Essen. Gleichgeschlechtliche Lebensweisen waren lange verboten oder verpönt. Eine Ausstellung in Essen dokumentiert den Kampf um das Recht auf Vielfalt.

Es ist noch nicht lange her, als gleichgeschlechtliche Lebensweisen verboten waren, mindestens aber als anrüchig galten, und bis heute müssen es sich vor allem schwule Männer durchaus überlegen, in welchen Stadtvierteln der offene Umgang mit ihrer Orientierung ein Risiko sein könnte. Die jüngst im Foyer des Rathauses eröffnete Ausstellung „Come out Essen!“ zeichnet den Kampf für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Akzeptanz und Gleichstellung nach und verwebt dies mit lokalen Ereignissen in Essen.

OB Thomas Kufen begann sein Outing im Wahlkampf 2015 – im selben Jahr hat er auch geheiratet

Schirmherr der Ausstellung ist Oberbürgermeister Thomas Kufen, der im OB-Wahlkampf 2015 zurückhaltend und zunächst indirekt begonnen hatte, sich offen zu seinem langjährigen Lebenspartner zu bekennen. Kurz nach der gewonnenen Wahl heiratete das Paar dann, wobei Kufens Outing in der Essener Öffentlichkeit keine besonders hohen Wellen schlug. Das mag auch an Politikern wie etwa dem früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, gelegen haben, der bereits 2001 mit dem legendären Satz „Ich bin schwul, und das ist gut so“ mit Erfolg das Tor zur Normalität weit aufgestoßen hatte.

Oberbürgermeister Thomas Kufen und Ehemann David Lüngen 2018 bei einer Veranstaltung in der Lichtburg.
Oberbürgermeister Thomas Kufen und Ehemann David Lüngen 2018 bei einer Veranstaltung in der Lichtburg. © FFS | Christof Köpsel

Kufen neigt bis heute nicht dazu, sein Privatleben an die große Glocke zu hängen und verzichtete auch bei der Ausstellungseröffnung darauf, Rückgriffe auf seinen persönlichen Werdegang anzufügen. „Die Vielfalt der Menschen ist in unserer Stadt ein wertvolles Gut, sie macht uns stark“, erklärte der OB. „Die lesbisch-schwule Emanzipationsgeschichte ist ein wichtiger Teil hiervon.“ Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wünsche er der Ausstellung viele interessierte Besucher.

Friedrich Alfred Krupp zerbrach an den Vorwürfen und Gerüchten

Dass sich Minister, Stadtoberhäupter oder Unternehmenslenker offen zu ihrer Homosexualität bekennen, war im Jahr 1902 undenkbar, als der Essener Industrielle Friedrich Alfred Krupp vom SPD-Organ „Vorwärts“ in das Räderwerk des Schwulenverdachts gezogen wurde. Einige Wochen nach Erscheinen des denunziatorischen und mit Gerüchten gespickten Artikels, der die Überschrift „Krupp auf Capri“ trug, verstarb der 47-Jährige – ob durch Selbstmord oder plötzliche Erkrankung konnte nie abschließend geklärt werden.

Das Schicksal von Friedrich Alfred Krupp steht jedenfalls am Anfang der Ausstellung, die einen weiten Bogen schlägt. Ein Schwerpunkt ist die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus. Der Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, wurde 1935 verschärft, ab 1936 gerieten viele Männer aus Essen und Umgebung in Haft, wurden teilweise von Gerichten verurteilt und anschließend oft in Konzentrationslagern interniert. Viele überlebten dies nicht.

Der erste offen schwul lebende Kommunalpolitiker wurde 1984 in den Rat gewählt

Im Jahr 1969 hat die sozialliberale Bundesregierung den „175“ liberalisiert, 1994 wurde der Paragraf schließlich ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. 1999 verabschiedete der Rat der Stadt ein erstes Handlungsprogramm gegen die Ausgrenzung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Der erste offen schwul lebende Ratsherr Michael Kleine-Möllhoff (Grüne) war 1984 in den Rat der Stadt gewählt worden.

„Vor allem in Zeiten gesellschaftlichen Aufbruchs wie zu Beginn der Weimarer Republik oder als Folge der 68er-Bewegung sind lesbische Frauen und schwule Männer für ihre Rechte eingetreten, haben für Anerkennung und gegen Diskriminierung gekämpft“, betont Wolfgang D. Berude, Initiator der Ausstellung, Mitbegründer des Forums Essener Lesben und Schwule (F.E.L.S.) und des Arbeitskreises schwule Geschichte.

Es gehörte früher viel Mut dazu, traditionellen Rollenbildern zu trotzen

„Schwule und Lesben haben viel Mut gebraucht, einer in weiten Teilen homophoben Stimmung in der Gesellschaft, einem traditionell-bürgerlichen Rollenbild der Geschlechter und dem Strafgesetz zu trotzen“, sagt der Historiker Stefan Nies, der die Ausstellung im Auftrag der Stiftung Ruhr-Museum kuratiert hat. „Viele haben es dennoch gewagt – die einen in Form individueller Lebensentwürfe, die anderen gemeinsam und öffentlich.“

Eine eigene Installation verweist auf die Situation lesbischer Frauen in den 1950er- und 60er-Jahren, die besonders unter der weiblichen Rollenzuweisung als Ehefrau und Mutter litten. „Nicht selten werden Tarn- und heterosexuelle Scheinehen zwischen Schwulen und Lesben geschlossen, um sich gesellschaftlicher Diskriminierung zu entziehen“, so die Bildungswissenschaftlerin Bettina Waffner.

Bei aller Genugtuung über das Erreichte, gebe es noch viel zu tun, sagt Sebastian Stute von der Koordinierungsstelle Gleichgeschlechtliche Lebensweisen LSBTI der Stadt Essen. So würde auch heute noch Homosexualität im Sport oder in der Arbeitswelt teils tabuisiert, Transmenschen würden pathologisiert, und es gebe immer noch Eltern, die ihre nicht-heterosexuellen Kinder in Therapie schicken. „Gleichberechtigung muss erkämpft werden – immer noch und immer wieder.“

Erst Rathaus-Foyer, dass VHS am Burgplatz

Die Ausstellung „Come out, Essen! 100 Jahre lesbisch-schwule Emanzipation“ ist vom 3. bis 12. August im Foyer des Rathauses zu sehen. Öffnungszeiten: Mo-Do 7-16 Uhr, Fr 7-15 Uhr.

Anschließend zieht die Ausstellung weiter in die VHS am Burgplatz, wo sie vom 27. August bis 8. Oktober zu sehen sein wird, und zwar Mo-Fr von 9-21 Uhr, Sa und So sowie am 26. und 27. September von 9-18 Uhr. Im Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv macht „Come out Essen“ dann vom 15. Januar bis 4. März 2021 Station. Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm und Mitte/Ende August wird ein Begleitbuch erscheinen.