Essen. Zuerst treffen sich Hunderte Demonstranten zu einer Kundgebung auf dem Ehrenzeller Platz in Altendorf. Dann eskaliert die Lage überraschend.
Die Kundgebung der Initiative „Gerechtigkeit für Adel B.“ in Essen-Altendorf nimmt am späten Samstagnachmittag (20. Juni) einen überraschenden Verlauf. Obwohl sich die Versammlung nach den strengen Corona-Auflagen der Polizei auf den Ehrenzeller Platz beschränken soll, setzt sich gegen 17.15 Uhr plötzlich ein nicht genehmigter Demonstrationszug durch den Stadtteil in Bewegung.
Für einen kurzen Moment hat es den Anschein, als würde sich die Versammlung auflösen. Doch zur Überraschung der Polizei formieren sich mehrere Hundert Teilnehmer blitzschnell zu einem Demonstrationszug. Die Einsatzkräfte scheinen schlichtweg überrumpelt, offenbar ein gut verabredetes Manöver der überwiegend linken Demonstranten.
Demonstranten brüllen: „Deutsche Polizisten, Mörder und Rassisten“
Ehe sich die auf dem Platz selbst eingesetzten Polizisten versehen, hat der Umzug schon die Helenenstraße erreicht, um von dort in die viel befahrene Altendorfer Straße einzubiegen. Erst dort haben starke Kräfte der Einsatzhundertschaft, die sich während der Kundgebung absichtlich im Hintergrund aufgehalten hatten, die Lage wieder unter Kontrolle.
Auf der Altendorfer kommt der Verkehr zwischenzeitlich zum Erliegen. Ein halbes Dutzend Straßenbahnen der Linien 103 und 105 muss stehen bleiben. Genervte Fahrgäste laufen zu Fuß weiter. Den Anwohnern, überwiegend Migranten, geben die Demonstranten Rätsel auf. Viele reagieren ratlos oder mit Kopfschütteln.
In Höhe des Holdenwegs, etwa gegen 17.45 Uhr, eskaliert die Spontan-Demo. Denn die Einsatzkräfte stoppen die Demonstranten, von denen die meisten vermummt sind. Mit quer gestellten Schlagstöcken hindern sie die Aktivisten daran, weiterzuziehen. Es kommt zu einem Gerangel, aber geschlagen wird nicht. Trotzdem prasseln auf die Einsatzkräfte pausenlos lautstarke und massive Beschimpfungen nieder - wie schon in den drei Stunden zuvor.
Der Polizeiführer entscheidet sich, die Lage zu deeskalieren
„Deutsche Polizisten, Mörder und Rassisten“, skandieren die der Antifa nahe stehenden Demonstranten immer wieder. Oder: „Verpisst Euch, haut ab.“ Dann brüllen sie ihnen über hohe Spruchbänder hinweg ins Gesicht: „Massenmörder - das sind sie.“ In dem Pulk werden Nebeltöpfe angezündet. Auffallend: Als der Umzug zu entgleisen droht, ziehen sich viele Personen zurück, um dem harten Kern die Initiative zu überlassen.
Der Polizeiführer steht vor der kniffeligen Abwägung, die Spontan-Demo möglicherweise unter Gewaltanwendung aufzulösen oder aus taktischen Erwägungen nachzugeben. „Um die aufgeheizte Situation zu deeskalieren, hat sich die Polizei entschieden, die Personen weiterziehen zu lassen und sie zu begleiten“, sagt Polizeisprecher Peter Elke. Das Kalkül der Einsatzleitung geht auf. Um 19 Uhr gibt die Polizei schließlich Entwarnung: Die Versammlung löst sich nahe dem Schölerpad auf.
Kundgebung am Ehrenzeller Platz gleicht kollektivem Ausbruch von Wut und Hass
Begonnen hat die Veranstaltung um 15 Uhr auf dem Ehrenzeller Platz. Die Initiative „Gerechtigkeit für Adel B.“ will daran erinnern, dass der Deutsch-Algerier vor fast genau einem Jahr in der Drügeshofstraße durch eine Polizeikugel ums Leben gekommen war. Sie spricht von einem rassistisch motivierten Todesschuss und prangert vor dem Hintergrund des Falles George Floyd in den USA Polizeigewalt in Essen an.
Eine Anschuldigung, der Polizei, Staatsanwaltschaft bis hin zu Oberbürgermeister Thomas Kufen entschieden widersprochen haben. Doch die von linksradikalen Aktivisten getragene Veranstaltung soll sich rasch zu einem kollektiven Ausbruch von Wut und Hass gegen die Polizei entwickeln.
Mutter von Adel B. greift den Polizisten an, der den Todesschuss abfeuerte
Die Mutter von Adel B. geht den Polizisten, der die Kugel abfeuerte, auf der Kundgebung direkt an: „Du, der meinem Sohn das Leben nahm, sollst bestraft werden. Kannst Du noch schlafen?“, sagt sie. Und fügt hinzu: „Du bist eine Gefahr für Leib und Leben.“ Auch andere Redner werfen Polizisten Rassismus vor und vergleichen sie mit Mördern. „Uniformierte Gestalten“ war noch der harmloseste Begriff.
Polizeibeamtin findet Tiraden unerträglich: „Ich bin weder Rassistin noch eine Mörderin“
Selbst erfahrene Polizisten, die auf dem Ehrenzeller Platz, ihren Dienst versehen und zum Teil sogar mit Demonstranten ins Gespräch kommen, sind entsetzt über die zweistündige Hasstirade. „Ich habe 47 Dienstjahre auf dem Buckel“, sagt ein Beamter, „aber auf solch böse Art und Weise bin ich noch nie angegriffen worden.“ Seine Kollegin sagt: „Mir fehlen die Worte, was ich hier gehört habe, ist unerträglich, denn ich bin weder Mörderin noch Rassistin.“