Essen. Polizeipräsident Frank Richter nimmt im Interview Stellung zum Fall George Floyd und zu Gewalt- und Rassismusvorwürfen gegen Essener Polizisten.
Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA, sind weltweit Hunderttausende Demonstranten auf die Straße gegangen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Auch in Essen gab es Demonstrationen und allein dieses Jahr schon mindestens drei Fälle, in denen Essener Beamten überzogene Härte und eine rassistische Motivation vorgeworfen wurde. In allen Fällen dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft an, stets widersprach die Essener Polizei den Vorwürfen vehement.
Die Redakteure Jörg Maibaum und Sinan Sat sprachen mit Essens Polizeipräsident Frank Richter über die die Macht und Verantwortung der Uniform und über Selbstkontrolle und Korpsgeist.
Herr Richter, was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Bilder der Tötung George Floyds durch einen Polizisten und die Tatenlosigkeit seiner Kollegen sehen?
Frank Richter: Als ich die Bilder sah, war ich fassungslos und bestürzt. Nicht nur die unangebrachte Gewalt gegenüber George Floyd, sondern auch die Tatenlosigkeit der anderen Polizisten hat mich besonders erschüttert.
In drei Fällen wird aktuell gegen Essener Polizisten ermittelt, weil der Vorwurf erhoben wurde, sie hätten aus rassistischen Motiven unnötig Gewalt angewandt. Obendrein hat eine Verdi-Gewerkschafterin behauptet, der durch einen Polizeischuss getötete Adel B. sei aus rassistischen Motiven umgebracht worden. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
In den von Ihnen angesprochenen Fällen wird derzeit gegen die eingesetzten Beamten ermittelt. Dies ist übliche Praxis immer dann, wenn Vorwürfe gegen Beamte erhoben werden. Über den aktuellen Stand der Verfahren habe ich keine Erkenntnisse, da in solchen Fällen aus Gründen der Neutralität eine andere Polizeidienststelle die Ermittlungen übernimmt. Nach allem, was ich weiß, kann ich in allen drei Fällen rassistische Motive bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausschließen.
Und die Vorwürfe im Adel B.?
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Hier bin ich besonders bestürzt darüber, dass gerade dieser Fall genutzt wird, um den einschreitenden Beamten eine rassistisch motivierte Gewaltausübung vorzuwerfen. Dem tragischen Tod des Adel B. liegt eine eindeutige Notwehrhandlung der Polizei zugrunde. Dieses ist bis zur Generalstaatsanwaltschaft mehrfach geprüft worden. Hier von einem Mord durch die Polizei Essen zu sprechen, die auch noch rassistisch motiviert sein soll, ist für mich als Behördenleiter unerträglich. Jeder, der hier von Mord redet, stellt somit unser komplettes Rechtssystem in Frage. Was mich als Mensch besonders umtreibt ist, dass meine am Einsatz beteiligten Mitarbeiter weiterhin hier in Essen für die Sicherheit der Bürger ihren Dienst verrichten. Sie lesen dann in der Zeitung oder in sozialen Netzwerken, dass sie als Mörder bezeichnet werden. Sie schützen mit Ihrer Anwesenheit Versammlungen, in denen Versammlungsteilnehmer Plakate mit der Aufschrift zeigen: „Adel B. Das war Mord! Bullen raus aus Altendorf!“ Das nötigt mir Respekt ab.
In vielen Fällen lassen sich die Vorwürfe letztendlich nicht objektiv bewerten. Am Ende steht häufig Aussage gegen Aussage. Auch weil es unter Polizisten verpönt ist, Kameraden zu verpfeifen. Wie schwer ist es, die Balance zwischen Korpsgeist und Gesellschaftsverantwortung zu halten? Wie machen Sie das?
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Ich bin jetzt 44 Jahre in der Polizei und ich sage Ihnen: Es gibt keinen Korpsgeist. Korpsgeist ist ein Wort aus ganz anderen, vordemokratischen Zeiten. Was es gibt und auch geben muss, ist Teamgeist, das gilt aber überall dort, wo Menschen sich in den Dienst einer Sache stellen. Und zum Teamgeist gehört, Spielregeln aufzustellen und dann auch jene zur Ordnung zu rufen, die dagegen verstoßen. Das geschieht bei uns, es ist selbstverständlich. Wir pflegen in unserer Behörde eine transparente Fehlerkultur. Im Übrigen: Wenn zwei Menschen über einen Sachverhalt dasselbe sagen, dann zeugt das nicht von Teamgeist, sondern es bedeutet, dass sie diese Sache gleich beurteilen. Sie deshalb zu verdächtigen, finde ich seltsam.
Grüne und Linke springen der Chefin Ihrer Partei, der SPD, bei, die eine unabhängige Untersuchung von Gewaltanwendung und Rassismus durch Polizeibeamte fordert. Die CDU spricht von einem Pranger für Polizisten. Wie stehen Sie dazu?
Erst einmal bin ich erleichtert, dass die SPD-Vorsitzende ihren Vorwurf, es gebe bei der Polizei latenten Rassismus, inzwischen so zurück genommen hat. Jetzt spricht sie von Einzelfällen, die es nicht geben dürfte. Grundsätzlich sehe ich keine Notwendigkeit für eine unabhängige Stelle. Derzeit ist das Verfahren in NRW so, dass wenn gegen einen Polizeibeamten ermittelt wird, aus Neutralitätsgründen immer eine andere Behörde die Ermittlungen führt. Neben einer Strafanzeige gegen Polizeibeamte, stehen Betroffenen eine Vielzahl von Beschwerdemöglichkeiten offen: Von einer Dienstaufsichtsbeschwerde bis hin zu der Anrufung des Petitionsausschusses des Landtages NRW. Zudem frage ich mich, welche Befugnisse eine unabhängige Stelle haben sollte und welchen Platz sie im rechtsstaatlichen Prinzip einnehmen soll. Außerdem stellt sich mir die Frage, wie man in dieser Diskussion „unabhängig“ verstehen soll.
Es gibt Politiker, die sagen, Deutschland sei nicht USA und hier gebe es keinen Rassismus bei der Polizei. Basta. Können Sie dem ebenso uneingeschränkt folgen?
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Deutschland ist in vielerlei Hinsicht nicht mit den USA vergleichbar. In der deutschen Polizei existiert so etwas wie systemischer Rassismus nicht. Es gibt in der Polizei rassistische Entgleisungen, aber das sind Einzelfälle. Systemisch ist bei uns etwas anderes: Es gibt, gerade bei uns in NRW, ein ausgefeiltes Frühwarnsystem, das ganz anders als in den USA Möglichkeiten bietet, Extremisten zu erkennen und aus der Polizei auszuschließen. Rassismus ist leider ein weit verbreitetes Phänomen in der Gesellschaft, dem sich alle demokratischen Kräfte entgegenstellen müssen. Rassisten und Extremisten haben in der Polizei keinen Platz.
Essen ist eine Hochburg krimineller Clans. Viele der Beamten haben Erfahrungen mit respektlosem oder auch handgreiflich werdenden Personen aus dem Umkreis der migrantischen Clans gemacht. Und da uns unsere Erfahrungen prägen, so heißt es, liege die Annahme nahe, dass Essener Polizisten nicht immer unvoreingenommen auf junge Männer aus dem türkisch-arabischen Kulturkreis reagieren. Von „racial profiling“ ist dann die Rede. Wie gehen Sie intern damit um?
Wir bei der Polizei Essen benutzen in der Kommunikation ungern die Bezeichnung „Clan“, weil sie zu ungenau ist und das eigentliche Problem nicht konkret benennt. Wir bekämpfen bei diesem Phänomen kriminelle Strukturen, die oftmals im Schutz der Großfamilie erst möglich geworden sind. Gerade weil wir den Vorwurf des Racial Profiling kennen, legen wir bei diesem Behördenschwerpunkt größten Wert darauf, dass ausschließlich Hinweise auf Verstöße gegen die Rechtsordnung Grundlagen unserer Maßnahmen sind. Auch wenn nahezu alle Beamtinnen und Beamten bei diesen Einsätzen bereits respektlosen Umgang erfahren haben, gehen sie ausgesprochen professionell und mit großem Augenmaß in die Einsätze. Schwierige Einsätze werden zudem grundsätzlich nachbereitet. Hierdurch versuchen wir auch negative Erfahrungen mit Objektivität zu begegnen. Zudem gibt es Gesprächsangebote über die evangelische und katholische Polizeiseelsorge und Fortbildungen in Bezug auf interkulturelle Kompetenz und Stressbewältigung. So beugen wir einem Racial Profiling vor.
Andersherum entwickelt sich daraus – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – die Erzählung unter jungen Migranten, die deutsche Polizei habe es besonders auf schwarzhaarige und dunkelhäutige Personen abgesehen. Ist das völlig abwegig?
Ja, das ist es. Die Polizei in Essen und Mülheim richtet ihr Einschreiten doch nicht am Aussehen von Menschen aus. Unsere Grundlage sind die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir in teilweise monatelangen Ermittlungen gewonnen haben. Nichts anderes ist Grundlage unserer polizeilichen Maßnahmen.
Innenminister Herbert Reul hat einmal gefordert, die Polizei in NRW müsse robuster auftreten. Hat sich das in den alltäglichen Einsätzen niedergeschlagen, ist das Signal des oberen Dienstherrn vielleicht auch der Grund dafür, dass gefühlt mehr geklagt wird über angeblich unverhältnismäßige Härte?
Ich will die Aussage meines Innenministers hier nicht interpretieren, aber unverhältnismäßige Härte war hier mit Sicherheit nicht gemeint. Diese verbietet sich bei Polizeieinsätzen generell. Richtige Konsequenz - ja, unbillige Härte - nein!
Wenn nicht das, was sind dann die Gründe, dass Opfer vermeintlicher Polizeigewalt inzwischen so offensiv die Öffentlichkeit suchen?
Die Antwort ist einfach: Betroffene polizeilicher Maßnahmen wollen hier sehr häufig durch den Missbrauch des Vorwurfs von Polizeigewalt und Rassismus vom eigenen Fehlverhalten ablenken. So macht sich der Täter zum Opfer. In der Öffentlichkeit – gerade in der digitalen – finden diese dann leider auch dankbare Abnehmer, die völlig undifferenziert Darstellungen übernehmen, diese nicht hinterfragen und sie im Ergebnis als einzige Wahrheit werten. Dramatisch ist aus meiner Sicht jedoch, was diese Menschen damit unter Umständen anrichten. Sie versuchen bewusst das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen zu zerstören. Da müssen wir gegenhalten. Und das werden wir auch.