Essen. Jugendliche in Essen, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, haben noch gute Chancen. Denn es sind ungewöhnlich viele Lehrstellen frei.

Die Corona-Krise hat den Ausbildungsmarkt in Essen durcheinandergewirbelt – mit der Folge: Immer noch suchen viele junge Menschen nach ihrer Schulzeit einen Ausbildungsplatz. Die Chefin der Arbeitsagentur, Andrea Demler, machte ihnen jedoch Mut: „Da geht noch etwas. Denn es gibt noch eine ganze Reihe offener Ausbildungsstellen. Wir haben die Hoffnung, dass wir die Bewerber noch gut versorgen können“, betonte sie am Freitag bei der Vorlage der Ausbildungsbilanz 2020.

Auch die verschärften Corona-Regeln ab kommenden Montag sollen keine Auswirkungen auf die Vermittlungsbemühungen sowohl bei der Arbeitsagentur wie auch beim Jobcenter haben. „Wir suchen weiter den Kontakt mit den Jugendlichen und bieten individuelle Gespräche an. Natürlich unter Einhaltung der Schutzvorschriften“, betonte Demler.

Ausbildungsjahr ist bis Ende Januar 2021 verlängert

Eine abschließende Ausbildungsbilanz gibt es in diesem Jahr nicht. Denn die Ausbildungspartner haben entschieden, dass das Ausbildungsjahr nicht wie traditionell am 30. September endet, sondern erst am 31. Januar 2021. Solange sei es ohne Weiteres möglich, noch eine Lehrstelle anzutreten, sagte Andrea Demler. Auch die Berufsschulen seien mit im Boot.

Justin Schäfer und Johannes Meuter machen eine Lehre bei der Privatbrauerei Stauder. Das Essener Familienunternehmen hat trotz Corona mehr Lehrlinge eingestellt.
Justin Schäfer und Johannes Meuter machen eine Lehre bei der Privatbrauerei Stauder. Das Essener Familienunternehmen hat trotz Corona mehr Lehrlinge eingestellt. © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Die Zahlen, die die Arbeitsagentur präsentierte, zeigen die Corona-Verwerfungen deutlich: Ende September suchten in Essen noch 373 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Das sind 109 junge Leute mehr als zum gleichen Stichtag im vergangenen Jahr. Das größte Problem sei der fehlende Kontakt der Berufsberater zu den Jugendlichen gewesen. „Wir haben im Lockdown im Frühjahr acht bis zwölf Wochen verloren“, stellte Demler klar. In dieser Zeit lief keine Berufsberatung an den Schulen. Ausbildungsmessen oder Azubi-Speeddatings gibt es bis heute nicht.

Über 550 freie Lehrstellen in Essen

Viele haben sich daher noch nicht für eine Ausbildung entschieden. Die Folge: Ende September waren in Essen noch 552 Ausbildungsstellen frei. Das sind über 200 mehr als vor einem Jahr. Vor allem der Einzelhandel und die öffentliche Verwaltung suchen noch Nachwuchs. Aber auch für angehende Bürokaufleute und Zahnarzthelfer sind die Chancen gut.

Demler betonte, dass die Ausbildungsbereitschaft in den Unternehmen unter Corona nicht gelitten hat. Die Betriebe würden nach wie vor zu den freien Stellen stehen und wollen sie auch noch besetzen. Das habe erst jüngst eine Nachfrage gezeigt.

Es gibt darüber hinaus in Essen auch einige Betriebe, die trotz Corona sogar mehr ausbilden. Ein Beispiel dafür die Privatbrauerei Stauder. Normalerweise starten dort fünf Azubis ins erste Lehrjahr. Dieses Jahr sind es sechs. „Es wäre sicher falsch, an dieser Stelle zu sparen“, sagte Brauereichef Thomas Stauder.

Wie stark Corona allerdings den Ausbildungsmarkt und damit auch die Zukunftsperspektive vieler Jugendlicher zurückgeworfen hat, lässt sich auch an anderen Zahlen ablesen. Die Industrie- und Handelskammer sowie die Kreishandwerkerschaft haben einen genauen Überblick darüber, wie viele Ausbildungsverträge konkret abgeschlossen wurden. Und auch da zeigt sich die große Lücke zu den vorangegangenen Jahren.

Kammern bestätigen: Deutlich weniger Lehrverträge geschlossen

Bei der IHK meldeten die Essener Unternehmen bis Ende September genau 1829 unterschriebene Lehrverträge. Das war ein Rückgang um rund 17 Prozent, sagte IHK-Geschäftsführer Franz Roggemann, der in der Kammer für den Bereich Bildung zuständig ist. Nicht überraschend: Vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe brachen die Abschlüsse regelrecht ein. „Wer den Laden schließen muss, stellt auch keine Azubis ein“, verwies Roggemann auf den zurückliegenden Lockdown.

Kontakt zur Berufsberatung

Die Arbeitsagentur will bei ihren Vermittlungsbemühungen nicht nachlassen. Jugendliche hätten die Möglichkeit, mit einem Berufsberater Kontakt aufzunehmen. Das gehe über Termine vor Ort aber auch per Video oder Telefon.

Außerdem will die Arbeitsagentur ihr neues Format Walk&Talk fortführen, so lange es das Wetter zulässt. Bei diesem Format spaziert ein Bewerber zusammen mit einem Unternehmensvertreter durch das Univiertel - ein lockeres Bewerbungsgespräch also unter freiem Himmel.

Jugendliche, die mit der Arbeitsagentur Kontakt aufnehmen wollen, können das unter der Hotline 0201 1811234 oder per Mail an Essen.Berufsberatung@arbeitsagentur.de

Im Handwerk sah es nicht ganz so trüb aus. Mit 658 neuen Ausbildungsverhältnissen Ende September lag das Handwerk 9 Prozent unter dem Vorjahr. Jetzt, einen Monat später, war die Lücke dann schon auf 6 Prozent geschrumpft. „Das zeigt, wie viel Bewegung es noch gibt“, betone Claudia Schlitt von der Kreishandwerkerschaft.