Essen. Die Stadt Essen steht wegen des Online-Formulars zu Corona-Sünden am Pranger. Doch der Vorwurf Denunziantentum zu fördern, ist ungerecht.

Zu Recht darf der Bürger misstrauisch sein, wenn die Obrigkeit anfängt, sich in sein Privatleben einzumischen oder gar darin herumzuschnüffeln. Anders als in Diktaturen unterliegt die Privatsphäre im demokratischen Staat dem strengem Schutz der Verfassung, in diesem Fall des Grundgesetzes.

Es ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit, dass die Prinzipien der liberalen Verfassung auch durch das grassierende Coronavirus nicht angetastet oder gar außer Kraft gesetzt werden dürfen. Missachtet die Stadt Essen nun verbriefte Bürgerrechte, indem sie Meldungen zu Corona-Verstößen per Online-Formular zulässt? Oder schlimmer noch: Öffnet sie gar dem Denunziantentum Tür und Tor?

Der Sturm der Entrüstung, der sich jetzt im Internet manifestiert, muss sehr ernst genommen werden. Allerdings gewinnt das Aufregungspotenzial gerade in diesem flatterhaften Medium immense Ausmaße. Nahezu täglich wird im Netz eine neue Sau durchs Dorf gejagt, heute ist die anscheinend so böse Stadtverwaltung an der Reihe.

Sechs Monate Corona: Es ist eine helfende und schützende Verwaltung am Werk

Zu den Tatsachen nach gut sechs Monaten aufwühlender Corona-Krise gehört allerdings, dass in Essen eine helfende und, mehr noch, schützende Verwaltung am Werke ist – angefangen von den Fachleuten im Lagezentrum bis hin zum besonnenen Mitarbeiter in Gesundheits- oder Ordnungsamt. Der Vorwurf, die Stadt fordere ihre Bürger per Online-Formular zum Denunziantentum regelrecht auf, ist deshalb zutiefst ungerecht.

Wenn Herr Müller beispielsweise Frau Meier wegen einer angeblichen Corona-Sünde unbedingt anschwärzen möchte, dann kann er das auch telefonisch tun oder per E-Mail, entweder anonym oder mit vollem Namen. Die Online-Meldung ist als Arbeitsvereinfachung in schwieriger Zeit gedacht, weil sie helfen kann, Informationen zu bündeln.

Es ist wohlbemerkt nicht die Stadt, die das Denunziantentum fördert, sondern allenfalls die Krise. Dass Essen jetzt den unvorteilhaften Stempel eines Risikogebietes trägt, verschlimmert das Problem obendrein.