Auf dem Weihnachtsmarkt haben die Schausteller zum letzten Mal Geld verdient. Nun brechen die Einnahmen aus den Frühlings-Jahrmärkten weg.
Der Stillstand im Land trifft auch die Schaustellerfamilien in Essen hart. "Nach zwei Monaten Winterpause benötigen wir dringendst die Einnahmen aus den Frühjahrskirmessen, aber die fallen alle aus", sagt Albert Ritter, Präsident des Schaustellerverbandes Essen/Ruhrgebiet, der im vergangenen Jahr noch ausgelassen das hundertjährige Bestehen gefeiert hat.
Um ein Zeichen der Lebensfreude und der Heimatverbundenheit zu senden, aber auch um auf die Lage der Schausteller aufmerksam zu machen, stellt sich Ritter Dienstagmorgen mit seiner großen Kirmesorgel und einem historischen Schlepper vor das Friedrich-Ebert-Seniorenzentrum in der Schonnefeldstraße in Altenessen. Den Bewohnern wärmt er mit diesem spontanen Auftritt das Herz, sie applaudieren von den Balkonen - einige mit Mundschutz im Gesicht.
78 Betriebe zählt der traditionsreiche Schaustellerverband in Essen, die meisten sind seit Generationen Familienunternehmen und regelrechte Jahrmarkt-Dynastien - von Mandel-Dieter über Renate Rendschmidt mit ihren Frittenbuden bis hin zu Richard Müller mit dem Autoscooter und den Barkhofens mit ihrem Kinderkarussell.
"Drei Mitarbeiter entlassen, sieben in Kurzarbeit geschickt"
Wie sehr das grassierende Coronavirus die gesamte Kirmesbranche lähmt, erlebt Albert Ritter am eigenen Leibe. "Ich habe drei Mitarbeiter entlassen und sieben in Kurzarbeit schicken müssen."
Der Internationale Essener Weihnachtsmarkt sei die letzte Veranstaltung gewesen, bei der die Schausteller Geld verdient hätten. Ritter: "In der Winterpause kommen die Karussells dann über den TÜV und der Wagenpark wird instandgesetzt." Ausrücken muss nun keiner. Die Stände und Fahrgeschäfte bleiben eingelagert in den Hallen. Großveranstaltungen wie der Send in Münster und die Palmkirmes in Recklinghausen sind in Corona-Zeiten ebenso abgesagt wie die kleine Kirmes in Altenessen und die Osterkirmes in Borbeck.
Als Vorsitzendes Deutschen Schaustellerverbandes hat Albert Ritter an verschiedenen Telefon-Konferenzen mit Mitgliedern von Bundes- und Landeskabinett teilgenommen. "Unsere Notsituation ist erkannt, wir Schausteller werden in allen Hilfsprogrammen berücksichtigt." Die Hilfen reichten von der 9000-Euro-Soforthilfe für Kleinbetriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern bis hin zum KfW-Darlehen. Ritter: "Wir brauchen Steuerstundungen und - besonders wichtig - die Grundsicherung für kleine Betriebe."
Schausteller-Chef appelliert: "Veranstaltungen nicht voreilig absagen"
Ritter hat einen eindringlichen Appell an diejenigen, die dabei sind Veranstaltungen zu planen, die später im Jahr stattfinden sollen. "Bitten sagen Sie diese Veranstaltungen nicht jetzt schon voreilig ab." Empfehlenswert sei es stattdessen, Mietverträge mit einer Auflösungsklausel aufzusetzen.
Tradition, Heimatliebe, Volkstümlichkeit - Vollblut-Schausteller wie Albert Ritter lassen auch in dieser schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg den Kopf nicht hängen. Im Gegenteil. "Wir sind das größte Anti-Depressivum", sagt der Schausteller-Boss in einer Mischung aus Trotz und Stolz und zitiert den Papst, für den die Schausteller Menschen seien, die Licht ins Dunkel brächten. Gerade jetzt erinnert Ritter an die ersten Jahre nach dem Krieg, als Essen in Schutt und Asche lag. "Da haben sich die Karussells auf Ruinen gedreht", sagt er - und pfeift zu den Klängen der Kirmesorgel.
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