Essen. SPD-Herausforderer Oliver Kern war für Thomas Kufen ein Traumgegner, denn dessen linke Agenda zog nicht. Auch die Grünen sind zurück im Spiel.

Die 60 Prozent aus der Infratest-Umfrage sind es am Ende nicht geworden, aber auch so ist das Ergebnis für Thomas Kufen ein Triumph. Im ersten Wahlgang schaffte der Oberbürgermeister seine Wiederwahl, was für einen Christdemokraten aus zwei Gründen beachtlich ist: Zum einen tut sich die CDU sonst bundesweit in Großstädten schwer, zum anderen: Essen ist zwar schon lange keine SPD-Stadt mehr, aber deswegen eben noch lange nicht eine flächendeckende Domäne der CDU. Das Ergebnis der Ratswahl, das für die CDU eher etwas schwächer ausfiel als erwartet, zeigt es.

Kufen ist ein Politiker-Typ, der nicht auf seine Partei beschränkt ist

Kufen ist ein Politiker-Typ, auf den sich offenbar auch viele einigen können, die der CDU durchaus fern stehen. Eher liberal als konservativ, grünen Ideen nicht abgeneigt und auch im Sozialen weiß er, wie die Menschen im Ruhrgebiet ticken: Es darf im Zweifel gerne etwas mehr Staat sein. Dass die Krankenhaus-Schließungen im Norden nicht zu einem Menetekel im Wahlkampf wurden, hat Kufen seinen präzise funktionierenden politischen Instinkten zu verdanken. Keiner seiner Konkurrenten kann in diesem Punkt mithalten.

Womit man bei Oliver Kern wäre, der nie den Eindruck machte, dass er über die rapide schwindende SPD-Kernklientel hinaus würde punkten können. Sicher, die Ausgangslage war schwierig. Kern war so gut wie unbekannt als der Wahlkampf begann, der OB saß fest im Sattel und hatte kaum Fehler gemacht, die die SPD hätte ausnutzen können – ganz anders als Kufen vor fünf Jahren, als er seinen SPD-Vorgänger Reinhard Paß besiegen konnte.

Kern hat die SPD und sich selbst politisch verengt - das hat sich nicht ausgezahlt

Kern hat sich selbst als erklärtermaßen linker Sozialdemokrat allerdings auch eine zu kleine politische Marktlücke eröffnet. Eher konservative Anhänger der SPD, die es auch immer noch gibt, können mit einem stark ideologisch getriebenen Kandidaten nicht viel anfangen. Merkwürdige Slogans wie „Gleiches Glück für alle“ nahmen deutliche Anleihen bei der Gedankenwelt der Linken, deren Lieblingsthema die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Gleichmacherei ist. Nicht zufällig wurde Kern dort sehr gelobt. Für Kufen war Kern jedenfalls ein Herausforderer wie er ihn bequemer nicht haben konnte.

Nicht zufrieden können auch die Grünen mit dem OB-Ergebnis sein. Mehrdad Mostofizadeh blieb blass, den Anspruch auf Platz 2 verfehlte er deutlich. Dafür überzeugt das Rats-Ergebnis der Grünen. Ob es am Ende für eine schwarz-grüne Mehrheit reicht, war in der Nacht noch nicht ganz klar, es sieht aber ganz so aus, als habe die CDU im Stadtrat künftig zwei Optionen: wie bisher die „Große Koalition“ mit der SPD oder die Zusammenarbeit mit den Grünen.

Vermutlich wird es im Rat zu einer schwarz-grünen Zusammenarbeit kommen

Vermutlich wird die CDU, wenn es irgend geht, letzteres vorziehen. Zu den politischen Besonderheiten in Essen zählt seit jeher, dass sich Schwarze und Grüne menschlich und teilweise auch politisch näher stehen als Rote und Grüne. Und gemeinsame Regierungserfahrung, die Vertrauen schaffte, gab es bis 2014 viele Jahre eben auch. Thomas Kufen hat in letzter Zeit zudem viel getan, um den Grünen zumindest bei ihrem Leitthema Verkehrswende entgegenzukommen. Das dürfte sich auszahlen. Gegen die CDU ist jedenfalls keine solide und realistische Mehrheit im Rat erkennbar.

Die personell und inhaltlich nach links gerückte und zahlenmäßig gerupfte SPD-Fraktion wird es schwer haben, Anschluss zu finden. Und die AfD? Mit Ausnahme der bekannten Hochburgen im Norden hat es nicht für die Zweistelligkeit gereicht. Doch wurde die Rechts-Partei klar viertstärkste Kraft im Rat. Schon deshalb wird es dort menschlich-politisch ungemütlich werden.

Kufens politische Karriere könnte irgendwann über Essen hinausgehen

Kufen kam am Sonntag Abend mit Armin Laschet im Schlepptau zur Wahlparty, der sich überglücklich im Sieger-Glanz des OB sonnte. Am Montag wird Kufen im CDU-Bundesvorstand geherzt. Man darf gespannt sein, wohin die politische Karriere des 47-jährigen Esseners noch führt, dem sowohl mit Laschet als auch mit Jens Spahn ein freundschaftliches Verhältnis verbindet.

Kufen kann, was nicht viele in der CDU können: über die eigene Klientel hinaus Wählerstimmen binden. Vorerst dürfte sein Platz in Essen sein, doch ist er jung genug, um vielleicht noch einmal in andere politische Funktionen zu gelangen.