Essen-Horst. Schlägereien, Gewalt, Polizeieinsätze prägten zuletzt das Bild vom Hörsterfeld. Zu Unrecht, finden Nachbarn, die hier friedlich leben – und gern.

Ob Massenschlägerei, Gewalttat, Streit unter Großfamilien oder zuletzt ein Tötungsdelikt, bei dem ein 14-Jähriger starb: Das Hörsterfeld gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Der zunehmend schlechte Ruf sorgt gleichzeitig für den Unmut derer, die seit Jahrzehnten friedlich und gern in ihrem Viertel leben. Nun wird ihr Protest laut, weil sie sich gegen das negative Image wehren.

Riesige Hochhäuser und beschauliche Reihenhaussiedlungen, große Sperrmüllberge und ordentlich gepflegte Vorgärten, leerstehende Geschäfte sowie weite Grünflächen und Spielplätze: All das findet sich im Hörsterfeld, getrennt durch den Von-Ossietzky-Ring, ebenso wie die zahlreichen Mehrfamilienhäuser, in die die Menschen in den 1970ern als Eigentümer zogen – und bis heute blieben.

Sorgen machte dem Vater erst die Skaterrunde

Gerhard Klambt (79) ist einer von ihnen, der mit seiner schwangeren Frau in die Häuser an der Hermann-Rotthäuser-Straße zog, 15 Tage später wurde ihre Tochter geboren, die im Viertel eine behütete Kindheit erlebt habe. Erst viel später war ihr Vater besorgt, „als sie sich mit der Skaterrunde traf“, erzählt er heute schmunzelnd, da er zu denjenigen zählte, die morgens arbeiten fahren und abends nach Hause kommen, und so von manchem Ärger im Stadtteil zumindest persönlich nichts mitbekam. „Mein Auto wurde in Bergerhausen aufgebrochen.“ Schönreden möchte er nichts, aber es seien doch eben einzelne Familien, die das Viertel in Verruf brächten.

So entstünden dann Vorurteile derer, die von außen aufs Hörsterfeld blickten. Dazu zählten Dozenten, von denen ihr Sohn an der Universität vom „schlimmen Hörsterfeld“ hören musste. Oder Chefs, die schon früher von der „Mau-Mau“ gesprochen hätten. „Den Ruf werden wir wohl nicht mehr los“, fürchtet Gerhard Klambt und steht damit nicht allein.

Siedlungen mit parkähnlichen Grundstücken in Essen-Horst

Sie zogen in den 1970ern nach Horst: Ingrid und Manfred Becker sowie Gerhard Klambt kauften hier Eigentumswohnungen.
Sie zogen in den 1970ern nach Horst: Ingrid und Manfred Becker sowie Gerhard Klambt kauften hier Eigentumswohnungen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz


Auch Ingrid Becker (81) fühlt sich diskriminiert, denn sie wohnt gern hier: gleiche Straße, gleiche Siedlung mit den drei Blöcken, jeweils 85 Wohnungen und bis zu sieben Geschossen und dem parkähnlichen Grundstück drumherum. Es zogen einst vor allem Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst, Beamte, die Mittelschicht ein, erinnert sich das Ehepaar Becker.

Als sie 1975 kamen, da lockten sie 115 Quadratmeter und die grüne Lage, nur wenige Hochhäuser standen da bereits, sie liegen nur wenige hundert Meter entfernt. Sie haben es sich barrierefrei eingerichtet, die Geräte im gemeinschaftlichen Fitnessraum sind neu angeschafft, und die Nachbarn in ihrem Haus kennen sie fast alle. Ärger hätten sie nie gehabt.

Viele Wohnungen im Hörsterfeld sind Privateigentum

„Rund 50 oder 60 Prozent der Wohnungen im Hörsterfeld sind ohnehin Privateigentum“, schätzt sie, da sie ihre Eigentümergemeinschaft jahrzehntelang vertreten hat. Dabei blickte sie durchaus skeptisch, als hunderte Wohnungen am Von-Ossietzky-Ring leergestanden hätten und ein Abriss im Gespräch gewesen sei. Stattdessen seien nach der Sanierung 2016/17 Flüchtlingsfamilien gefolgt. Die Siedlungspolitik, die sei aber auch schon viel früher schief gelaufen, da sind sich viele Anwohner einig, da die Stadt zu viele Menschen, zu viele verschiedene Nationalitäten auf zu dichtem Raum angesiedelt habe – und das sei bereits in den 1980ern so gewesen.

Von den Balkonen der Mehrfamilienhäuser an der Hermann-Rotthäuser-Straße blicken die Anwohner ins grüne Umfeld Richtung Ruhr.
Von den Balkonen der Mehrfamilienhäuser an der Hermann-Rotthäuser-Straße blicken die Anwohner ins grüne Umfeld Richtung Ruhr. © FUNKE Foto Services | André Hirtz


Und dennoch, betont auch Ingrid Becker, „kann es nicht sein, dass jetzt zwei Familien, ob sie nun Clans angehören oder nicht, im Mittelpunkt stehen“. Diese schädigten den Ruf des Viertels, „und wir fühlen uns diffamiert“. Sie wollten Tatsachen und Missstände nicht wegdiskutieren, aber sie ertrügen die Schlagzeilen nur schwer und es treffe sie halt, wenn selbst Bekannte inzwischen entsetzt fragten: „Was ist denn bei Euch los?“

Debatten über organisierte Kriminalität

Dabei hätten sie und ihr Mann sich niemals unsicher gefühlt. Nun müssten sie stattdessen erleben, wie sogar Politiker Debatten über organisierte Kriminalität etwa in sozialen Netzwerken losbrechen würden, sagen Anwohner, da zuletzt Ratsherr Wilfried Adamy (Essener Bürger Bündnis - Freie Wähler) das Thema aufgriff.

Die Polizei widersprach, und Bezirksvertreterin Michaela Heuser (SPD) ist überzeugt: „Solche Diskussionen helfen niemanden und verunsichern Anwohner zusätzlich.“ Die Probleme zu benennen, sei durchaus richtig. Aber statt alles pauschal schlecht zu machen, müsse man gemeinsam nach Lösungen suchen. Dafür säßen bereits zahlreiche Akteure an einem Tisch, nun kämen Stadtteilmoderatoren hinzu. Ein Stadtteilbüro befindet sich längst an der Ladenstraße.

Einst gab es zahlreiche Einzelhändler und Supermärkte

Den wirtschaftlichen Niedergang der Ladenstraße bedauern viele im Viertel, wo es einst zahlreiche Einzelhändler, Edeka und Rewe gab. Zum Einkaufen fahren sie nun nach Steele oder Wattenscheid, aufs Hörsterfeld aber lassen sie dennoch nichts kommen, weil es ihr Zuhause ist.


Andere, die ebenfalls vor 40 Jahren herzogen und rasch von manchen Polizeieinsätzen mitbekamen, hatten da schon ihre Zweifel. Geblieben sind sie dennoch, weil eine Straße eben nicht ein ganzes Viertel ausmache, sagen Nachbarn. „Man kann nicht alle in einen Topf werfen“, sagt ein Anwohner, der seinen Namen nicht veröffentlichen möchte.

Schon die Bezeichnung Hörsterfeld stört manche

Ein Blick in die Straßen, wo sich Reihenhäuser, Mehrfamilien- und Hochhäuser in direkter Nachbarschaft befinden.
Ein Blick in die Straßen, wo sich Reihenhäuser, Mehrfamilien- und Hochhäuser in direkter Nachbarschaft befinden. © FUNKE Foto Services | André Hirtz


Ihn störten wie manchen hier allein schon Bezeichnungen wie Isinger Feld, Bergmannsfeld oder eben Hörsterfeld („Es ist Horst“), die Kinder hörten in der Schule dann Begriffe wie „Ghetto“. „Diese Stigmatisierung führt auch dazu, dass die Stadt hier Teile der Infrastruktur vernachlässigt“, beklagt er und meint so einige kaum befahrbare Radwege Richtung Ruhr.

Dabei müsste vor allem die Ladenstraße wieder belebt werden, glaubt Gerhard Klambt. Einzelne Sozialarbeiter würden nicht helfen, selbstverständliche Regeln im Alltag müssten vor allem mal eingehalten werden. Dazu gehöre es eben auch, Sperrmüll nicht achtlos auf die Straße oder die Wiese zu werfen. Das ärgere ihn durchaus, da er sonst den Blick ins Grüne von seinem Balkon und die langen Spazierwege genießt, die gleich vor seiner Haustür beginnen. Ohne ungutes Gefühl, „gefährlich wird es erst an der Ruhr – wegen der Radfahrer“.