Essen. Der Herbst ist ideal, um den Kettwiger Panoramasteig kennenzulernen. Empfehlenswert ist besonders der waldreiche Abschnitt südlich der Ruhr.

Viel Touristisches kann man nicht mehr unternehmen in diesen Zeiten. Was aber noch problemlos geht, allein oder auch gemeinsam mit wenigen anderen: Wandern in der Nähe.

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Corona und der Lockdown haben dem Wander-Boom in Essen noch einmal einen großen Schub gegeben, mit dem Kettwiger Panoramasteig gibt es zudem eine noch ziemlich neue Route, die eine Reihe von bestehenden Wegen zu einer tagesfüllenden Runde zusammenfasst. Und anders als beim älteren Baldeneysteig, hat sie noch nicht „jeder“ schon mal gemacht.

Warum man den Kettwiger Panoramasteig am besten in Werden startet

Den Kettwiger Panoramasteig startet man am besten in Werden, auch weil man ihn dann sinnvoll abkürzen kann – davon später mehr. Außerdem empfiehlt es sich, zuerst mit frischer Kraft die schönere Weghälfte südlich der Ruhr zu gehen, die gerade im Herbst wegen ihres Waldreichtums besonders anregend ist. Wer mit dem Auto anreist, kann zum Beispiel „Im Löwental“ parken, wer mit der S-Bahn kommt, startet die Tour am nahen Bahnhof, von beiden Orten aus kann man bereits der Markierung folgen. Zunächst führt der Weg durch einige Nebenstraßen der Werdener Altstadt, die hier und da pittoresk, aber zum Glück keine Hochleistungs-Idylle ist. Eine passende Einstimmung.

Hier geht’s hoch: Einstieg des Kettwiger Panoramawegs am Rand der Werdener Altstadt.
Hier geht’s hoch: Einstieg des Kettwiger Panoramawegs am Rand der Werdener Altstadt. © F.S.

Der eigentliche Einstieg in die Landschaft könnte schöner nicht sein. Am höchsten Punkt der Straße „An der Stadtmauer“ beginnt ein alter Wanderweg in den Pastoratsberg, eine mit Bruchstein-Elementen gerahmte Treppe wirkt einladend wie ein kleines Tor.

Ohne die Wegegestalter vergangener Zeiten gäbe es die beiden Essener Steige nicht

Oftmals hat man beim Wandern in Essen Gelegenheit, die Wegegestalter vergangener Zeiten zu rühmen, ohne die es weder den Baldeneysteig noch den Kettwiger Panoramasteig gäbe. Über 60 Kilometer zählen beide Steige zusammen, und es ist schon aus Kostengründen nicht ein einziger Meter Wege-Neubau dabei, obwohl das an einigen Stellen nicht schlecht gewesen wäre.

Gemächlich, aber durchaus schweißtreibend gewinnt der Weg an Höhe, und das erste, was am Pastoratsberg neben dem alten Baumbestand auffällt, sind Spuren des einst reichen jüdischen Lebens in Werden. Mitten im Wald, fast am Abhang, trifft man auf den kleinen jüdischen Friedhof, kurze Zeit darauf passiert der Weg eine Gründerzeitvilla mit auffallend großen Balkonen: Das ehemalige Erholungshaus der jüdischen Gemeinden von Essen und Düsseldorf ist heute im Privatbesitz.

Die naturnahe Waldentwicklung in Essen zahlt sich aus

Vor Jahrzehnten hat Essen begonnen, den auf rasches Wachsen getrimmten Wirtschaftswald zurückzudrängen und die naturnahe Waldentwicklung zu favorisieren, was an den oft wunderbar steilen Ruhrhängen, ohnehin naheliegt. Das zahlt sich nun aus. Über viele Kilometer führt der Kettwiger Steig an seiner Südseite auf den Heidhauser Höhen durch schönen Mischwald, die Wege sind oft schmal, was Wanderer mögen. „Schritte durch trocken raschelndes Herbstlaub führen mitunter weiter hinaus als manche Flugreise“, schreibt der Reisebuchautor Wolfgang Abel. Genauso ist es. Wobei auch feuchtes Laub ein Geh-Erlebnis ist, die Wege sind dann knieschonend gepolstert.

Gut markierte Wege empfindet mancher als Zwangsjacke, die meisten aber sehen die Wanderzeichen als Service, um dort anzukommen, wo man hinwollte, was gerade bei langen Touren beruhigend sein kann. Auf jeden Fall ermöglicht eine narrensichere Markierung, wie sie der Kettwiger Panoramasteig bietet, vollkommen entspanntes Gehen. Verlaufen ist eigentlich unmöglich. Das sollte verführen, alle Sinne auf Empfang zu stellen, sich überraschen zu lassen. Wandern kann öde sein, wenn man nur verkrampft Kilometer frisst und selbst durch die schönsten Gegenden mit Scheuklappen läuft.

Nicht zu verfehlen: Der Kettwiger Panoramasteig ist bestens markiert.
Nicht zu verfehlen: Der Kettwiger Panoramasteig ist bestens markiert. © F.S.

Auf der Höhe von Haus Oefte ist es noch ruhig, dann wird es rummeliger

Nach Kettwig hin weitet sich die Landschaft, wird stärker agrarischer, der Weg hält sich aber meist an der Kante zum Tal, wo seit Urzeiten Wald wächst. Auf der Höhe von Haus Oefte kann es noch relativ einsam sein, in den Wäldern rund um die Jugendbildungsstätte Haus Altfrid wird es dann endgültig voller. Das ist normal, in der Nähe von größeren Orten gesellen sich zu den Wanderern stets die Spaziergänger, oft mit Hunden.

Überhaupt, die Fülle. Es ist erfreulich, dass die beiden Essener Weitwanderwege, der Baldeneysteig und eben der Kettwiger Panoramasteig, so großen Anklang finden. Das mediale Interesse hat alle überwältigt und auch überregional viel bewirkt. Selbst die Frankfurter Allgemeine entdeckte jüngst, dass sich da Erstaunliches getan hat in Essen, einer Stadt, die Reisejournalisten früher selten auf der Agenda hatten und erst Recht nicht mit dem Thema Wandern in Verbindung brachten.

Kehrseite der Bekanntheit: Alleinsein ist am Wochenende kaum noch möglich

Die Folgen dieser Zuneigung sind allerdings nicht nur positiv: An schönen Wochenenden kann es schon ein bisschen viel werden mit den wandernden Groß- oder Kleingruppen, die einem manchmal im Minutentakt begegnen. Wandern im eigentlichen Sinn ist eben auch die Freude am Alleinsein mit sich, der Natur und der Landschaft. Ein Erlebnis, das auf den Essener Steigen praktisch nur noch unter der Woche möglich ist. Oder bei schlechtem Wetter.

In Kettwig angekommen, bietet sich ein Schlenker in die Altstadt an. Je nachdem, wie intensiv man sich in den Wander-Modus begeben hat, mag es manchen aber auch rasch wieder in ruhigere Gegenden ziehen, was kein Fehler ist.

Am Wegesrand: Gräber von Kriegsopfern am Waldfriedhof in Kettwig.
Am Wegesrand: Gräber von Kriegsopfern am Waldfriedhof in Kettwig.

Auch der Kettwiger Stadtwald hat im Herbst besondere Qualitäten

Wer in Werden auf der Südseite der Ruhr startete, ist in Kettwig nun auf der Nordseite. Ein paar 100 Meter geht es am Fluss entlang, dann führt der Weg über ein paar ruhige Wohnstraßen bergan und erreicht schließlich den Kettwiger Stadtwald, der im Herbst seine besonderen Qualitäten zeigt. Auch hier gibt es wieder einige prachtvolle Aussichten, die dem Weg seinen Namen geben, vor allem aber ein ergreifend schön gelegenes Feld mit Kriegsgräbern. Ein Ort, der nicht nur Melancholiker anzieht.

Der Weg führt runter ins Ruhrtal, rund 17 Kilometer sind jetzt gegangen. Auf Höhe des Sträßchens Ruthertal ist eine Entscheidung fällig: Der Panoramasteig führt in einem weiten Bogen wieder hoch bis in die Gegend der A 52. Sehenswert ist auch dieser Abschnitt, dabei allerdings arg asphaltlastig und vor allem sehr lang. Eine Alternative und empfehlenswerte Abkürzung führt zunächst über die stark befahrene Ruhrtalstraße, der man nach links rund 200 Meter folgt. An einem Reiterhof beginnt rechts ein ruhiger Feldweg in Richtung Ruhr, nach wiederum einigen 100 Metern ist der Fluss erreicht.

Ein Buch bietet Anregendes über die Essener Steige

Der Kettwiger Panoramasteig misst komplett 35 Kilometer und ist damit für Durchschnittswanderer zu lang, um am Stück gegangen zu werden. Er lässt sich allerdings gut in zwei Abschnitte teilen oder auch abkürzen. Die in diesem Text empfohlene Variante kommt auf ungefähr 22 Kilometer.

Anregendes zum 2020 eingeweihten Panoramasteig und zum etwas älteren Baldeneysteig liefert ein Buch von Ralph Kindel und Jochen Tack: Urbane Steige in Essen. Der Baldeneysteig und der Kettwiger Panoramasteig, Klartext-Verlag, 144 Seiten, zahlreiche Fotos, Euro 16,95.

Ab hier lässt sich dann auf dem Rad- und Wanderweg entlang der Ruhr entspannt zurück nach Werden laufen, idealerweise mit ein paar neuen Gedanken im Kopf. „Essenz des Wanderns ist das Erlebnis von Freiheit. Ich verfüge souverän über Raum und Zeit“, formulierte der schriftstellernde Wanderer Ulrich Grobner mal seine Empfindungen. Oder etwas weniger feierlich: Selbst in der eigenen Stadt, in der man vielleicht dachte, alles zu kennen, sind Entdeckungsreisen möglich, wenn sie schon derzeit nicht in die Ferne führen können.

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