Essen. Sein Baby schrie, da soll der eigene Vater ihm Feuchttücher in den Mund gestopft haben. Seit Dienstag steht der Essener vor Gericht.

Drei Monate alt war sein Baby. Es schrie, war nicht zu beruhigen. Da soll der eigene Vater dem Säugling vier Feuchttücher in den Mund gestopft haben, um endlich Ruhe zu haben. Er habe den kleinen Liam damit "in die Gefahr des Todes" gebracht, wirft Staatsanwältin Sarah Erl dem 22 Jahre alten Angeklagten vor. Doch er bestreitet, beschuldigt die Mutter des Kindes, die Tat begangen zu haben.

Der "Fall Liam" hatte im vergangenen Jahr für Erschrecken gesorgt. Aber es war nicht der einzige Fall, der 2019 in Essen gezeigt hatte, wie lieblos manche Eltern mit ihren Kindern umgehen. Am 25. Juni, einem sehr heißen Tag, war in einer Altenessener Dachgeschosswohnung der zwei Jahre alte Luis gestorben. Sein Vater hatte ihn ins Kinderzimmer eingesperrt, Luis verdurstete. Zehn Jahre Haft bekam der Vater dafür.

"Unsäglicher Zeugenauftritt"

In der Verhandlung gegen ihn hatte im Zuhörersaal auch die Mutter von Liam gesessen. Denn sie ist eine sehr gute Freundin der Mutter von Luis, die beim Tod ihres Kindes nicht in Altenessen war, weil sie ihren neuen Freund in Duisburg besucht hatte. Ihre Aussage im Prozess sorgte dafür, dass das Schwurgericht anregte, auch gegen sie neue Ermittlungen einzuleiten. Richter Jörg Schmitt sprach damals von einem "unsäglichen Zeugenauftritt" der Mutter.

Aber am Montag geht es um einen anderen Fall. Staatsanwältin Erl liest vor, dass der Angeklagte sich am 25. Oktober 2019 in der Karnaper Wohnung um den schreienden Liam habe kümmern wollen. Die Mutter sei in der Küche gewesen, er mit dem Kind im Wohnzimmer. Doch das Baby habe sich durch das von ihm gereichte Fläschchen nicht beruhigen lassen. Da habe der Angeklagte dem Kind das Fläschchen derart rüde in den Mund gepresst, dass das Baby einen Bluterguss bekommen habe.

Feuchttücher in den Mund gestopft

Damit nicht genug. Als das Kind weiterhin schrie, soll der 22-Jährige es auf den Rücken gelegt, vier Feuchttücher genommen und sie dem Kind tief in den Mund gepresst haben. Erst die Mutter, die in diesem Moment das Wohnzimmer betrat, habe die Tücher heraus gerissen und Liam gerettet.

Auf versuchten Totschlag hatte die Anklage gelautet. Doch das für Tötungsdelikte zuständige Schwurgericht hatte die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt. Lediglich als gefährliche Körperverletzung ließ sie es zu und verwies es an die Jugendschutzkammer.

Gericht sieht keinen Tötungsvorsatz

Das Schwurgericht sprach zwar von einer "rohen Misshandlung" des Babys durch seinen Vater, sah aber keinen Tötungsvorsatz. Es habe auch keine akute Lebensgefahr bestanden, begründete es seinen Beschluss. Denn die Mutter selbst habe keinesfalls von Erstickungsanzeichen berichtet, sondern von einer ruhigen Nasenatmung. Im übrigen habe sie auch nur von zwei Feuchttüchern gesprochen, nicht von den vier Tüchern der Anklage. Es sei auch keineswegs gerichtlich festzustellen, wie lange und wie tief die Tücher im Mund des Kindes gesteckt hätten.

So groß habe die Furcht der Mutter vor ihrem Lebensgefährten auch nicht sein können. Denn nach der mutmaßlichen Tat sei sie mit Liam zu den Eltern des Angeklagten gefahren. Ihnen habe sie den Kleinen anvertraut, weil sie selbst feiern gehen wollte.

"Intellektuell unreifer" Angeklagter

Der Angeklagte, der vom Schwurgericht als "intellektuell unreif" bezeichnet wurde, weist jede Verantwortung von sich. Über seinen Verteidiger Christoph Landau lässt er erklären, dass seine Lebensgefährtin sich um den quengeligen Liam gekümmert habe. Auf einmal habe er aus dem Nebenraum gehört, dass Ruhe war. Er habe nachgesehen und in Liams Mund Tücher gesehen. Die habe er herausgenommen. Seine Freundin sei dann mit dem Kind weggegangen. Er habe das alles nicht so schlimm gefunden.

Dagegen steht die Aussage der 22 Jahre alte Mutter von Liam. Sie wiederholt die Vorwürfe gegen ihren früheren Lebensgefährten. Allerdings reagiert sie gereizt, bricht auch mal in Tränen aus, als sie mehrfach auf Widersprüche zu ihrer polizeilichen Vernehmung angesprochen wird. So genau weiß sie auch nicht, warum sie am Tattag nicht Polizei oder Notarzt alarmiert habe.

Sechs Tage hat das Gericht zur Aufklärung angesetzt. Dass er gewalttätig sein kann, hat der Angeklagte übrigens im Februar eingeräumt. Da war er am Amtsgericht angeklagt, weil er im vergangenen Sommer seine damals schwangere Freundin, Liams Mutter, in den Schwitzkasten genommen hatte. Dafür bekam er eineinhalb Jahre Haft mit Bewährung und ein Anti-Gewalt-Training.