Essen. Tücken der Technik, Motivationsprobleme, das böse Wort „Corona-Ferien“: Hier berichten Redakteure, die schulpflichtige Kinder haben.

Wie läuft’s mit dem Unterricht zu Hause, dem so genannten „Home Schooling“? Hier unterhalten sich vier Redakteure, die Kinder haben, die auf weiterführende Schulen gehen. Es geht um die Tücken der Technik, die Kunst der Motivation und die neue, ungewohnte Rolle, plötzlich Hilfslehrer sein zu müssen. Wir haben unseren Kollegen Alias-Vornamen gegeben, um die Anonymität ihrer Kinder zu gewährleisten.

Wie läufts bei Euch mit dem Home Schooling?

Simone: Bei unserem Sohn auf dem Gymnasium läuft es nach einem schleppenden Start besser, seitdem die Schule eine Internet-Plattform eingerichtet hat. Vorher gab es nur E-Mails. Das war oft kompliziert, wenn es Rückfragen gab.

Oliver: Mein Eindruck ist genau gegenteilig. Das Gymnasium unserer Kinder hat eine aufwändige Plattform im Netz, doch die ist für meinen Geschmack technisch überfrachtet und bietet zu viele Möglichkeiten. Ich finde sie unübersichtlich. Stattdessen fehlt uns eine Liste mit den E-Mail-Adressen aller Lehrer, das fände ich mal praktischer.

Können Eure Kinder zu Hause richtig lernen?

Thomas: Mein Sohn spricht von Corona-Ferien. Seine Lehrer schicken zu Beginn der Woche Aufgaben, einige schicken auch einen Plan für mehrere Wochen. Manche Lehrer nennen einen Termin, bis zum dem er die bearbeiteten Aufgaben zurückschicken soll. Aber das tun die wenigsten. Einige bieten es auf freiwilliger Basis an. Es kommen dann Musterlösungen zurück. Es fällt mir schwer meinem Sohn begreiflich zu machen, dass es sich trotzdem um Unterricht handelt. Anfangs musste ich ihn antreiben, inzwischen setzt er sich unaufgefordert hin und bearbeitet seine Aufgaben. Wo ich helfen kann, helfe ich ihm. Den Lehrer kann ich aber nicht ersetzen. Wie auch? Ich fürchte, für ihn ist das ein verlorenes Schulhalbjahr.

Andrea: Unser Sohn (15) hatte die Wochen vor den Osterferien auch eher Hitzefrei XL: Ausschlafen bis 12 Uhr, Aufgaben bis 13 Uhr, Joggen, Duschen bis 15 Uhr, Chillen, Playstation, Netflix bis Ultimo: ein Stundenplan ganz nach seinem Geschmack. Und man hatte den Verdacht, dass der Stundenplan bei einigen Lehrern nicht viel anders aussah. Auf der Schulplattform haben sie sich jedenfalls nicht gemeldet. Nur dumm, dass in den Osterferien auch dem Letzten im Kollegium klar wurde, dass es noch eine ganze Weile weiter geht mit dem Lernen zu Hause. Seither gibt’s in allen elf Fächern einen Wochenplan mit teils umfassenden Aufgaben: Membrantransport, die Vesuvbriefe des Plinius, Tangentengleichungen, Ancien Régime, die Corona-Politik der Bundesregierung… Lehrer geben Lektüre-Tipps, schicken Links zu „weiterführenden Materialsammlungen“, empfehlen Lern-Videos oder schicken Quizaufgaben für Chemie – sollte mal Langeweile aufkommen. Fast 20 eng bedruckte Seiten Hintergrundwissen zu Prüfungsvorgaben, globale Fragestellungen zur Moralphilosophie...

„Den Lehrer kann ich nicht ersetzen“

Simone: Wir machen uns Sorgen um die Bewertung dieses Halbjahres, unser Sohn geht in die Q1, nächstes Jahr sind die Abi-Prüfungen. Der Stoff kann unter diesen Umständen maximal bruchstückhaft vermittelt werden und wird niemals aufgeholt. Digitale Kommunikation gut und schön – aber man darf sich nichts vormachen, Nachfragen seitens der Schüler gibt es ja doch eher sporadisch.

Thomas: Ich glaube auch: Was jetzt abläuft, ist schulisch ein absolutes Notprogramm. Wie die Kinder die Defizite aufholen sollen, ist mir schleierhaft. Die Corona-Quittung gibt es wahrscheinlich im nächsten Schuljahr.

Simone: Es ist ja auch schwierig, zu Hause eine gute Lern-Umgebung zu schaffen. Die Ablenkung ist groß. Es fehlt oft die Struktur über den Tag, so dass die Aufgaben dann abends erledigt werden. Wir können auch nicht ständig Kontrolle über unseren 17-Jährigen ausüben.

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Andrea: Wir rutschten zuletzt auch unversehens in die Rolle der Hauslehrer, die auch helfen müssen, den Überblick zu halten. Zumal die Schul-Plattform auf unserem PC installiert ist - unser Sohn hat keinen eigenen. Die einen Lehrer verknüpfen ihre Arbeitsaufträge mit klaren Deadlines, die anderen schicken die Lösungen gleich mit und fordern auf: „Schickt mir nichts zurück!“ Motivation geht anders. Eine Rückmeldung sollten die Schüler schon bekommen.

Jetzt wird viel darüber diskutiert, dass die Schulen in Deutschland digital nicht gut aufgestellt sind. Was ist Euer Eindruck?

Andrea: Man staunt schon, wenn auf der Homepage der Schule fast keiner der Lehrer eine E-Mail-Adresse angibt. So ist es zumindest bei uns.

Simone: Von schnellem Internet sind wir in unserem Stadtteil weit entfernt. Wir sehen den Schulträger und die Landesregierung in der Pflicht, die digitale Ausstattung in den Schulen auf den neuestem Stand zu halten und flächendeckend für alle zugänglich zu machen.

Thomas: Enttäuscht bin ich darüber, dass es nicht mehr Online-Unterricht gibt. Warum eigentlich nicht? Liegt das an den technischen Voraussetzungen? Wenn ja, bezahlen die Kinder dafür, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterherhinkt. Oder liegt es am Engagement der Lehrer? Ich frage mich auch, welche Vorgaben die Schulaufsicht macht. Oder ist es jedem Lehrer selbst überlassen, wie er seinen Unterricht organisiert?

„Von schnellem Internet sind wir weit entfernt“

Oliver: Ich komme nach fast fünf Wochen Home-Schooling zu der altmodischen Überzeugung, dass wir nicht mehr Digitales an Schulen benötigen, sondern weniger. Ich frage mich, warum die freie Zeit der Kinder nicht konsequenter genutzt wird für das Einüben von Techniken, die dauerhaft von Bedeutung sind. Warum werden unsere Kinder nicht angehalten, handschriftlich Briefe an die Lehrer zu schreiben? Warum gibt es nur sporadisch Aufträge, richtige Bücher zu lesen und kapitelweise zusammenzufassen? Unsere Kinder verbringen ohnehin schon genug Zeit vor Bildschirmen.

Thomas: Handschriftliche Briefe an die Lehrer schreiben? Das klingt für mich doch sehr romantisch. Wenn man eine Lehre aus dieser Krise ziehen kann, dann doch diese: Unsere Schulen müssen mächtig aufholen in Sachen Digitalisierung. Sonst verlieren unsere Kinder nicht nur in der Schule den Anschluss.