Essen. Ein wegen Missbrauchs vorbestrafter Priester ist nach 40 Jahren nach Essen zurückgekehrt. In der betroffenen Gemeinde sorgt das für Unruhe.

Die Nachricht war ein Schock für die Opfer: Als jüngst bekannt wurde, dass ein wegen Missbrauchs vorbestrafter Priester ins Bistum Essen zurückgekehrt ist, riss das Wunden auf, die ohnehin nie ganz verheilt sind. Der heute 72-Jährige hatte als junger Kaplan in Gemeinden in Bottrop und Essen mehrere Jungen missbraucht, bevor ihn das Bistum Essen 1980 nach München abschob. Seine Rückkehr nach vier Jahrzehnten sorgt auch in der Gemeinde für Unruhe, in der er seit diesem Mai lebt.

Das Bistum Essen hatte zunächst nur bestätigt, dass der pensionierte Priester wieder in seine Heimatdiözese gezogen sei, aber weder Stadt noch gar Stadtteil benannt. Auch in diesem Fall müsse man die Persönlichkeitsrechte respektieren. In der Gemeinde St. Antonius Abbas in Schönebeck lenkte unser Bericht über den 72-Jährigen jedoch den Verdacht auf einen kürzlich zugezogenen, isoliert lebenden Pensionär. Die veröffentlichten Initialen passten zum Namen am Klingelschild – und wer den googelt, findet schnell Artikel mit voller Namensnennung.

Die Kirche hat jahrzehntelang weggeschaut

Die Erkenntnis, wer da im beschaulichen Schönebeck lebt, sorgte in den Gremien der Gemeinde offenbar für Unmut: „Der Kirchenvorstand sagte mir, er sei gewählt, um Verantwortung zu übernehmen. Das könne er aber nicht, wenn er von nichts wisse“, erzählt Simon Friede, der seit Februar 2020 Interventionsbeauftragter des Bistums ist. Als solcher war er von Anfang an in den heiklen Umzug involviert.

Denn im Bistum Essen hatte man nun endlich etwas richtig machen wollen in einem Fall, in dem jahrzehntelang alles schief gelaufen war. Obwohl sein Therapeut schon 1980 mahnte, den Mann nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeiten zu lassen, wurde er immer wieder als Priester in bayerischen Gemeinden eingesetzt, zerstörte unter den Augen der katholischen Kirche das Leben vieler Jungen. Erst im Zuge des 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsskandals wurde er in den Ruhestand versetzt.

Hoffnung, dass der Täter doch noch Reue empfindet

Zehn Jahre später wollte das Bistum München-Freising den Täter offenbar loswerden. Das Ruhrbistum, wo er einst zum Priester geweiht wurde, bleibt für ihn verantwortlich. Hier soll er nun unter Aufsicht leben. „Wir haben eine Wohnung gesucht, eine Betreuung organisiert“, sagt Friede. Der Geistliche darf keine priesterlichen Aufgaben mehr wahrnehmen, muss an Wochentagen regelmäßig an Gesprächen teilnehmen.

Das dient zum einen der Kontrolle, soll zum anderen eine späte Einsicht bei dem Uneinsichtigen befördern. Die Therapien seien auf mindestens zweieinhalb Jahre angelegt. „Viele Täter bagatellisieren, was sie anderen angetan haben, die Therapie zielt darauf ab, dass sie möglichst irgendwann Reue empfinden“, erklärt Friede.

Chronik des Missbrauch-Falls – Kirche sah jahrzehntelang weg

Der 72-Jährige, der jetzt nach Essen zurückkehrte, wurde 1973 im Bistum Essen zum Priester geweiht. Daher bleibt die Diözese zeitlebens für ihn verantwortlich. Dabei hatte der Mann Essen schon im Jahr 1980 Richtung München verlassen. Zuvor hatte er bei seinen Einsätzen in Bottrop und in Essen jeweils mehrere oft erst elf, zwölf Jahre alte Jungen missbraucht.

In Essen verzichteten die Eltern auf eine Anzeige. Die Kirche versprach, dass der junge Kaplan aus dem Dienst entfernt werde und eine Therapie machen müsse. Die nahm er 1980 in München auf. Doch gegen den dringenden Rat seines Psychiaters wurde der uneinsichtige und therapieunfähige Priester in den folgenden Jahrzehnten weiter im Bistum München-Freising eingesetzt – sogar noch nach einer Bewährungsstrafe wegen Kindesmissbrauchs.

Erst als im Jahr 2010 zahllose Missbrauchs-Fälle in der katholischen Kirche bekannt wurden, versetzte man auch den betreffenden Geistlichen in den Ruhestand, bei gekürzter Pension. Wie jüngst bekannt wurde, kehrte er im Mai 2020 ins Bistum Essen zurück, wohl auf Wunsch der Münchner, die ihn loswerden wollten.

Man habe sich auch Gedanken gemacht, wie offen man mit dem Umzug nach Schönebeck umgehen solle. Die Idee, keinen Namen aufs Klingelschild zu schreiben, habe man schon deshalb verworfen, weil das erst recht Fragen provoziert hätte. Direkt informiert wurden nur eine Handvoll Personen, etwa Pfarrer Wolfgang Haberla von der Pfarrei St. Josef und Pastor Benno Brengelmann von St. Antonius Abbas; sie bat man um Vertraulichkeit. „Ich habe versprochen, dass ich komme und mit allen rede, falls der Umzug bekannt werden sollte“, so Friede.

Unverständnis, dass das Bistum die Gemeinde nicht vorher informiert hat

Als das nun geschah, habe er sich sofort mit dem Kirchenvorstand verabredet, weitere Gespräche stehen an. „Wenn man Kinder und Jugendliche in der Gemeinde hat, ist es verständlich, dass es für Unruhe sorgt, wenn ein Täter herzieht, der Kinder missbraucht hat“, sagt Friede. Es gebe in Schönebeck nun Sorgen und Ärger über die fehlende Vorabinformation, aber keine Hysterie.

Das mag auch daran liegen, „dass die deutliche Mehrheit der Gemeindemitglieder noch nichts weiß“, wie Pastor Brengelmann sagt. Er weist darauf hin, dass der pensionierte Priester seinen Wohnort eigentlich frei wählen dürfte: „Wenn die Kirche ihn rauswirft, kann ihm niemand mehr etwas sagen. So hat der Bischof noch einen gewissen Einfluss auf ihn.“ Dennoch könnte es einige stören, dass man die Gemeinde nicht vorher ins Bild gesetzt hat, glaubt Brengelmann. „Manche wären gern gefragt worden.“

Pfarrgemeinderatsvorsitzende will einen Tumult vermeiden

Der Pfarrgemeinderat, der am Dienstag tagte, behandelte das brisante Thema unter Vermischtes; vorher wurde die Tagesordnung von Martinszug bis Sternsingen erledigt. „Dann haben wir kurz darüber informiert. Da ist keine Diskussion entflammt“, sagt die Vorsitzende Gerswida Küppers-Tonner. Es sei dahingestellt, ob das an der Besonnenheit der Teilnehmer oder an der vorgerückten Stunde lag. Man werde zu einem anderen Zeitpunkt weiter sprechen, betont Küppers-Tonner: „Es muss sichergestellt sein, dass hier nichts passiert.“ Zugleich müsse man verhindern, dass es zum Tumult komme und „Leute übergriffig werden.“

In dieser doppelten Verantwortung sieht sich auch der Interventionsbeauftragte Simon Friede. Er habe den 72-Jährigen daher angerufen und ihm gesagt, „dass das bekannt ist und wir dazu informieren“. Dem Pensionär müsse klar sein, dass es in der Bevölkerung eine hohe Sensibilität beim Thema Missbrauch gebe.

Opfer hätten mehr Aufmerksamkeit verdient als der Täter

Er wünschte, er hätte den Opfern schon so viel Zeit widmen können wie dem Täter, sagt Simon Friede, der zuvor in einer Beratungsstelle für Betroffene gearbeitet hat. Das Leid derjenigen, die als Jungen missbraucht wurden, könne man nicht wieder gut machen. „Aber wir können etwas gegen die Ohnmacht tun, die sie empfinden.“

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