Essen. Seit Februar hat die „Sta(d)ttbrücke 31 Obdachlosen in Essen eine Wohnung vermittelt. NRW-Sozialminister Laumann verspricht weitere Finanzierung.
Das Projekt ist noch jung, und hat doch in einem halben Jahr schon eine erste Erfolgsgeschichte geschrieben: 31 wohnungslose Essener haben mit Hilfe von „Sta(d)ttbrücke“ eine eigene Wohnung gefunden. Und so besuchte NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann am Mittwoch (15. Juli) das Hauptquartier der Sta(d)ttbrücke im CVJM-Sozialwerk, schaute sich an, was dort mit Landesmitteln geschaffen wurde – und versprach eine dauerhafte Finanzierung.
„Wohnungslosigkeit ist das gravierendste soziale Problem, das wir in unserer Gesellschaft haben“
Denn Wohnungslosigkeit ist nach Ansicht des Ministers „das gravierendste soziale Problem, das wir in unserer Gesellschaft haben“. Es betreffe zwar keine große Zahl an Menschen, doch für diese sei es sehr tiefgehend. „Wie viele Betroffene es tatsächlich gibt, bilde die Wohnungslosen-Statistik des Landes leider nur unzureichend ab, bedauert Laumann. „Aber wenn ich durch Düsseldorf Richtung Landtag fahre, sehe ich die Menschen unter der Kniebrücke.“ In Essen dürfte es nicht anders sein, zählt die Stadt doch zu den 20 am stärksten von Wohnungslosigkeit betroffenen Kommunen und Kreisen in Nordrhein-Westfalen.
„Wir müssen größere Anstrengungen unternehmen, um das Problem zu bekämpfen.“ Dazu gehöre auch anzuerkennen, dass manche Menschen sich selbst noch nicht fit für eine Wohnung fühlen, dass ihnen mehr geholfen ist, wenn sie einen Platz zum Duschen, eine Meldeadresse oder ein Schließfach für ihre Habe bekommen.
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Andere wünschten sich zwar ein eigenes Zuhause, zögen aber mit wenig Mobiliar und vielen Problemen ein: von der fehlenden Tagesstruktur bis zur Suchtproblematik. Laumann, dem das Thema augenscheinlich ein Herzensanliegen ist, könnte sich vorstellen, eine Wohnung an einen Obdachlosen zu vermieten, er räumt aber freimütig ein: „Aber richtig Bock drauf, dass mir die Wohnung verwahrlost, hätte ich nicht.“ Dies dürfte auch die Sorge vieler Vermieter sein, weshalb das Projekt Sta(d)ttbrücke nicht nur Wohnungssuche und Umzug begleitet, sondern darüber hinaus als Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Etwa jeder dritte Wohnungslose hat eine Suchtproblematik
Seit Ende 2019 haben Immobilienbetriebswirtin Doris Haehnel und Sozialpädagoge Tobias Welp private Vermieter wie Wohnungsgesellschaften angesprochen, Kontakt mit sozialen Trägern gesucht und so ein Netzwerk geknüpft, dass die Betreuung der Neumieter gewährleistet. Im Februar 2020 haben sie mit der Wohnungsvermittlung begonnen und trotz coronabedingter Schwierigkeiten schon 59 Angebote erhalten. Nicht ganz die Hälfte der Wohnungen (26) konnten bereits bezogen werden, 31 Betroffene haben dort ein neues Zuhause gefunden; weitere Wohnungen sind reserviert. Ein paar der Angebote mussten Welp und Haehnel bedauernd ablehnen, weil sie zu groß sind.
Seit Juni arbeiten sie mit Suchthilfe direkt und Diakoniewerk zusammen, „weil es bei jedem dritten Wohnungslosen eine Suchtproblematik oder zumindest einen riskanten Konsum gibt“, wie Petra Fuhrmann vom Diakoniewerk erklärt. Im ersten Monat habe man bereits 25 Betroffene in Hilfsangebote vermittelt.
Im Gefängnis beschloss Mario, sein Leben zu ändern
Noch besser als die Zahlen spricht Mario für das Projekt: 2018 hat er seine Wohnung verloren, seither auf der Straße gelebt, im Sommer 2019 sei er wegen Schwarzfahrens für anderthalb Monate im Gefängnis gewesen. „Da habe ich über mein Leben nachgedacht, mir gesagt, dass ich etwas ändern muss.“
Für den jungen Mann, der HIV-positiv ist und daher unter starken Depressionen leidet, war das kaum umzusetzen. Er kehrte zwar nicht auf die Straße zurück, fand aber zunächst Unterschlupf in der Notschlafstelle an der Lichtstraße, dann in einer Unterkunft in Stoppenberg: „Da kannten einige keine Nachtruhe, machten bis drei Uhr Party, manchmal flogen Stühle.“ Dank eines Schufa-Eintrags sei die Wohnungssuche hoffnungslos gewesen. Bis Tobias Welp von der Sta(d)ttbrücke sich kümmerte, ihm sogar den Wunsch nach einem Heim mit Badewanne erfüllte.
Nur mit einer Matratze ist er eingezogen
Mit einer Matratze ist Mario im April in die Wohnung in Steele gezogen, und hat schon zigfach gemerkt, wie hilfreich die Betreuung ist: ob es der Kontakt mit dem Jobcenter sei oder die Stromabrechnung. „Mich hätte all das überfordert, es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die sich da auskennen.“ Inzwischen sei er eingerichtet und bereit für den nächsten Schritt: Er wolle gern eine Ausbildung machen – und diesmal auch abschließen. „Das Projekt hat eine Riesenlast von meinen Schultern genommen.“