Essen. Überraschende Order aus Düsseldorf: Elf Tage vor den Ferien sollen alle Grundschüler zurück. Essener Pädagogen geschockt, Eltern erleichtert.

Alle Grundschüler sollen ab Montag, 15. Juni, wieder gleichzeitig unterrichtet werden. Mit dieser überraschenden Ankündigung hat das Schulministerium am Freitag in Essen sehr heftige, unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während Schulleiter und Lehrer mit Sprachlosigkeit und Entsetzen reagieren, sind viele Eltern erfreut und erleichtert, dass ihre Kinder zumindest elf Tage lang bis zum Beginn der Sommerferien wieder regelmäßigen Unterricht erhalten sollen.

Die Ankündigung, am 15. Juni zu einem nahezu regulären Schulbetrieb zurückzukehren, verschickte das Schulministerium per E-Mail am Freitag gegen viertel nach neun. Es erwischte die Grundschulen kalt. Denn sie waren erst am 7. Mai mit einem rollierenden System gestartet: Derzeit wird pro Tag jeweils nur ein Jahrgang unterrichtet, der in halbierten Klassen aufgeteilt ist. So soll in den Schulgebäuden der Abstand gewahrt werden. Die meisten Beteiligten waren bislang davon ausgegangen, dass dieses System bis zum Ende des Schuljahres (letzter Schultag ist der 26. Juni) so beibehalten wird.

Denn noch am Mittwoch hatte es aus dem Schulministerium geheißen, dass das erklärte Ziel des Ministeriums sei, "nach den Sommerferien wieder in einen regulären Schulbetrieb mit möglichst viel Präsenzunterricht zurückzukehren. Bei dieser Zielsetzung bleibt es."

Unterricht soll zeitversetzt starten

Doch dann kam die überraschende Wende: Alle Grundschulkinder sollen ab Montag, 15. Juni, wieder in die Schule. In den Klassen entfallen die Abstands-Regeln. Ziel ist es, dass die Klassen möglichst unter sich bleiben und keine Durchmischung mit Kindern aus Parallelklassen stattfinden soll. Deshalb soll der Unterricht morgens zeitlich versetzt beginnen. Kurse mit Kindern aus verschiedenen Klassen - zum Beispiel Religion - sollen vorerst noch nicht gegeben werden.

Das stellt die Schulen vor Herausforderungen - auch deshalb, weil derzeit rund ein Drittel der Grundschulen keine funktionierende Internet-Seite hat wegen technischer Störungen beim Essener Systemhaus (ESH). So können Eltern nur schlecht über die künftigen Anfangszeiten des Unterrichts informiert werden.

Größere Schwierigkeiten drohen beim Betrieb der Offenen Ganztagsbetreuung (OGS): Diese soll nach den Vorgaben des Ministeriums ebenfalls wieder stattfinden, aber unter Hygieneschutzbestimmungen. In der OGS sind die Gruppen aber nicht nach Klassenverbänden organisiert. "Wo soll ich denn jetzt neue Gruppenräume hernehmen", fragt sich eine Schulleiterin aus dem Essener Osten und bezweifelt ernsthaft, dass im Ministerium überhaupt bekannt ist, wie Ganztagsbetreuung an Grundschulen organisiert ist.

Während die Mail aus Düsseldorf ein kleines Erdbeben auch in der Essener Schulverwaltung auslöst und dort die Telefone sofort heißlaufen, melden sich schnell die ersten Erzieherinnen bei Martina Peil von der Gewerkschaft Verdi: Wie soll denn der Offene Ganztag an den Schulen funktionieren, fragen die Mitarbeiterinnen. "Die Gruppenräume sind häufig so eng, da ist ein regulärer Betrieb überhaupt nicht möglich, wenn man den Infektionsschutz ernst nimmt", wendet Martina Peil ein.

Aufwändige Organisation des restlichen Schuljahres ist jetzt hinfällig

"Da sind sehr viele Fragezeichen offen", sagt auch Winfried Bega, Leiter der Grundschule am Wasserturm (Südostviertel) und Sprecher der Essener Grundschulleiter. Er räumt ein, "geschockt" auf die Nachricht aus Düsseldorf reagiert zu haben - erst kürzlich wurde an Begas Schule der für Mitte Juni geplante Kennenlernnachmittag der künftigen Erstklässler abgesagt. Die Organisation des restlichen Schuljahres nach den bislang geltenden Bestimmungen habe viel Aufwand erfordert. "Das ist jetzt alles Makulatur." Eine Schulleiterin sagt: "Jetzt haben sich alle an das rollierende System gewöhnt, und es ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, warum man wenige Tage vor Ferienbeginn nochmal alles umschmeißen muss."

"Die Schulen stellt das vor enorm große Herausforderungen", sagt auch Cornelia Kaitinnis-Lenz, Leiterin der Theodor-Heuss-Grundschule in Bergerhausen. "Alle Schulen waren darauf eingerichtet, dass der Regelbetrieb frühestens erst nach den Sommerferien wieder beginnt."

Elternvertreterin: "Wir freuen uns über diesen Schritt"

Merja Dworczak vom neu gegründeten Verein "Eltern der Essener Schulen", der bislang vor allem Väter und Mütter vereint, deren Kinder Grundschulen besuchen, bewertet die Situation ganz anders: "Wir freuen uns über den Schritt zur Normalisierung", sagt die dreifache Mutter. "Wenn alles andere auch langsam wieder Betrieb aufnimmt, warum dann nicht die Grundschulen?" Auch wenn es mit dem Start des Regelbetriebs nur noch elf Tage sind bis zum Ferienbeginn: "Jeder Tag Präsenz-Unterricht ist für die Kinder wichtig, ihnen fehlt das wirklich." Merja Dworczak räumt jedoch ein, dass die Ankündigung des Schulministeriums eine Schieflage erzeugt: "Es ist dann nicht mehr zu rechtfertigen, dass in den weiterführenden Schulen weiter Not-Programm gefahren wird."