Essen-Rüttenscheid. Luftbilder vom Wohnquartier Parc Dunant fachen die Diskussion um das Bauvorhaben erneut an. Grüne fürchten um „Luft zum atmen“ in Rüttenscheid.

Betonwüste, steinerner Moloch oder eine Bauweise, die den Bedingungen einer Großstadt entspricht? Die Meinungen über das Neubauviertel mit dem idyllisch klingenden Namen Parc Dunant gehen weit auseinander. Die Bilder, die die Siedlung aus der Vogelperspektive zeigen, haben die Diskussion noch weiter angefacht. In den sozialen Medien ist von „Plattenbau“ die Rede oder auch von architektonischer Einfallslosigkeit, ein User kommentiert gar: „Hörsterfeld an der Rü“.

Jetzt erst werde das wahre Ausmaß einer völlig verfehlten, städtebaulichen Gesamtmaßnahme deutlich, meint in einer Stellungnahme Holger Ackermann von der Initiative Henri 2020, die von Beginn an auf eine kleinere Lösung drängte. Es handele sich um ein Beispiel investorenfreundlicher Städteplanung.

Eine lichtere Bebauung wäre angesagt gewesen, meint Grünen-Ratsherr Rolf Fliß.
Eine lichtere Bebauung wäre angesagt gewesen, meint Grünen-Ratsherr Rolf Fliß. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

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In den 60er und 70er Jahren hätten Architekten wenigstens noch die Weitsicht besessen, zwischen den Hochhäusern an der Sylviastraße ausreichend Grün- und Freiflächen vorzusehen. Davon könne in dem „wahnsinnig eng bebauten“ Viertel keine Rede mehr sein. In Rüttenscheid dürfe es so nicht weitergehen, meint Ackermann. Solche Projekte würden den Druck auf die nicht mitwachsende Infrastruktur im Stadtteil erhöhen. Das könnte wiederum dazu führen, dass der von Investoren geschätzte Charakter von Rüttenscheid verloren gehe.

Architektenverbund spricht von „zeitgemäßer Bauweise“

Sorge um die Zukunft des Stadtteils umtreibt auch Grünen-Ratsherr Rolf Fliß. Man müsse vorsichtig sein, dass man „einem Stadtteil nicht die Luft zum Atmen nehme“. Wenn er sich die Siedlung ansehe, dann „riecht das nach maximaler Rendite“, die hier erzielt werden solle. Bis heute könne er nicht nachvollziehen, warum eine öffentliche Fläche, die einst dem landeseigenen Liegenschaftsbetrieb BLB NRW gehörte habe, an einen privaten Anbieter verkauft worden sei. Die städtische Tochter Allbau hätte seinerzeit auch zur Verfügung gestanden. Eine Lösung mit lichterer Bebauung hätte dem Viertel sicher gut getan, zumal von den Bäumen, die einst dort standen, keiner übrig geblieben sei.

Das 2. und 3. Gebäude in der hinteren Reihe sind mit einem Riegel miteinander verbunden. Auf Wohnungen darüber habe er verzichtet, sagt der Investor.
Das 2. und 3. Gebäude in der hinteren Reihe sind mit einem Riegel miteinander verbunden. Auf Wohnungen darüber habe er verzichtet, sagt der Investor. © www.blossey.eu | Hans Blossey

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Recht gute Noten verteilt indes Arndt Brüning, Sprecher des Bundes Deutscher Architekten in Essen. Sicherlich sei es ein ziemlicher Sprung, wenn man die bisherigen Wohnhäuser an der Henri-Dunant-Straße mit dem Parc Dunant vergleiche. Doch „wir haben es hier durchaus mit einer zeitgemäßen Bauweise in einem verdichteten Stadtteil zu tun“.

Nur einen Steinwurf weit entfernt, an der Müller-Breslau-Straße beispielsweise stünden eine Vielzahl an Hochhäusern. Rüttenscheid gehöre nun mal zu den beliebten Wohngegenden, darauf gelte es, passende Antworten zu finden. Als Vorteil sieht er auch, dass die gesamte Siedlung von einer zusammenhängenden Architektur geprägt sei und man es ferner nicht mit einer „Trabantenstadt“ zu tun habe“.

Gelassen gibt sich indes Michael Kraus, Geschäftsführer des Investors Gentes. Die Luftaufnahmen, die Kritiker auf den Plan gerufen haben, würden überhaupt kein Gesamtbild ergeben, gibt er zu verstehen. Denn es bestünden auch eine Menge an Freiräumen in dem Baugebiet. Aktuelle Bilder wären aber auch deshalb irreführend, weil sich der überwiegende Teil der Häuser noch im Rohbau befinde und eben längst noch nicht fertig seien. Erkennen lasse sich aber durchaus, dass entgegen ersten Planungen die Bauten einen reduzierten Umfang aufweisen würden.

Investor hebt den Umweltgedanken hervor, der auf die Gestaltung Einfluss genommen habe

Bei den U-förmig angelegten Häusern fehle eine Wohnungsfront. Nur im Parterrebereich bestehe eine Verbindung. Denen gewinnt Kraus durchaus ökologischen Wert ab, bieten sie doch nach seine Aussagen genügend Platz, um Fahrräder oder Pedelecs abzustellen. Die nahe gelegene alte Güterbahntrasse Rommenhöller-Gleis, die in eine Radroute umgebaut wird, fördere das Fahrradfahren, so Kraus.

Der Umweltgedanke spiele aber auch bei der weiteren Gestaltung eine Rolle. Damit es in der Siedlung grünt und blüht, seien 190 Neuanpflanzungen von heimischen Gehölzen vorgesehen, darunter auch die in Rüttenscheid so beliebte Kirsche. Ob sie aber auch annähernd einen Ersatz bieten können, zieht Rolf Fliß in Zweifel. Angesichts der Tiefgaragen könnten dort kaum Bäume mit tiefem Wurzelwerk angepflanzt werden, wie es sie vorher gegeben haben.

Angesichts der teils scharfen Kritik gibt Kraus zu bedenken, über welche Lage im Essener Stadtgebiet eigentlich gesprochen wird. „Wir sind hier nicht am Baldeneysee, sondern befinden uns mitten in einer ohnehin schon verdichteten Bebauung“. Diese urbane Situation sollte bei einer Bewertung auch ihre Beachtung finden.

Insgesamt 306 neue Wohnungen

Insgesamt entstehen in dem Baugebiet 306 Wohnungen. 91 davon haben Einzelkäufer als Eigentumswohnungen erworben, 215 sind an Investoren gegangen.

Den überwiegenden Teil davon wird das Wohnungsunternehmen Vivawest übernehmen, die auch bereits die Siedlung an der Köndgenstraße baut und in dieser Woche mit dem Projekt an der Manfredstraße (179 Wohnungen) startet.

Die Vermarktung der Mietwohnungen im Parc Dunant soll im ersten Quartal 2021 beginnen, Preise stünden noch nicht fest, teilte Vivawest mit.

Anwohnerparkplätze sind 302 in der Tiefgarage vorgesehen, weitere 14 im Freien und zudem 90 für Besucher.