Essen. Rund 100 Millionen Euro Verlust erwartet der Stadtkämmerer wegen der Corona-Krise für den Essener Haushalt - mindestens. Ein Grund ist die Messe.
Die Stadt Essen stellt sich für das laufende Jahre auf corona-bedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben von über 100 Millionen Euro ein - und das bereits im günstigsten Fall, betonte Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp. Sollte die Pandemie im Jahr 2020 noch einmal richtig Anlauf nehmen, könnte die Fehlsumme noch erheblich größer werden.
Fast 1000 Essener Unternehmen haben einen Antrag auf Minderung der Gewerbesteuer gestellt
„Ich benutze so ein Wort nicht leichtfertig, aber die Lage ist dramatisch“, sagt Grabenkamp. Fast 1000 Essener Unternehmen haben einen Antrag auf Minderung oder Wegfall der Gewerbesteuer gestellt. Allein 39,4 Millionen Euro - gerechnet nur bis Mai - fehlen der Stadt bei dieser wichtigen kommunalen Steuer, mit weiteren Ausfällen ist zu rechnen. Die für dieses Jahr erwarteten 374 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahme sind in weiter Ferne. Das gilt, obwohl es auch Branchen mit wenigen oder gar keinen Problemen gibt.
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Hinzukommen 10,3 Millionen Euro Mehrausgaben für Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, fehlende Kita-Elternbeiträge von monatlich 1,8 Millionen Euro, ausbleibende Gebühren und Eintrittsgelder von 1,2 Millionen Euro und eine aufgerundete weitere Million Euro Minus bei allerlei Kleinigkeiten. „Allein in der Kernverwaltung fehlen uns - Stand jetzt - 55,3 Millionen Euro“, so der Kämmerer.
Städtische Töchter haben stark erhöhten Zuschussbedarf - vor allem die Messe
Aber das ist noch lange nicht alles: Auch die städtischen Töchter, deren Defizite die Stadt schon in guten Zeiten auffangen muss, hängen durch – zumindest jene, die durch Corona ihre Tätigkeit reduzieren oder gar einstellen müssen. Bei der Ruhrbahn rechnet der Kämmerer derzeit mit einem Jahresminus von 6,9 Millionen Euro, bei den Theaterbetrieben mit mindestens zwei Millionen Euro, bei den Entsorgungsbetrieben mit 1,8 Millionen Euro und bei der Servicegesellschaft RGE mit 700.000 Euro. https://www.waz.de/staedte/essen/coronakrise-stadt-essen-erlaesst-haushaltssperre-light-id228887013.html
Mit Abstand am schwersten betroffen ist aber die Messe Essen. 2020 hätte das erste komplette Jahr in den soeben runderneuerten Hallen werden sollen, stattdessen steht die Ausstellungsgesellschaft seit Mitte März praktisch still. „Derzeit rechnen wir mit einem erhöhten Zuschussbedarf von 14,5 Millionen Euro“, sagt Grabenkamp.
Die Messe Essen setzt all ihre Hoffnungen auf den Herbst
Ob es dabei bleibt, hängt allein am weiteren Verlauf der Pandemie. Einige Messen wie die „Techno Classica“ sind bereits ersatzlos entfallen, andere wurden in den Herbst verlegt. Ob die Messegesellschaft ab September wirklich durchstarten kann, steht aber in den Sternen, wobei die lukrativen Fachmessen mit ihrem zahlenmäßig begrenzten Fachpublikum unter Corona-Gesichtspunkten bessere Chancen haben als die großen Publikumsmessen mit Hunderttausenden Besuchern.
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Wer will die Verantwortung übernehmen, dass es in den vollen Hallen mit dem Abstand klappt, sollte die Pandemie dann immer noch grassieren? Die finanzielle Katastrophe für die Stadt würde indes potenziert, sollten die großen Herbstmessen wie die „Spiel“ und die „Motor Show“ aus Sicherheitsgründen ausfallen müssen. Und auch für manche Essener Hoteliers ist ein einigermaßen normaler Messe-Herbst schon die letzte Hoffnung vor der Geschäftsaufgabe.
Selbst im aktuell günstigen Fall gibt es wenig Sicherheiten für den Jahresverlauf
Die Messe selbst will sich derzeit zu Prognosen nicht äußern. „Wir warten noch auf die behördlichen Auflagen zur Durchführung von Messen, die ab dem 1. Juni gelten sollen“, sagt Sprecherin Daniela Mühlen. „Um den weiteren Verlauf des Messejahres einschätzen zu können, ist eine Kenntnis und Bewertung dieser Auflagen unbedingt erforderlich.“
Selbst im aktuell günstigsten Fall gibt es aber mittelfristig keine echte Sicherheit. Sollten die Infiziertenzahlen zum Herbst wieder stark steigen, wäre das Messe-Jahr wohl endgültig gelaufen.
Stadtkämmerer: Sparen ist bei solchen Ausfällen keine Option mehr
Zwar hilft den Stadttöchtern bei der Absicherung des Personals das Instrument der Kurzarbeit, diese Rechnung zahlt nicht die Stadt, sondern die Agentur für Arbeit. Dennoch brauchen die städtischen Töchter in diesem Jahr mindestens 25 Millionen, im schlechtesten Fall sogar bis zu 42 Millionen Euro aus dem Rathaus.
Kein Wunder, dass Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp derzeit den Eindruck hat, vor einem Trümmerhaufen zu stehen. In einem drei Milliarden Euro starken städtischen Haushalt, der eng gestrickt ist und weit überwiegend von Pflichtaufgaben geprägt ist, sei ein Wegfall von 100 Millionen Euro schlicht nicht verkraftbar. „Bei solchen Summen ist auch Sparen keine Option mehr, dann geht Essen kaputt.“ Also müssen es neue Kredite richten. Kredite, die in den letzten zehn Jahren unter vielen Schmerzen getilgt wurden.