Essen. Die Stadt Essen investiert massiv in den Ausbau des Radverkehrs. Die Kosten werden auf 232,5 Millionen Euro geschätzt. Was es dafür alles gibt.
Der Ausbau des Radverkehrs kommt ins Rollen: Mit großer Mehrheit ist der Rat der Stadt dem „Radentscheid Essen“ beigetreten. Die Erwartungshaltung der Initiatoren ist eindeutig: „Jetzt muss die Stadt zügig Nägel mit Köpfen machen“, sagt Björn Ahaus, einer der drei Vertretungsberechtigten des erfolgreichen Bürgerbegehrens, das 23.693 Essener Bürger mit ihrer Unterschrift unterstützt haben. Was ist geplant für den Radverkehr? Wie geht es weiter? Und welche Kosten kommen auf die Stadt zu?
Die Kosten: Die Stadt Essen muss viel Geld in die Hand nehmen. Die Stadtverwaltung schätzt die Kosten auf insgesamt 232,5 Millionen Euro. Diese werden ab 2022 auf neun Haushaltsjahre verteilt. An reinen Baukosten fallen jedes Jahr durchschnittlich 23,8 Millionen Euro an. Hinzu kommen Personal- und Planungskosten. Zum Vergleich: 2018 und 2019 hat die Stadt nur jeweils drei Millionen Euro für den Ausbau des Radverkehrs ausgegeben.
Bund und Land sollen Ausbau des Radverkehrs mit bis zu 80 Prozent der Kosten fördern
Die Initiatoren des Radentscheides gehen davon aus, dass Bund und Land je nach Projekt zwischen 50 und 80 Prozent der Kosten übernehmen. Die Stadt könne mit einer Förderung von durchschnittlich 65 Prozent rechnen. Essens Verkehrsdezernentin Simone Raskob nennt diese Annahme optimistisch. So werde beispielsweise die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung nicht gefördert.
Mehr Fahrradwege: Eine zentrale Forderung des Radentscheides ist der Ausbau des Radwegenetzes. Dies gilt allen voran für das sogenannte Hauptroutennetz. Dieses zusammenhängende Netz aus wichtigen Radwegeverbindungen wurde vor mehr als 20 Jahren geplant und zuletzt 2010 überarbeitet. Das Hauptroutennetz ist 197 Kilometer lang, fertiggestellt davon sind aber nur rund drei Viertel, die Lücken summieren sich auf rund 52 Kilometer. Ergänzt wird das das Hauptroutennetz um Nebenstrecken über insgesamt 323 Kilometer. Ab dem Jahr 2022 muss die Stadt jedes Jahr zehn Kilometer fertigstellen, um Lücken im Netz zu schließen. Die Stadtverwaltung schätzt die Kosten dafür auf insgesamt 70,4 Millionen Euro.
Die Stadt Essen muss jedes Jahr acht Kilometer an neuen Radwegen bauen
Die Stadt muss das Radwegenetz jedoch nicht nur vollenden, es sollen weitere Radwege entlang von Hauptstraßen hinzukommen - pro Jahr acht Kilometer. Radfahrer sollen dort fahren können, ohne dass sie vom Autoverkehr gefährdet oder behindert werden. Auch sollen sich Radfahrer und Fußgänger nicht in die Quere kommen. Je nach Ausbaustandard sollen die Radwege deshalb zwischen zwei und drei Meter breit sein. An Kreuzungen sollen sie sich farblich deutlich sichtbar von der Fahrbahn abheben. Die Verwaltung geht von Kosten in Höhe von insgesamt 102,5 Millionen Euro aus.
Sichere Kreuzungen: Jedes Jahr muss die Stadt drei große Straßenkreuzungen so umbauen, dass Radfahrer dort sicher fahren können. Die Einmündungen sollen so gestaltet werden, dass Autofahrer Radfahrer beim Abbiegen besser sehen können. An den Ampeln sollen vorgelagerte Wartezonen für Radfahrer eingerichtet werden. Bei Grün sollen Radfahrer Vorrang erhalten. Kosten: Insgesamt 3,8 Millionen Euro.
Mehr Fahrradstraßen: Mit Radentscheid verpflichtet sich die Stadt Essen weitere Straßen als Fahrradstraßen auszuweisen. Derzeit gibt es derer 50 mit einer Länge von insgesamt rund 40 Kilometern. Radfahrer geben dort das Tempo vor und dürfen nebeneinander fahren. Der Autoverkehr muss sich ihrer Geschwindigkeit anpassen. Erlaubt sind maximal 30 km/h. Die Hälfte aller Tempo 30 Zonen soll nun in Fahrradstraßen umgewandelt werden. Bestehende Fahrradstraßen sollen auf einer Länge von insgesamt 25 Kilometer nach dem Standard der neuen Fahrradachsen gestaltet werden wie sie jüngst vom Südviertel nach Frohnhausen eröffnet wurden.
Die neue Fahrradstraße vom Südviertel nach Frohnhausen setzt Standards
Dort weisen große Piktogramme auf der Fahrbahn Verkehrsteilnehmer darauf hin, dass sie auf einer Fahrradstraße unterwegs sind. Damit Radfahrer sicher fahren können und an Kreuzungen besser gesehen werden, mussten Parkplätze weichen. Weitere 25 Straßenkilometer sollen nach diesem Standard ebenfalls zu Fahrradstraßen umgebaut werden. Außerdem soll die Stadt weitere 100 Einbahnstraßen für Radfahrer auch gegen die Fahrtrichtung öffnen. Bislang gilt diese Regel in 200 Einbahnstraßen. Die Kosten werden auf insgesamt 8,4 Millionen Euro geschätzt.
Mehr Stellplätze für Fahrräder: Deutlich erhöhen muss die Stadt die Zahl der Fahrradstellplätze. 4000 sollen in bewachten Parkhäusern geschaffen werden oder als Fahrradboxen an Bahnhöfen. Aktuell gibt es nur wenige hundert bewachte Stellplätze in den Radstationen der Diakonie am Hauptbahnhof und am S-Bahnhof Kupferdreh. 2500 überdachte Fahrradstellplätze verlangt der Radentscheid an Bahnhöfen und Haltestellen. Weitere 5000 Abstellplätze soll die Stadt an Schulen, Sporteinrichtungen, an Einkaufsstraßen und in Wohnquartieren einrichten - und dies vorrangig auf Kosten von Pkw-Stellplätzen. Kosten: 31,7 Millionen Euro.
Im März 2021 will die Stadtverwaltung die ersten konkreten Projekte benennen
Mehr Öffentlichkeitsarbeit, mehr Personal: Die Stadt soll die Verkehrswende konsequent fördern und dafür werben. Ein Budget dafür gibt es bislang nicht. Die Verwaltung setzt insgesamt 400.000 Euro dafür an. Höher zu Buche schlagen die Personalkosten. Um den Radentscheid innerhalb der neun Jahre umzusetzen zu können, will die Stadt 19 zusätzliche Planstellen schaffen. Kosten: insgesamt 15,3 Millionen Euro.
So geht es weiter: Die Verwaltung will bis März kommenden Jahres die ersten konkreten Projekte vorstellen, die als erste umgesetzt werden sollen. Laut Raskob wird es sich um Lückenschlüsse im Hauptroutennetz handeln. Außerdem sollen weitere Fahrradboxen und Fahrradbügel aufgestellt werden. Außerdem werden die Planer festlegen, welche Kreuzungen und Straßen als erste angegangen werden sollen. Auch wenn der Rat der Stadt dem Radentscheid mit großer Mehrheit beigetreten ist, bedarf jedes einzelne Vorhaben der Zustimmung der Politik, betont Simone Raskob. „Das kann auch die Bezirksvertretung sein.“ Diskussionsstoff dürfte es genügend geben.