Essen. Der Herdentrieb und das Hakenschlagen der Politik erhöhen die Verunsicherung der Bürger. Mehr Konzentration auf nachgewiesene Gefahren wäre gut.
Die Corona-Krise hat ihre eigenen Gesetze. Das, was gestern noch einigermaßen unbedenklich erschien, kann heute schon wieder als gefährlich gelten, und es drohen Verbote. Letztlich steht jede wirtschaftliche oder kulturelle Tätigkeit, die mit Publikum und Menschenansammlungen zu tun hat, unter ständigem Vorbehalt. Auf nichts ist Verlass, nichts ist planbar. Der Zombie Walk und die ökonomisch natürlich viel wichtigeren Veranstaltungen der Messe Essen werden nicht die letzten Events sein, die dem Hin und Her zum Opfer fallen.
Neben tatsächlichen Neuerkenntnissen in der Sache, die es in einem dynamischen Geschehen immer geben kann, spielt bei Corona auch der Herdentrieb eine erhebliche und ungute Rolle. Das Phänomen ist aus Kanzler- und Ministerpräsidenten-Runden sattsam bekannt, Oberbürgermeister Thomas Kufen hat das Wirrwarr und die öfter undurchdacht wirkenden Entscheidungsfindungen auf Landes- und Bundesebene am Donnerstag heftig kritisiert.
Hygienekonzept des Zombie Walks wurde erst gelobt und kurz darauf als unzureichend kritisiert
Der Herdentrieb bestimmt aber auch das Binnenverhältnis unter den Städten. Wenn in Bochum, Mülheim und Gelsenkirchen beispielsweise eine Maskenpflicht auch unter freiem Himmel eingeführt wird, wächst in Essen der Druck, diesen Schritt nachzuvollziehen – und zwar selbst dann, wenn es weiterhin nicht den geringsten Hinweis auf ein Infektionsgeschehen auf den Innenstadtstraßen gibt, sich an der Sachlage also gar nichts verändert hat.
Das Hygiene- und Abstandskonzept des Zombie Walks wurde noch vor wenigen Tagen gelobt, der Gang durch die Innenstadt erschien der Stadt vertretbar. Auch wenn der Untoten-Klamauk sicherlich nicht wirklich wichtig ist, so macht dieses Wechselbad dennoch keinen guten Eindruck. Hier agiert die Stadt ähnlich kopflos, wie sie es bei Bund und Land kritisiert.
Absagen der Messen waren wohl unvermeidbar, auch wenn das wirtschaftlich schmerzt
Anders muss man wohl die Absagen der Motor Show und der Internationale Pflanzenmesse IPM werten, die allein schon wegen der vielen potenziellen Besucher aus den Benelux-Risikogebieten nur noch schwer verantwortbar waren. Hier gab es tatsächlich eine andere Sachlage als vor vier Wochen. Für die Messe Essen mit ihren teils nagelneuen Hallen ist das alles sehr bitter, für die Essener Hotels, die finanziell nicht unter das Dach des Rathauses schlüpfen können, fast noch mehr.
Bei Oberbürgermeister Thomas Kufen und Gesundheitsdezernent Peter Renzel war bislang der Wille erkennbar, sich nicht einfach von den Ereignissen treiben zu lassen. Sie wollten Maß und Mitte halten und sich strikt daran orientieren, was nachgewiesenermaßen wirklich dem Gesundheitsschutz dient.
Es bedarf nicht viel Phantasie, um zu ahnen, dass es bei der Stadt auch ängstliche Naturen gibt, denen diese rationale, die Freiheiten der Bürger achtende Grundeinstellung nicht behagt; die es sich etwas volkspädagogischer wünschen würden oder die einfach gerne den Hardliner spielen.
Auch in einer Pandemie gibt es noch andere Rechtsgüter, die in die Abwägung einfließen müssen
Immer wieder müssen die Gerichte der Politik Nachhilfe geben, dass es auch in einer Pandemie noch andere Rechtsgüter gibt und dass die Corona-Maßnahmen sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren haben und Abwägungen gefragt sind. Mancher Bürger meint, noch die kleinste theoretische Infektionsgefahr rechtfertige das Herausholen des ganz großen Hammers. Das ist ein Irrtum, hier hat man es sozusagen mit der spiegelbildliche Variante des Verharmlosers zu tun. Wenn die Politik sich auf die bekannten wichtigen Ansteckungsorte – insbesondere im großen oder kleinen Familienkreis – konzentrieren würde und nicht so viele Nebenkriegsschauplätze aufmachte, wäre jedenfalls allen mehr geholfen.
Kufen sollte deshalb bei seinem Kurs bleiben: Entschlossenes Durchgreifen ist notwendig, wo es etwas bringt. Ansonsten ist Gradlinigkeit und Gelassenheit keine schlechte Strategie. Die Verunsicherung ist allgemein schon groß genug, sie sollte nicht durch Hakenschlagen der Entscheider noch größer werden.