Essen. Die Stadt Essen soll auf Hauptverkehrsstraßen “Pop-up-Radwege“ einrichten - zulasten des Autoverkehrs. Gesundheitsschutz als Mittel zum Zweck.

Durch die Coronakrise ist weniger los auf den Straßen, um bis zu 50 Prozent ist das Verkehrsaufkommen während des behördlich verordneten Lockdown zurückgegangen. Die Grünen wollen die Gunst der Stunde nutzen und fordern die Stadt auf, an Hauptverkehrsstraßen sogenannte "Pop-up-Radwege" einzurichten. Fahrradfahrer sollen dadurch mehr Platz bekommen - zulasten des Autoverkehrs.

Als Vorreiter gilt aus Sicht der Grünen Berlin. Die vom rot-rot-grünen Senat regierte Bundeshauptstadt zeigt sich betont fahrradfreundlich und ausgesprochen kreativ, wenn es darum geht, Radfahrern neuen Verkehrsraum zu erschließen.

Radwege werden mit Baustellenbaken und Klebeband auf der Fahrbahn markiert

So wurden auf dem Asphalt diverser Straßen im Stadtbezirk Kreuzberg-Friedrichshain, eine Hochburg der grün-alternativen Szene, mithilfe von Baustellenbaken und gelbem Klebeband jüngst Radwege markiert. Fahrspuren für den Autoverkehr und auch Parkplätze fielen dafür weg. Negative Folgen für den Kfz-Verkehr habe es dadurch wegen des ohnehin geringen Verkehrsaufkommens aber nicht gegeben, weiß Ernst Potthoff, verkehrspolitischer Sprecher der Essener Grünen, zu berichten.

Seine Fraktion fordert die Stadt Essen nun mit einem Antrag an den Bau- und Verkehrsausschuss auf, dem Berliner Beispiel zu folgen und an ausgesuchten Hauptverkehrsstraßen ebenfalls "temporäre pandemieresiliente Radverkehrsanlagen" anzulegen.

Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich der Ruf nach provisorischen Radwegen. Als Argument führen die Grünen das Risiko einer Corona-Infektion an, die es zu vermeiden gilt: Aus Gründen des Gesundheitsschutzes müsse mehr Platz für Fuß- und Radverkehr geschaffen werden, um den 1,50 Meter-Sicherheitsabstand zu gewährleisten.

Während der Pandemie fahren mehr Menschen Rad oder gehen zu Fuß

Die Stadtplanung müsse darauf reagieren, dass wegen der Corona-Pandemie immer mehr Menschen Rad fahren oder zu Fuß gehen, so Potthoff. In Pop-up-Radwegen sehen die Grünen dafür ein schnell zu realisierendes und zudem preiswertes Instrument.

Wie das in der Praxis aussehen könnte, durften Passanten und Autofahrer unlängst an der Friedrich-Ebert-Straße bestaunen. Zum Auftakt des "Essener Radentscheids" hatten Aktivisten eine Fahrspur auf 200 Metern Länge zum Radweg umfunktioniert. Das Bürgerbegehren setzt sich für einen Ausbau des Radverkehrs ein.

Die Stadt Essen will die Lücken im Hauptroutennetz bis 2025 schließen

Dass es Defizite gibt, hat auch die Stadt Essen erkannt. Eine Bestandsaufnahme, welche die Verwaltung dem zuständigen Fachausschuss des Rates im vergangenen Jahr vorgelegt hat, kommt zu dem Ergebnis, dass im 197 Kilometer langen Fahrrad-Hauptroutennetz noch immer teils gewaltige Lücken klaffen. Diese summieren sich immerhin auf eine Länge von 52,3 Kilometer.

Erklärtes Ziel der Stadt ist es, die Lücken bis zum Jahr 2025 zu schließen. Dies durchaus auch auf Kosten des Autoverkehrs, wie das Beispiel Frankenstraße zeigt. Dort wurde zwischen Stadtwaldplatz und Berenberger Mark in beide Fahrtrichtungen je eine von zwei Fahrspuren dem Radverkehr zugeschlagen.

Bemerkenswert: Die Grünen gehen mit ihrer Forderung nach Einrichtung temporärer Radwege über das Hauptroutennetz hinaus. Dieses bedürfe ohnehin dringend einer Überarbeitung, sagt Ulrich Pabst, "Spiritus Rector", des Vorschlages, der elf Hauptstraßen aufführt, darunter viel befahrene Verkehrsachsen wie die Gladbecker Straße (B224) und die Wuppertaler Straße (B227). In jedem Stadtteil wären ihnen leicht drei oder vier weitere Hauptverkehrsstraßen eingefallen, die infrage kämen, sagt Pabst.

Der Anteil des Radverkehrs soll bis zum Jahr 2030 auf 25 Prozent steigen

Mit ihrem Vorstoß wollen die Grünen die Verkehrswende beschleunigen. Sollte die Stadt es ernst meinen und den Anteil des Radverkehrs wie vom Rat der Stadt beschlossen bis zum Jahr 2030 von derzeit sieben Prozent auf 25 Prozent steigern zu wollen, komme sie nicht umhin, den Verkehrsraum neu zu verteilen.

Temporäre Radwege sollen zeigen, dass dies möglich sei. An der Wuppertaler Straße, wo der vorhandene, gut ausgebaute Radweg durch eine Dauerbaustelle der Stadtwerke blockiert ist, könnte ein "Pop-up-Radweg" ohne weiteres wieder verschwinden, sobald die Bauarbeiten beendet sind. An anderen Hauptstraßen dürften nach dem Geschmack der Grünen aus provisorischen Radwegen gerne dauerhafte werden. Der Ruf nach mehr Gesundheitsschutz ist da auch Mittel zum Zweck.

DIESE STRASSEN SCHLAGEN DIE GRÜNEN VOR

In einem Antrag an den Bau- und Verkehrsausschuss schlägt die grüne Ratsfraktion die Einrichtung von "Pop-up-Radwegen" an Abschnitten folgender Hauptstraßen vor: Altenessener Straße, Gladbecker Straße, Münchener Straße, Martinstraße, Franziskastraße, Grenoblestraße, Bochumer Landstraße, Heisinger Straße, Wuppertaler Straße, Marie-Juchacz-Straße, Kupferdreher Straße, Velberter Straße und Heidhauser Straße.

Provisorische Radwege sollten zudem um Umfeld der größeren weiterführenden Schulen eingerichtet werden.