Essen. Vom Umgang mit dem Virus: Die Schau „Rettet die Liebe“ im Museum Folkwang zeigt Plakate aus aller Welt, die sich mit dem Thema Aids beschäftigen.
Keith Haring war 31 Jahre alt, als er 1990 an Aids starb. In nur wenigen Jahren hatte er ein Werk geschaffen, das bis heute in aller Welt enormen Bekanntheitsgrad hat. Seine Arbeiten zeigt das Museum Folkwang derzeit in einer hochgelobten Retrospektive. Darin kann man den amerikanischen Künstler nicht nur als gefeierten Schöpfer der berühmten Strichmännchen erleben, sondern auch als politisch engagierten Kopf, der gegen Atomwaffen, Apartheid und für die Rechte von Schwulen zeichnete. Als jemanden, der das Thema Aids aufs Schild hob, als Politik und Medien Anfang der 1980er Jahre noch beklommen wegguckten. So erscheint die Plakat-Ausstellung „Rettet die Liebe, internationale Plakate gegen Aids“ nun wie perfekte Ergänzung, auch wenn das Zusammenkommen beider Projekte am Ende ein glücklicher Zufall war.
Denn das Deutsche Plakat Museum in Essen hat seine schon beträchtliche Sammlung zum Thema Aids zuletzt noch einmal mit einem großen Konvolut aus privater Hand aufstocken können. Die längst zu historischen Zeitdokumenten gereiften Exponate werden nun erstmals in einer großen Schau präsentiert. 180 Plakate zeugen von der sich wandelnden Sicht auf eine weltweite Pandemie – von Amerika bis Russland, von Indien bis Somalia. Mal schockierend-explizit, mal andeutend-verschämt und hintergründig.
2018 lebten fast 38 Millionen Menschen mit HIV
„Rettet die Liebe“ klingt wie von Haringschem Überlebenslusttrotz gezeichneter Titel in einer Zeit, in der ein neuartiger Virus gerade wieder zur globalen Bedrohung geworden ist. Während die Haring-Schau dokumentiert, dass sich manches ähnelt im Umgang mit der Gefahr, und HIV von der amerikanischen Regierung unter Ronald Reagan anfangs so verharmlost wurde, wie Trump heute die Auswirkungen von Covid-19 herunterspielt, zeigt die Plakat-Ausstellung, dass die öffentliche Aufmerksamkeit spätestens dann abflaut, wenn ein Medikament gefunden worden ist, mit dem man die Krankheit zumindest langfristig überleben kann.
So geht die plakative Beschäftigung mit Aids in den 2000er Jahren deutlich zurück. Da hat die Gesellschaft zumindest medizinisch eine Antwort auf das bedrohliche Virus gefunden. Auch wenn eine großformatige Statistik zeigt, dass die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus alles andere als gebannt ist. Waren es im Jahr 2000 24.900.000 Menschen, die mit HIV/Aids lebten, wurden 2018 37.900.000 Betroffene gezählt. Antiretrovirale Therapien haben Aids zu einer chronischen, aber beherrschbaren Krankheit gemacht und sorgen für eine längere Lebenserwartung. Auch wenn die Chancen ungleich verteilt sind und der afrikanische Kontinent längst die allermeisten Neuerkrankungen zählt.
Ein Slogan bleibt: „Tina, wat kosten die Kondome?“
Infos zur Ausstellung
„Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen Aids“, bis 29. November. Öffnungszeiten: Di bis So, 10-18 Uhr, Do/Fr 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Der Katalog zur Ausstellung erscheint in der Edition Folkwang/Steidl: 144 S., 20 Euro.
Kombiführungen: Keith Haring und „Rettet die Liebe“: 19. September, 31. Oktober, 14. November, 14 bis 15.30 Uhr, Teilnahmebetrag: 3/erm. 1,50 Euro.
So virulent das Thema Aids in Afrika bis heute auch ist, so überschaubar bleibt das Konvolut der Anti-Aids-Kampagnen aus den Ländern. Und doch gibt es sie: Plakate aus Uganda, Tansania, Dschibuti. Oft mehr der reinen didaktischen Aufklärung verpflichtet als der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und den Solidaritäts-Aufrufen, mit der Haring und Künstlergruppen wie Act Up und Gran Fury das Thema schon Mitte der 80er Jahre aus jener Schmuddelecke holen, in die viele die als „Schwulenpest“ verschriene Krankheit zunächst verschämt schoben.
Dass der Kampf gegen HIV so vor allem auch ein Kampf gegen „Ausgrenzung, Stigmatisierung und eine angstgetriebene Irrationalität“ wurde, wie es Plakatmuseum-Chef René Grohnert beschreibt, belegt nicht nur eine Safer-Sex-Kampagne der Deutschen Aids-Hilfe mit der Aufschrift „Uns reicht’s“ über Bildern von Homosexuellen oder Prostituierten. Im Spannungsfeld von Sex und Moral, Schuld und Scham, Tradition und Religion bewegen sich etliche Arbeiten wie das berühmte Benetton-Plakat „Der Tod des David Kirby“ von Oliviero Toscani. Während Slogans wie „mach’s mit“ in Deutschland bald gesellschaftsfähig werden, Prominente nicht nur am Welt-Aidstag Rote Schleifen wie ein Accessoire tragen, und Hella von Sinnen 1989 in einem Werbespot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fröhlich über die Supermarkt-Kasse kräht: „Tina, wat kosten die Kondome?“
Nicht überall in der Welt klingt Anti-Aids-Aufklärung so selbstverständlich. Auch wenn HIV mit dem Tod von Rock Hudson 1985 und der Infektion des Teenagers Ryan White durch eine Blutkonserve in der Gesellschaft ankommt und den Kreis der Adressaten erweitern. „Frauen bekommen kein Aids. Sie sterben einfach daran“, heißt es 1991 auf einem Plakat von Gran Fury. Und 2005 warnt das New Yorker Gesundheitsamt: „Alter schützt nicht vor Aids.“ Über den jüngeren Forschungsstand hätte der Bonner Virologe Hendrik Streeck in einem Katalogtext Auskunft geben sollen. Er musste absagen. Eine andere Pandemie war dazwischengekommen.
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