Essen. Die Kitas sollen am 8. Juni wieder für alle Kinder öffnen. Eine Essener Erzieherin, über 30 Jahre im Job, sagt: „An uns denkt dabei niemand.“
Die Kitas in NRW sollen am 8. Juni wieder für alle Kinder öffnen. Eine Erzieherin aus Essen, die ungenannt bleiben möchte und mehr als 30 Berufsjahre hinter sich hat, kritisiert: „An uns denkt dabei niemand.“
Natürlich hat sie Verständnis für alle Eltern, die nicht richtig arbeiten konnten und können während der letzten Monate. Sie versteht auch, dass Kinder ihre Freunde vermissen und sich zu Hause langweilen. Doch während alle Welt über Finanzspritzen für Firmen und Maskenpflicht in Supermärkten spricht, fragt sich die Frau: „Hat jemand mal über die Angestellten in Kindertageseinrichtungen nachgedacht?“ Sie würden sich seit Beginn der Notbetreuung einem massiven Risiko aussetzen, „denn unser Job ist mit Abstand halten oder mit Schutzmaske überhaupt nicht möglich. Und wir haben zu Hause auch Familienmitglieder, die wir anstecken könnten.“
Abstand zu halten, funktioniert nicht in der Kita
Klar ist mittlerweile: Die Ansteckungsgefahr mit Corona ist dort am größten, wo viele Menschen lange Zeit in einem geschlossenen Raum verbringen. Geht am 8. Juni, wie angekündigt, das normale Betreuungsprogramm in den Kitas wieder los, bedeutet das: 25 Kinder in einem Gruppenraum, plus Erzieherinnen, „und Abstand halten können Sie da nicht.“
Auch interessant
Währenddessen werden an den Schulen die Klassen aufgeteilt, wird die Zahl der Präsenz-Tage für Schüler bis zu den Ferien auf ein absolutes Minimum zurückgefahren, sodass dort - an den Schulen - zumindest räumliche Abstände gewahrt werden können. Doch wie ist es in den Kitas? „Wir sind nah an den Kindern beim Spielen, beim Singen, beim Schlafenlegen, beim Windelwechseln. Da können Sie sich noch so oft am Tag die Hände waschen oder Oberflächen desinfizieren.“
20 Prozent des Kita-Personals fällt aus
Doch die Gesundheit des pädagogischen Personals in den Kindertageseinrichtungen spiele, auch in der öffentlichen Diskussion, überhaupt keine Rolle: „Da wird nur über überforderte Eltern gesprochen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Bei allem Verständnis: Das stört mich.“
Die Landesregierung plant, die Zeit der Betreuung pro Woche ab 8. Juni grundsätzlich um zehn Stunden zu kürzen. Das liegt daran, dass auch in Essen etwa 20 Prozent des Kita-Personals nicht einsatzfähig ist - wegen Vorerkrankungen, fortgeschrittenen Alters oder wegen Schwangerschaften.
Was die Eltern sagen
Robert Armbruster, Vorstand des Jugendamtselternbeirats (JAEB), berichtet: Einerseits seien Eltern froh, dass die Kitas wieder ihren Regelbetrieb aufnehmen sollen. Andererseits „ist den Eltern klar, dass das vor allem auf Druck der Wirtschaft geschieht“, sagt Armbruster.
Das große Problem des fehlenden Personals werde jetzt überdeutlich, sagt Armbruster: „Die Kitas waren schon vor Corona mit zu wenig Erzieherinnen und Erziehern ausgestattet. Das Problem fliegt uns jetzt noch viel stärker um die Ohren.“
„Das reißt es überhaupt nicht ‘raus“, sagt die Erzieherin. „Wir werden voll arbeiten, und das noch unter schlechteren Bedingungen als vor Corona.“ Denn die Zugangszeiten zu den Außengeländen der Kitas sollen reglementiert werden, die Gruppen möglichst nicht miteinander vermischt werden. Was bedeutet: Viele Menschen verbringen viel Zeit in engen Räumen miteinander.
„Druck der Wirtschaft“
Kritik? Kommt bislang nur von der Gewerkschaft Komba, die den Hygieneschutz für die Mitarbeiter von Kitas als nicht ausreichend gewährleistet betrachtet. „Schutz und Sicherheit geht vor Tempo bei der Wiedereröffnung“, hieß es in der vergangenen Woche in einer Mitteilung des Komba-Landesverbandes.
Die Essener Erzieherin findet auch: „Es ist erstaunlich ruhig, was Kritik angeht. Und dass die Kitas vor allem deshalb geöffnet werden, weil die Eltern als Arbeitskräfte gebraucht werden, also auf Druck der Wirtschaft, das ist allen Beteiligten klar. Da ist die Sorge um die Entwicklung der Kinder nur vorgeschoben.“