele Stammkunden. Einige waren auch schon da“, berichtet Lola Meyer. Alle anderen möchten sie nicht enttäuschen. „Schreiben Sie nicht zu negativ“, ruft Gerd Meyer dem Reporter hinterher. „Davon hat auch keiner was.“
So versuchen sie mit „Winter in Essen“ unter Corona-Bedingungen das Beste aus der Adventszeit zu machen. Zehntausende werden dafür nicht in die Innenstadt strömen. Das wäre wohl auch nicht erwünscht angesichts der nach wie vor hohen Infektionszahlen. So ist der deutlich abgespeckte Budenzauber eine Gratwanderung zwischen dem, was erlaubt ist, und dem, was noch vertretbar scheint. Denjenigen, die kommen, will man wenigstens etwas Weihnachtsstimmung bieten. „Dafür wird jetzt auch die Beleuchtung etwas früher eingeschaltet“, kündigt EMG-Chef Richard Röhrhoff an.
Gegen Dunkelheit hilft Licht.