Essen. Mit dem neuen Verteilzentrum führt Amazon sein Flex-Fahrer-Modell auch in Essen ein. Privatleute sollen Pakete zustellen. Kritik kommt von Verdi.

Der Versandriese Amazon nimmt auch in Essen die Zustellung seiner Bestellungen zunehmend selbst in die Hand. Im Februar eröffnete Amazon an der Pferdebahnstraße ein neues Verteilzentrum. In dem ehemaligen Metro-Lager werden seither Pakete angeliefert und auf Zustellfahrzeuge verteilt. Das Verteilzentrum laufe mittlerweile im Normalbetrieb, heißt es bei Amazon. Nun sucht Amazon weitere Kräfte für die Zustellung und hat dabei Privatpersonen im Blick, die im Nebenjob Pakete ausfahren.

Wie an vielen anderen Orten bundesweit organisiert Amazon in Essen die Belieferung der so genannten letzten Meile selbst, um sich von anderen Paketdiensten unabhängiger zu machen. Allerdings bestreitet Amazon dies nicht allein mit eigenen Mitarbeitern. Denn nur die Beschäftigten im Verteilzentrum sind bei Amazon angestellt.

Amazon beschäftigt im Verteilzentrum in Essen 130 Mitarbeiter

In Essen sind das momentan 130 Mitarbeiter, die einen Job dort angenommen haben. Nach Angaben des Unternehmens liegt der Einstiegslohn bei mindestens 11,61 Euro brutto pro Stunde. Hinzu kämen Extras wie Nachtschichtzuschläge, Sondervergütung für Überstunden, eine Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung sowie Beiträge für die betriebliche Rentenversicherung.

Die Gewerkschaft Verdi bezeichnet den Lohn zwar als branchenüblich. Allerdings verweigere sich das US-Unternehmen anders als die Konkurrenz vehement, eine Tarifbindung einzugehen, sagt Uwe Speckenwirth. Er ist bei Verdi Landesfachbereichsleiter für den Bereich Logistik und Postdienste. Deshalb sei die Bezahlung auf diesem Niveau auch nicht unbedingt auf Dauer garantiert.

Anders als Arbeiter im Verteilzentrum sind die Paketboten, die für Amazon unterwegs sind, nicht dort angestellt. Sie kommen von Dienstleistern. Wie eine Sprecherin von Amazon mitteilte, arbeitet der Versandhändler in Essen derzeit mit elf regionalen Lieferpartnern zusammen. Diese würden rund 300 Fahrer für die Zustellung der Amazon-Pakete einsetzen. In Spitzenzeiten braucht Amazon allerdings deutlich mehr Boten. Noch vor Eröffnung des Verteilzentrums sprach Amazon von bis zu 550 Fahrern am Standort Essen.

Amazon sucht private Fahrer vor allem für Spitzenzeiten

Doch das Personal ist auf dem Arbeitsmarkt hart umkämpft. Denn auch andere Paketdienste suchen dringend Fahrer. Für die Paketdienstleister ist es vor allem wichtig, in Spitzenzeiten wie Weihnachten, jetzt in der Coronakrise oder während der Rabattschlachten am Black Friday genügend Personal zu bekommen. Deshalb testet Amazon schon seit Ende 2017 auch in Deutschland das Modell "Amazon Flex": Privatleute liefern für den US-Versandhändler Pakete aus.

Mit Eröffnung des neuen Verteilzentrums sucht Amazon solche Privatfahrer nun auch in Essen. "Das Programm hilft uns, mehr Flexibilität für unsere Kunden zu schaffen und verbessert das Kundenerlebnis", erklärte die Sprecherin dazu.

Die Stellenanzeige im Netz umschreibt den Job mit blumigen Worten: "Du wirst ganz einfach Pakete in Essen ausliefern, aber das ist nicht alles! Bei Amazon Flex geht es darum, ohne Vorgesetzten zu arbeiten. Im Grunde liegt es also an dir, wie schnell du arbeitest und wie dein Zeitplan aussieht. Außerdem: Du entscheidest, an welchen Tagen du arbeiten möchtest!"

Viel braucht es zudem nicht, um ein Flex-Fahrer zu werden, verspricht Amazon: Es genüge ein Führerschein, ein Smartphone und ein Fahrzeug, das allerdings mindestens mittelgroß sein muss. Und den nötigen Gewerbeschein könnten die privaten Zusteller auch noch in den ersten 90 Tagen nachreichen.

Flex-Fahrer bekommen 25 Euro pro Stunde, haben aber viele Kosten

Kein Chef, flexibles Arbeiten: Das klingt für manchen verlockend. Auch das Einkommen sieht erstmal passabel aus: Die Fahrer bekommen 25 Euro pro Stunde. "Das hört sich gut an, allerdings wenn man alles abzieht, bleibt dann nicht mehr viel davon übrig", warnt Speckenwirth von Verdi.

Denn die Flex-Fahrer müssen als Selbstständige ihr Einkommen versteuern, müssen Sozialbeiträge abführen. Auch Sprit und eine teurere KfZ-Versicherung gehen auf ihre Kosten. Wer dann außerdem mit der Zeit für die vorgegebenen Routen nicht hinkommt, der muss rechnen, ob sich das lohnt.

Vor allem Studenten würden den Job schätzen, sagt die Amazon-Sprecherin. Oder Menschen, die sich zu ihrem Einkommen noch etwas hinzuverdienen wollen. Wer sich davon allerdings einen Vollzeit-Job verspricht, der sollte die Finger davon lassen.

"Die verfügbaren Zustellblöcke können von Woche zu Woche schwanken und werden nicht garantiert. Es sollte nicht als Vollzeittätigkeit eingeplant werden", schreibt Amazon selbst in seinen FAQ.

Gewerkschaftern sind solche Jobmodelle ein Dorn im Auge, weil sie dem Markt sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entziehen. "Großkonzerne wie Amazon sollten die Verantwortung nicht auf Soloselbstständige abwälzen, sondern lieber Arbeitsplätze schaffen", sagt Speckenwirth. Erfahrungsgemäß seien die Zusteller als "letztes Glied in der Lieferkette ohnehin diejenigen, die am schlechtesten wegkommen".