Essen. Wieder ein Ex-Genosse: Der OB- und Spitzenkandidat, Harald Parussel, wird arg einsilbig, wenn es um Rassisten und Rechtsextreme in der AfD geht.
Wo sie auftreten, gibt es politischen Stunk. Das kann man in Essen seit neuestem auch schon von weitem erkennen, wenn sich ein paar Meter vom Infostand entfernt ein jugendlicher Turnschuhträger in jenes aufgepustete braune Ganzkörper-Kostüm mit treuherzigen Glubschaugen und breitem Grinsen zwängt, das ein jeder aus dem Fundus seiner WhatsApp-Emojis kennt. Und nein, es ist kein Schoko-Softeis, sondern, wie Harald Parussel hörbar genervt formuliert, „so ein lächerlicher Kackhaufen“: Willkommen bei der AfD.
Parussel hat mit dem stillen Begleiter der Antifa-Gruppe „Aufstehen gegen Rassismus“ zu leben gelernt. Es ist so eine Art friedliche Koexistenz des örtlichen OB- und Spitzenkandidat der „Alternative für Deutschland“ mit all jenen, die in der AfD eine Partei sehen, die „Rassismus normalisiert und durch Hetze und gezielte Tabubrüche den Nährboden für rassistische Gewalt schafft“, wie es bei der AgR heißt.
In Frohnhausen fliegen Eier, in Rüttenscheid droht einer Prügel an
Doch es wird auch schon mal brenzliger. Dann fliegen Eier wie in Frohnhausen oder unflätige Worte wie in Holsterhausen, dann umstellen Gegendemonstranten die AfD-Wahlkämpfer mit ihren Transparenten, und im samstäglichen Rüttenscheid droht ein offenbar Kickbox-erfahrener Mann Prügel an, bis die Polizei mit drei Streifenwagen kommt. Strafanzeige.
Der AfD passt so etwas gut ins Konzept, weil es ihre These unterfüttert, „die Bürger“ seien auf der Straße nicht mehr wirklich sicher, erstens grundsätzlich und zweitens ja erst recht, seit so viele Ausländer… Ja, solchen Klartext hat Harald Parussel immer schon mal aussprechen wollen, konnte es in seiner alten politischen Heimat aber nicht, wie er behauptet: Die alte Heimat, das war die SPD.
Die Parussels waren immer schon Sozialdemokraten, aber das ist vorbei
Über 20 Jahre hinweg hatte der 60-Jährige Gesamtschullehrer, der einst evangelische Theologie und Anglistik studierte, das SPD-Parteibuch in der Schublade. War so üblich im Borbecker Arbeiterhaushalt Parussel, Vater, Mutter, Opa – alles Sozis, er also auch, wenn auch nie Kandidat für irgendwas, sondern weitestgehend „Karteileiche“, wie er selber sagt.
Dass man bei den Genossen „nicht alles sagen konnte, was man denkt“, ging dem bekennenden Helmut Schmidt-Fan Parussel um die Jahrtausendwende mehr und mehr gegen den Strich. Er trat aus und nach langer parteiloser Pause 2015 in die AfD ein. Dass diese Partei es nicht nur mit der Grenze des Sagbaren übertreibt, dass sie nach rechts gezielt austestet, was möglich ist, dass vieles im Parteialltag rassistisch und rechtsextrem getrieben ist, gilt als ausgemachte Sache und bestreitet Parussel doch vehement: „Ich habe bei der AfD nie ein rechtsradikales oder rassistisches Statement vernommen, sonst wäre das auch nicht meine Partei geworden.
Höcke, Kalbitz, Gauland, Keuter? – „Das ist hier nicht mein Thema“
Wirklich nicht? Es ist der Punkt des Gesprächs, an dem Harald Parussel die Schotten dicht macht, wo er auch auf mehrfache Nachfrage nichts sagen will zu Parteifreunden wie Höcke und Kalbitz oder Gauland und zu Vogelschissen der Geschichte oder auch nur den per WhatsApp verschickten Nazi-Bildchen eines Stefan Keuter, immerhin Bundestagsabgeordneter und einst Sprecher des Essener AfD-Kreisverbands. „Das ist hier nicht mein Thema.“
Weil aber keine Antwort auch eine Antwort ist, verrät Harald Parussel dadurch mehr über sich, seine Partei und ihre Anhänger, als wenn er sich im Gespräch kunstvoll winden würde. Er glaubt, dass sich dieses Land und die meisten seiner Parteien zu einer Einheitsposition als gemeinsamem Nenner durchgerungen hat, zitiert alte „Spiegel“-Titelstories und die Slogans von CDU-Wahlplakate aus den 1970ern: „Wenn Sie das heute sagen, würden Sie wegen rassistischer Hetze angeklagt.“
In der Reserveliste steht Zugpferd Reil erst auf Platz 10
„Wie Sie sehen: Keine Nazis, keine Studienabbrecher“ – so überschreibt die AfD in ihrem Wahlprogramm ein Bild ihrer Rats-Kandidaten.
Hinter OB- und Spitzenkandidat Harald Parussel folgen in der Reserveliste der Ex-Republikaner und heutige AfD-Parteichef Günter Weiß, Stefanie Brecklinghaus, Hermann Postert, Andreas Meitzke, Jens Schmitz, Andrea Pousset, Frank Wolbert, Sandra Benz-Dellin und der Europaabgeordnete Guido Reil.
Kein komplexes Einerseits-Andererseits, sondern einfache Parolen
Das ist die Lücke, in der er und „seine“ AfD offenbar vorstoßen wollen: Keine intellektuellen Diskurse, kein komplexes Einerseits-Andererseits, sondern einfache Parolen, gerade etwa in Fragen der Migration: „Unsere Wähler kaufen Billigfleisch bei Aldi und lassen sich nicht vorschreiben, was sie sonst essen sollen. Die haben Probleme mit Fahrradstraßen, weil der Lieferwagen vom Chef dann nicht mehr durchkommt. Die trinken Pils und Korn statt Latte macchiato. Die wollen niedrige Fahrpreise bei der Ruhrbahn.“
Und dass Rot-Weiss Essen endlich mal aufsteigt. Parussel hat an der Hafenstraße 1969 als Neunjähriger sein erstes Spiel und seither nahezu alle anderen auch gesehen, seit 2011 ist er Vereinsmitglied. Das passt in dieses Bild, das er von „seinem“ Polit-Verein zeichnet: die AfD als „Anwalt der kleinen Leute mit ihren täglichen Sorgen, mit Zuspruch meistens im Essener Norden“. In den „besser gestellten“ Vierteln habe die Partei, bekennt er, eher Schwierigkeiten. „Ich würde sagen, wir sind sowas wie die Nachfolgepartei der SPD.“
Im Rat setzt die AfD nach erstem Tohuwabohu darauf, „dass sich das einpendelt“
Die SPD wird sich ans Herz fassen. Hybris oder Anwanzerei? So oder so, das muss man erstmal sacken lassen, wie auch die jüngste WDR-Umfrage, nach der der AfD in Essen „nur“ eine Wählerschar von um die acht Prozent bescheinigt wird. Die viel geschmähte Truppe stört das nicht: Ein solcher Wert bei einer Umfrage, in der immer noch viele AfD-Anhänger Probleme hätten, ihre wahre politische Vorliebe zu verraten, stimme ihn „sehr optimistisch", womöglich ein zweistelliges Ergebnis zu erreichen, sagt Parussel. Und über das Auf und Ab der Demoskopie könnten schließlich auch die Grünen manches berichten.
Er setzt fest darauf, dass die über 250 Mitglieder zählende „Alternative für Deutschland“ in größerer Mannschaftsstärke in den Stadtrat einzieht. Da würde dann „anfangs einiges an Tohuwabohu herrschen“, auch ohne aufblasbare Häufchen, aber „das wird sich einpendeln“, glaubt der OB-Kandidat. Und nennt als zentrale politische Ziele, die Bürger mehr einzubinden sowie die Ruhrbahn-Ticketpreise zu senken. Und, ach ja, dass die Stadt für Grundbesitzer und die lokale Wirtschaft die Steuerhebesätze selbst festlegen kann.
Dass es das seit Jahrzehnten bereits gibt, überrascht Harald Parussel dann doch sehr.
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