Essen. Essens „Klima-Ampel“ soll Orientierung bieten: Welche Folgen haben Beschlüsse des Stadtrates fürs Klima? Das zu berechnen, ist jedoch kompliziert.

Rot, gelb, grün. Wie eine Ampel funktioniert, weiß jedes Kind. Die Stadt Essen führt nun eine neue Ampel ein. Eine „Klima-Ampel“. Und die ist komplizierter, als es die drei Farben vermuten lassen.

Mit Beginn der neuen Ratsperiode sollen die Mitglieder des Stadtrates mit einem Blick erkennen, ob ein Beschluss, den sie fassen, schädlich fürs Klima ist oder förderlich. Vorlagen, welche die Verwaltung dem Stadtparlament zur Beratung vorlegt, werden deshalb ergänzt durch die „Klima-Ampel “. Das wird nicht für jede Vorlage gelten, aber immer dann, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, zum Beispiel um Bauvorhaben oder um Mobilität in der Stadt. Rot, gelb, grün - schädlich, neutral oder unschädlich fürs Klima? Das zeigt die Ampel an.

Als Maßstab hat die Stadt Essen 500 Tonnen CO2 festgelegt

Die Stadt Essen orientiert sich dabei an einer Empfehlung, die das Deutsche Institut für Urbanistik im Auftrag des Deutschen Städtetages erarbeitet hat, berichtet Kai Lipsius von der Grünen Hauptstadt-Agentur der Stadt Essen, die sich um Fragen rund um den Klimaschutz kümmert. Woran lässt sich messen, ob eine Entscheidung das Klima positiv beeinflusst oder negativ? Bezugsgröße ist allein die CO 2 -Bilanz, erläutert Lipsius. Steigt die Treibhausgasemission oder sinkt sie? Als Maßstab hat die Stadt 500 Tonnen CO 2 festgelegt. Alles was darüber liegt, wäre besonders schädlich fürs Klima. Werden auf Dauer 500 Tonnen eingespart oder mehr, wäre dies ein „erheblicher Beitrag für den Klimaschutz“. Alles, was dazwischen liegt, stuft die Verwaltung als geringfügigen Effekt ein - in die eine oder in die andere Richtung.

Das Deutsche Institut für Urbanistik empfiehlt, den Maßstab niedriger anzulegen - bei 100 Tonnen. Warum weicht die Stadt Essen davon ab? Lipsius verweist darauf, dass laut Klimabilanz in Essen pro Jahr knapp fünf Millionen Tonnen CO 2 anfallen. Eine Einsparung von 100 Tonnen wolle man deshalb nicht bereits als großen Erfolg darstellen. Deshalb liege die Messlatte höher.

Die „Parents for Future“ hätten sich einen strengeren Maßstab gewünscht

Bei Klima-Aktivisten stößt dies auf Kritik. Sie befürchten, dass klimaschädliche Entscheidungen „unter dem Radar“ getroffen werden könnten und positive Beschlüsse nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienten. „Wir fänden es besser, wenn man sich ehrlich macht“, sagt Christiane Gregor von den „Parents for Future“.

Wie aber wird der Effekt ermittelt? Die Verwaltung bedient sich dabei fester Parameter. Werden beispielsweise 1000 Liter Diesel weniger verbraucht, entspricht dies einer Einsparung von 2,9 Tonnen CO 2 . Die Weiße Flotte möchte ihr Flaggschiff, die „Stadt Essen“, auf Elektrobetrieb umrüsten und hat ausgerechnet, dass dadurch 50,9 Tonnen CO 2 pro Jahr eingespart werden könnten. Baut die Stadt eine neue Straße, schlägt sich das pro Meter in der Bilanz mit 30 Kilogramm mehr an CO 2 nieder.

Bevor die Verwaltung einen Strich zieht, heißt es, gegenzurechnen. Und hier wird es kompliziert. Einen Radweg zu bauen, bedeutet zunächst einmal, dass mehr CO 2 anfällt. Aber wie viele Bürger nutzen öfter das Rad und lassen das Auto dafür stehen, wenn der Radweg fertig ist? Der Bau einer neuen Wohnsiedlung könnte bedeuten, dass die Zahl der Berufspendler sinkt. Aber was heißt es für die Klima-Bilanz, wenn auf der grünen Wiese zwar schöne neue Passiv-Häuser mit begrünten Flachdächern entstehen, die Bewohner aber zur Kita oder zum Einkaufen kilometerweit fahren müssen. Lässt sich all das berechnen? Kai Lipsius von der Grünen Hauptstadt-Agentur räumt ein, dass dies schwierig ist. Wie aussagekräftig ist die „Klima-Ampel“ dann?

Rot, gelb oder grün? Den „Parents for Future“ ist das zu wenig

Laut Lipsius soll die Ampel für den Klimaschutz sensibilisieren. „Logischerweise werden weiterhin Kindertagesstätten gebaut“, nennt er ein Beispiel. Die Frage sei, nach welchen Energiestandards. Die Ampel biete Orientierung. „Wir sind selbst gespannt, wie die Ratsmitglieder damit umgehen.“

Rolf Fliß, Umweltpolitiker der Grünen, nennt die „Klima-Ampel“ „einen Schritt in die richtige Richtung“. Damit umzugehen, werde der Rat üben müssen. Die Qualität der Ampel werde sich im Praxistest erweisen. Entscheidend sei, welche Rückschlüsse die Politik daraus zieht, wenn die Ampel rot oder gelb anzeigt.

Kai Hemsteeg, Fraktionssprecher des Essener Bürgerbündnisses (EBB) hat keine allzu hohen Erwartungen. „Ich will die ,Klima-Ampel’ nicht gleich verteufeln“, sagt Hemsteeg, gibt aber zu bedenken, dass es offensichtlich sehr schwierig sei, einen „ökologischen Fingerabdruck“ zu erstellen. Der Aufwand für die Verwaltung sei seiner Einschätzung nach jedenfalls sehr hoch.

Die Klimaschutzbewegung „Parents for Future“ hatte die Einführung der „Klima-Ampel“ lautstark gefordert. Entscheidungen des Stadtrates sollen mit Hilfe der Ampel transparenter und nachvollziehbarer werden. Wichtig sei, dass die Folgen fürs Klima sehr engmaschig berechnet werden, unterstreicht Christiane Gregor von den Parents. Dafür bedürfe es genügend Personal in der Verwaltung, das im Umgang mit der Ampel geschult werden müsse. Andernfalls könnte das neue Instrument schnell zum „zahnlosen Tiger“ werden. Rot, gelb oder grün? Den „Parents for Future“ wäre das zu wenig. Wichtig sei, dass zu klimaschädlichem Handeln auch Alternativen angeboten werden.

[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]