Essen. In der Coronakrise sind die Anfragen zu Kurzarbeit rasant gestiegen. Die Arbeitsagentur Essen reagiert. Behördenchefin Andrea Demler im Interview

Guten Tag, Frau Demler. Wo erreiche ich Sie?

Andrea Demler: Ich bin noch im Büro. Wie viele meiner Mitarbeiter im Übrigen auch.

Homeoffice ist bei der Arbeitsagentur also kein Thema?

Doch. Wir fahren aber einen Mix. Ein Teil der Mitarbeiter kann von zu Hause aus arbeiten. Ein Teil muss hier sein. Alle können wir nicht ins Homeoffice schicken. Das würde zu viel Last für unsere Systeme bedeuten. Da wir das Haus hier am Berliner Platz für den Publikumsverkehr vergangene Woche geschlossen haben, geht das auch ganz gut. So können wir den Dienstbetrieb sehr gut aufrechterhalten.

Vergangene Woche ist die Telefonanlage der Arbeitsagentur völlig überlastet gewesen. Ist die Agentur wieder uneingeschränkt erreichbar?

Ja. Wir haben unsere Telefonkapazitäten massiv erweitert. Jede Arbeitsagentur hat nun neben den üblichen Hotlines für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine zusätzliche lokale Hotline. In Essen ist sie über die 0201 1811111 zu erreichen. Wir haben zudem die Mitarbeiter für die telefonische Beratung aufgestockt. Jeden Kollegen, der zurzeit nicht im operativen Geschäft gebraucht wird, haben wir an die Hotlines gegeben. Denn vor allem unsere Arbeitgeber-Hotline wird derzeit mit Fragen zur Kurzarbeit überhäuft.

Wie viele Betriebe in Essen sind bereits von Kurzarbeit betroffen?

Für Essen habe ich aktuell keine statistischen Daten. Diese liegen bislang nur für den Bund und die Bundesländer vor. Aber klar ist: Das Coronavirus hat die Wirtschaft mit aller Wucht und völlig unvorbereitet getroffen. Die Anfragen nach Kurzarbeitergeld sind in den vergangenen Tagen massiv gestiegen. Derzeit registrieren wir 200 bis 500 Anrufe dazu am Tag. Das sind nicht alles gleich Kurzarbeitsanzeigen von Unternehmen. Viele haben erst einmal einen großen Beratungsbedarf. Mit diesem können sie sich nicht nur telefonisch bei uns melden, sondern auch per Email. Die Adresse lautet: essen.arbeitgeber@arbeitsagentur.de

Das Versprechen ist, dass das Kurzarbeitergeld möglichst schnell fließt. Schaffen Sie das bei dieser rasant ansteigenden Menge an Anträgen?

Die Zahl wird sicher in den kommenden Tagen noch gigantisch ansteigen, auch weil die Beschränkungen im öffentlichen Leben in den vergangenen Tagen noch verschärft wurden. Wir werden und haben bereits unser Personal, das für den Bereich Kurzarbeit zuständig ist, aufgestockt, werden es damit perspektivisch verfünffachen. Derzeit werden die Mitarbeiter für das Thema Kurzarbeitergeld geschult. Sollte das am Ende nicht ausreichen, wäre auch Amtshilfe aus anderen Behörden denkbar, aber so weit sind wir noch nicht.

Wie lange dauert es, bis Unternehmen bzw. die Beschäftigten das Kurzarbeitergeld erhalten?

Wir versuchen das, wie gesagt, so schnell und so unkompliziert wie möglich. Aber es gibt ein festgelegtes Prozedere: Als erstes muss der Betrieb eine Kurzarbeitsanzeige einreichen. Dann bekommt er normalerweise per Post eine PIN, um sich online freischalten zu lassen und einen Antrag zu stellen. Um das zu vereinfachen, bitten wir die Unternehmen, die Anzeige per Mail an essen.arbeitgeber@arbeitsagentur.de abzugeben. So können wir als Agentur das Unternehmen freischalten. Das spart Zeit. Wenn der Antrag abgegeben ist, bekommt der Unternehmer zunächst einen Anerkennungsbescheid und nach Vorlage der Abrechnungsunterlagen fließt Geld.

Klingt trotzdem noch aufwändig.

Das mag so klingen, ist in der Praxis aber eigentlich kein Problem. Zudem ist der Zugang zum Kurzarbeitergeld für die Firmen deutlich erleichtert worden. So müssen mindestens zehn Prozent der Beschäftigten nur zehn Prozent Lohnausfall haben, dann kann das Unternehmen schon Kurzarbeit in Anspruch nehmen. Gleiches gilt auch für die Leiharbeit. Und besonders wichtig: Kurzarbeitergeld gibt es für Unternehmen auch rückwirkend ab 1. März, wenn sie bis Monatsende eine Anzeige einreichen. Das hilft vor allem den Branchen, die schon früh betroffen waren, wie Messebauer oder Caterer.

Von Kurzarbeit werden vor allem Branchen wie die Gastronomie oder der Einzelhandel betroffen sein, die viele Mitarbeiter in Teilzeit beschäftigen. Das heißt: Viele von denen werden durch die Kurzarbeit unters Existenzminimum fallen. Wie wird diesen Menschen geholfen?

Die Betroffenen können zusätzlich Hartz-IV beantragen und werden dann zu Aufstockern. Wir sind da auch eng mit dem Jobcenter vernetzt.

Was ist mit Solo-Selbstständigen?

Für diese gibt es kein Kurzarbeitergeld. Die müssten direkt zum Jobcenter und einen Hartz-IV-Antrag stellen.

Es heißt, dass der Lebensmittel-Einzelhandel nun verstärkt Leute braucht. Das wäre doch ideal für Beschäftigte aus den gebeutelten Branchen. Gibt es da schon Kontakte zur Arbeitsagentur?

Das wäre gerade für Menschen aus dem Niedriglohnsektor eine gute Chance, schnell eine Zwischenbeschäftigung zu finden. Das wäre besser als Arbeitslosigkeit. Allerdings haben wir in Essen für eine solche Vermittlung noch keinen Auftrag eines Arbeitgebers erhalten. Wenn ein solcher käme, würden wir natürlich schnellstmöglich handeln und stehen für diesen Arbeitskräftebedarf auch grundsätzlich weiter hilfreich zur Verfügung.

Letzte Frage zu den Aussichten für den Essener Arbeitsmarkt. Was erwarten Sie für dieses Jahr?

Ich habe natürlich keine Glaskugel. Aber man muss kein großer Prophet sein, um zu wissen, dass diese Corona-Krise Auswirkungen haben wird. Die Arbeitslosenzahlen werden auch in Essen steigen, weil Kurzarbeit nicht überall geht. Wie groß die Auswirkungen sein werden, hängt vor allem davon ab, wie lange diese massiven Beschränkungen dauern. Das aber weiß heute keiner.

Alle Entwicklungen in Essen zum Thema Corona im Newsblog

Mehr Infos: 

-Bundesweit gab es bis zur Kalenderwoche 12 insgesamt 76.725 Anzeigen von Kurzarbeit in Zusammenhang mit dem Corona-Virus, in NRW waren es 13.030.

-Anzeigen kommen in NRW aus nahezu allen Branchen, überwiegend aus
Transport/Logistik, Hotel- und Gaststättengewerbe, Messebau und Tourismus, so die Regionaldirektion.

-Informationen und Kontaktdaten
gibt es im Internet unter https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-nrw/corona-infos