Essen. Die „Schande für die NRW-Polizei“ hat spürbare Folgen. Auf der Straße machen sich Täter zu Opfern. Polizisten fühlen sich in Sippenhaft genommen.
Der Skandal um rechtsextreme Polizei-Chats erschüttert das Präsidium Essen bis in die Grundfesten und des Bürgers Behördenbild zutiefst. Während Sonderermittler derzeit weitere Hinweise auf mittlerweile über 100 Verdachtsfälle aus den vergangenen Jahren sammeln, mahnen Gewerkschafter und Personalräte inständig, nicht alle Beschuldigten über einen Kamm zu scheren und nicht gleich die ganze Belegschaft in Sippenhaft zu nehmen. Die Fakten müssten entscheiden, nicht die Stimmungslage, so die Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Doch die „Schande für die NRW-Polizei“, wie es der Innenminister nun einmal formulierte, hat inzwischen ziemlich handfeste Folgen: Auf der Straße versuchen Kriminelle im Fahrwasser der Vorwürfe übles Kapital aus der Nazi-Debatte zu schlagen. Sie stilisieren sich bei einer zunehmenden Zahl von Einsätzen vom Täter zum Opfer. Schlimmer noch: Sie bekommen sogar noch Unterstützung von unbeteiligten Zeugen, die gegen Beamte in Auseinandersetzungen mit augenscheinlichen Migranten die verbale Rassismuskeule hervorholen.
Die Anfeindungen haben eine erschreckende Größenordnung angenommen
„Die Anfeindungen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen haben eine erschreckende Größenordnung angenommen“, sagte Heiko Müller, Vorsitzender der GdP für Essen und Mülheim, in einem exklusiven Gespräch mit dieser Zeitung. Die Zahl solcher Zwischenfälle sei zwar nicht erfasst worden, doch stehe eindeutig fest: Das Einsatzgeschehen auf der Straße ist durch die Rechtsextremismus-Debatte inzwischen massiv belastet. Dabei trifft es die große Mehrzahl der Polizisten, die mit den durch einen Zufall aufgedeckten Machenschaften vorrangig in einer Mülheimer Dienstgruppe rein nichts zu tun haben dürften.
Hochkriminelle gehen junge Beamte an, die nichts anderes als ihren Job machen. Sie titulieren sie nicht nur als „Nazisau“ oder als „Rassisten“. Sondern sie drohen sogar damit, sich selbst zu verletzen, indem sie etwa ihren Kopf vor die Scheibe schlagen wollen, um die Wunden später den Polizisten anlasten zu können, die ja „Rassistenschweine“ sind. „Da werden rechtsstaatliche Maßnahmen ganz bewusst ins Gegenteil verkehrt“, sagt der GdP-Vorsitzende - frei nach dem Motto: „Ihr seid eh alle Rassisten, wir können uns verhalten, wie wir wollen.“
Den Betroffenen stehen auch Seelsorger zur Verfügung
Doch nicht nur im täglichen Polizeidienst sind die mutmaßlichen Verfehlungen von bislang 30 Beamtinnen und Beamten im Präsidium Essen zur großen Belastung geworden. Auch intern wird in zahllosen Gesprächen versucht, die geharnischten Vorwürfe aufzuarbeiten. Der Belegschaft dienen nicht nur zwei Extremismusbeauftragte als Ansprechpartner, sondern ihnen stehen auch Gewerkschafter und Personalräte zur Verfügung.
Selbst Seelsorger kümmern sich inzwischen um die direkt von den Vorwürfen und dienstlichen Konsequenzen Betroffenen, die von einem Tag auf den anderen nun schlicht Angst um ihre Zukunft und die ihrer Familie haben. Die Befürchtung, vom Polizisten zum Hartz IV-Empfänger degradiert zu werden, ist groß.
Wie real ein solches Schicksal für welchen der Verdächtigen am Ende allerdings sein wird, ist derzeit völlig offen. Auch Heiko Müller weiß nicht, welche verfassungsfeindlichen Bilder in welchem Umfang an wen in den Dienstgruppenchats verschickt worden sind, welche womöglich nur satirische, welche strafrechtliche Inhalte zeigen. Das alles ist Gegenstand der Ermittlungen und damit geheime Kommandosache.
Einer der Beschuldigten ist mit einer Farbigen verheiratet
Kein Geheimnis ist jedoch, dass unter den Beschuldigten Beamte mit Migrationshintergrund sind, dass einer der Polizisten mit einer Farbigen verheiratet ist, dass eine Beamtin vor etwa sieben Jahren „drei Bilder“ erhalten und denen keinerlei Beachtung geschenkt haben will - was die Bandbreite der unterstellten Vergehen vielleicht in einem ersten anderen Licht erscheinen lässt.
Dennoch, schuldig oder nicht: Derzeit fühlen sie sich alle durch ihre Suspendierung auf eine Stufe gestellt mit denen, die die internen Chatgruppen mit Formaten übelster Machart befeuert haben mögen. Wer die wahren Rädelsführer sind, ist ebenfalls noch nicht kommuniziert worden. Die, daran lässt Müller keinen Zweifel, „müssen nach dem Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen zeitnah eine harte Strafe erfahren“. Mit dem Ende strafrechtlicher Verfahren wird die Behörde aber wohl noch lange nicht zur Normalität zurückkehren können: Bis auch hinter jeder verwaltungsgerichtlichen Prozedur ein Haken steht, können durch Widersprüche gegen Entscheide Jahre ins Land gehen.
„Es geht nicht, dass alle Polizisten in die rechte Ecke geschoben werden“
Ähnlich lange könnte es dauern, bis das arg ramponierte Vertrauen in die Polizei in Essen und NRW wiederhergestellt ist. Der „Imageschaden ist schockierend“, sagt der GdP-Vorsitzende, der aber deshalb an die Bürger, „an die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“ appelliert, weiterhin die Beamten auf der Straße und jetzt nicht die falsche Seite zu unterstützen: „Es geht nicht, dass alle Polizisten in die rechte Ecke geschoben werden. Wir sind keine Nazis, sondern eine kunterbunte, weltoffene Polizei.“ Aber eben auch eine mit mutmaßlichen Verfassungsfeinden in den eigenen Reihen.
Vor dem Hintergrund erster Forderungen von SPD und Linken, den Essener Polizeipräsidenten Frank Richter abzusetzen, ist Müller überzeugt, dass „die Behördenleitung so schnell wie möglich reagiert“ hat: „Woher soll der Polizeipräsident wissen, welche Bilder in einer Chatgruppe geteilt werden?“ Es gebe keinerlei Grund für einen Vorgesetzten, in ein Handy zu gucken.