Essen-Holsterhausen. Eine Essener Flüchtlingsunterkunft nimmt vor allem erkrankte Menschen auf. Sie brauchen ganz besonders Hilfe und Unterstützung, so die Leiterin.
Tausende von Kilometern hatte der junge Afghane auf seiner Flucht zurückgelegt und schwere Verletzungen erlitten. Nach seiner Ankunft im Flüchtlingsheim an der Papestraße haperte es allerdings mit der medizinischen Behandlung. Der Mann sollte kein Einzelfall bleiben. „Auch andere Neuankömmlinge hatten Schwierigkeiten mit unserem Gesundheitssystem“, erinnert sich Heimleiterin Dagmar Schlenter. Sie fasste damals den Entschluss, „dass wir uns mehr um erkrankte Flüchtlinge kümmern müssen“. Einige Jahre später ist die Einrichtung zu dem Ort in Essen geworden, an dem vorwiegend Flüchtlinge mit körperlichen Gebrechen oder psychischen Leiden eine Bleibe finden.
Krankenkasse verweigerte zunächst ein simples Hilfsmittel
Das Bild des Afghanen hat die 64-Jährige noch immer vor Augen. Dass bei einer solchen Fußverletzung sich die Krankenkasse weigerte, ihm ein simples Hilfsmittel, einen orthopädischen Schuh, zuzubilligen, konnte und wollte die Diakonie-Beschäftigte nicht einfach hinnehmen. Wäre er auf sich allein gestellt geblieben, hätte die Kasse ihre Entscheidung wohl nicht zurückgenommen. Doch Dagmar Schlenter kümmerte sich um den Mann, bis er die Schuhe bekam, die ihm seither das Leben deutlich erleichtern.
In einem anderen Fall setzte sie sich dafür ein, dass der fünfjährige Sohn einer syrischen Familie am Harnleiter operiert wurde. „Das hat Normalität in das Leben des Jungen gebracht, macht ihn und seine Eltern froh und glücklich“. Dagmar Schlenter könnte noch viele weitere Beispiele von Menschen schildern, denen sich ihr Team und sie zugewandt haben. Ob es darum ging, dass nierenkranke Flüchtlinge eine Dialyse erhielten, Lungen-Patienten einen Facharzt fanden oder Diabetes-Erkrankten Medikamente verschrieben wurden, die Mitarbeiter waren stets zur Stelle und kümmern sich auch nach wie vor um die Sorgen und Nöten der Menschen.
Ausstellung bald im Gymnasium Überruhr
Eine zweite Fassung der Ausstellung war über mehrere Wochen in Coesfeld zu sehen und wird im fünfzügigen Gymnasium Überruhr aufgebaut.
Auch dort sollen - wie in Holsterhausen - Jugendliche geschult werden und Führungen für Mitschüler organisieren. Studenten des Projekts „Run in my shoes“ begleiten auch dort das Vorhaben.
Um das Thema noch weiter zu vertiefen, hat die Alte Synagoge auf der eigenen Homepage eine zusätzliche Seite geschaffen, die unter anderem Videos mit Berichten von Zeitzeugen enthält.
Team begleitet Flüchtlinge bei Arztbesuchen
„Die Flüchtlinge brauchen unsere Unterstützung“, sagt die Essenerin, „weil sie schlichtweg große Probleme haben, sich hierzulande zurechtzufinden.“ Die ersten Komplikationen stellten sich schon bei der Wahl eines Arztes ein. Aus ihren Heimatländern seien es die Menschen gewohnt, zur Behandlung ein Krankenhaus aufzusuchen: Zum einen sei dort die Versorgung kostenlos, zum anderen stünde ein Hospital oder eine Klinik auch immer für Wissen und Kompetenz, das einem Arzt auf dem Lande nicht unbedingt zugeschrieben werde. Folglich müssten Flüchtlinge hier erst einmal lernen, dass sich in Deutschland niedergelassene Ärzte ihrer annehmen und es neben Allgemein- auch eine große Bandbreite an Fachmedizinern gebe.
Auch interessant
Das Team an der Papestraße hilft bei der Suche nach den Adressen, begleitet Arztbesuche, organisiert auf Wunsch einen Dolmetscher. Denn als weiteres Handicap erweise sich, vor allem in der ersten Zeit nach der Ankunft, die mangelnde Sprachkenntnis. Das Gespräch in der Praxis über die Beschwerden sei aber nur das eine, „es müssen den Menschen auch die Behandlungswege erklärt werden“, so Schlenter. Beispiel Medikamente. Da erläutert der Mediziner sehr ausführlich die Arzneien und wie oft der Patient sie einnehmen soll, „aber hat er es auch wirklich verstanden und hält er sich auch daran?“
Leiterin verweist auf den Nutzen der Beratungsarbeit für das Gesundheitssystem
Im Bedarfsfall werde der Pflegedienst eingeschaltet, der sich dann um den Neuankömmling sorge. Selbst dürfe das Diakonie-Team die Medikamentengabe aus rechtlichen Gründen nicht übernehmen, so Schlenter, „wohl aber den Kontakt zu den Diensten herstellen“. Im Übrigen sei damit durchaus ein finanzieller Vorteil für das Gesundheitssystem verbunden. Denn man könne doch davon ausgehen, dass sich Krankheiten verschlimmern, wenn die Behandlung lückenhaft bleibe.
Trotz allen Bemühens hat das Team schon Fehlschläge erlebt. Für eine junge an Diabetes erkrankte Afrikanerin hatte das Heimatdorf Geld gesammelt, damit sie hier in Deutschland Hilfe finde. Doch die Frau hatte offensichtlich große Probleme, sich einzugewöhnen und nahm es mit den Medikamenten nicht so ernst, schließlich musste ihr ein Bein amputiert werden.
Vom ersten Tag ihrer Ankunft hat sich da ein Ehepaar aus Syrien, sie ist 45 Jahre alt, er 57, ganz anders verhalten. Beide haben an den Folgen von Kinderlähmung zu tragen, ihnen ist trotz allem die Flucht gelungen. Sie erzählen, dass sie sich an Verschreibungen halten und sprechen den Ärzten ein großes Lob aus, weil sie sich ihnen eingehend zuwenden würden. Der medizinische Standard, so geben sie zu verstehen, sei deutlich höher als in ihrer Heimat.
Mitarbeiterinnen haben ein offenes Ohr für die Fragen der Flüchtlinge
Dankbar sind sie den Mitarbeiterinnen der Diakonie, stets ein offenes Ohr zu haben. Wenn die Eheleute Fragen haben, stehe das Team zur Verfügung. „Ganz häufig kommen Flüchtlinge auch zu uns, weil sie mit uns nicht nur über die Diagnose, sondern über ihren Gemütszustand sprechen wollen“, betont Dagmar Schlenter. „Für solche Gespräche nehmen wir uns Zeit.“
Das gelte ebenso für Flüchtlinge, die psychisch erkrankt seien. Darunter sind viele aus dem Nahen Osten, die nach Erzählungen der Angehörigen bis zu Beginn der Bürgerkriege vollkommen gesund waren und nun mit Traumata zu kämpfen hätten. Die Bilder des Krieges wollen ihnen nicht aus dem Sinn gehen.