Essen. Der Coronavirus breitet sich immer schneller aus. Die Uniklinik Essen ist von entscheidender Bedeutung und bereitet drastische Maßnahmen vor.

Auf den ersten Blick scheint hier in der Universitätsklinik Essen noch alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Von einer nahenden Ausnahmesituation ist (noch) nichts zu spüren, geschweige denn von den vielen Krisen-Sitzungen der Klinikdirektoren und Verwaltungschefs im Hintergrund.

Doch sieht man genauer hin, kann man Pfleger und Ärzte, Besucher und Patienten beobachten, die sich zur Begrüßung höflich zunicken oder Verrenkungen mit ihren Ellbogen oder Füßen machen. Hände schütteln? Ist hier so unerwünscht wie Keime.

In der Luft hängt der beißende Geruch der Desinfektionsmittel, die in großen Mengen genutzt werden. Und über all dem schwebt die an Sicherheit grenzende Annahme, dass hier schon in wenigen Tagen alles anders ist. Dann ist die Uniklinik Essen ein Zentrum der Coronavirus-Bekämpfung. „So etwas hat es noch nicht gegeben“, sagt der erfahrene Ärztliche Direktor, Prof. Dr. Jochen A. Werner mit ernster Miene.

Coronavirus: Uniklinik Essen wird an seine Kapazitätsgrenze stoßen

„Innerhalb weniger Wochen werden wir an unsere Kapazitätsgrenze stoßen, vielleicht dauert es auch nur einige Tage“, rechnet Werner vor. Die Uniklinik verfügt über insgesamt 35 Betten auf ihren beiden Infektionsstationen, 13 davon sind so genannte Schleusenzimmer. Für gewöhnlich werden hier Influenza- oder Tuberkulose-Patienten behandelt. Aber auch bei Sars, Ehec und anderen schweren Infektionskrankheiten kamen und kommen die Zimmer zum Einsatz.

An diesem Freitagvormittag liegen auch drei Coronavirus-Patienten hier. Insgesamt sind es zu diesem Zeitpunkt in Essen schon 19. Wie viele es noch am selben Abend, einen Tag, eine Woche und gar einen Monat später sein werden, weiß keiner so genau. Nur so viel ist klar: „Es werden mehr Fälle sein, als die Uniklinik allein bewältigen kann. Obwohl wir weitere Stationen kurzerhand umfunktionieren können“, so Werner.

Operationssäle werden geschlossen, Eingriffe verschoben

Zur Kapazitäten-Steigerung sind schon erste einschneidende Maßnahmen kommuniziert, wesentlich drastischere werden aber noch folgen. Ab Montag schließt die Uniklinik etwa zehn von 30 OP-Sälen. Jeder verschiebbare Eingriff wird auch verschoben. „Es ist entscheidend, dass wir unser Personal entlasten und die Betten frei halten. Noch sitzen wir im Fahrersitz“, betont Werner. Schon bald werde das nicht mehr so sein. Während der Ärztliche Direktor das sagt, sind Schulschließungen in NRW ein wahrscheinliches, aber eben nur ein theoretisches Szenario. Zwei Stunden später ist es Fakt.

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Neben allen Herausforderungen, denen sich die Uniklinik angesichts der Corona-Epidemie ohnehin schon stellen muss – ausreichende Versorgung mit Schutzkleidung beispielsweise –, droht nun ein weiteres, großes Problem. Was ist, wenn viele Klinik-Mitarbeiter ihre Schulkinder nicht anders betreuen lassen können und nicht zum Dienst erscheinen?

Eine Frage, die nicht so ohne Weiteres zu beantworten ist. „Unsere Mitarbeiter sind sich auch ihrer sozialen Verantwortung bewusst“, sagt Werner und formuliert sichtlich emotional einen Appell an das medizinische Personal und die Gesellschaft: „Bitte schränken Sie ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste ein, gehen sie nicht in die Kneipe, nicht ins Theater oder Kino, auch wenn dies noch nicht verboten ist. Anders werden wir gegen das Virus nicht ankommen. Das ist der Schlüssel, um unsere alten Mitbürger zu schützen. Die sind in Gefahr.“

„Jeder Einzelne steht in der Verantwortung, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen“

Der Mediziner berichtet, dass er und seine Familie sich selber auch ein Ausgehverbot verhängt haben. So drastisch dieser Einschnitt auch sei, es sei nun an jedem Einzelnen, wie viele Corona-Infizierte und Tote wir in Deutschland zu verkraften haben werden. „Corona ist auch eine Chance für die Gesellschaft, um zu zeigen, wie solidarisch sie ist. Als es um das Thema Organspende ging, hat die Gesellschaft diese Chance leider vertan“, sagt Werner. Jetzt, so hofft er, läuft es anders.

„Bundesregierung muss Krankenhäuser schützen“

Und er hofft auf die Politik. Neben allen versprochenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft dürften die Krankenhäuser keinesfalls aus dem Blick verloren werden. Allein durch die Aussetzung vieler Operationen, werden Krankenhäuser mit Corona-Schwerpunkten „ins finanzielle Chaos kommen“, sagt Werner. Und zwar schon in wenigen Wochen. Werner unterstreicht die wirtschaftliche Dimension nachdrücklich. Wie wichtig es ihm ist, dass sein Appell in der Öffentlichkeit und in der Politik Gehör findet, ist unmissverständlich.

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Und dennoch: „Wir sind – so gut es eben geht – gewappnet für das, was da auf uns zukommt. Wir haben ein gutes Gesundheitssystem in Deutschland und eine sehr gute Kooperation unter den Krankenhäusern in Essen“, müht sich Werner seiner Zuversicht Ausdruck zu verleihen.

Gelassenheit auf der Virologie der Uniklinik Essen

Stationsleiterin Canan Emcan geht ihrer Arbeit auf der virologischen Station der Uniklinik Essen weiter gelassen nach.
Stationsleiterin Canan Emcan geht ihrer Arbeit auf der virologischen Station der Uniklinik Essen weiter gelassen nach. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Auf der virologischen Station – gewissermaßen im Auge des Sturms – sind die Mitarbeiter hingegen noch gelassen. Glaubhaft vermittelt Canan Emcan, die Pflege-Stationsleiterin, dass ihr Team trotz aller drohenden Szenarien keine Angst habe. „Wir sind gut ausgebildet und haben täglich mit ansteckenden Patienten zu tun“, beschwichtigt Emcan. Dass inzwischen wegen der rasanten Verbreitung des Coronavirus aber gar keine Besucher mehr in die Virologie gelassen werden, stoße allerdings nicht nur auf Verständnis und führe schon mal zu unangenehmen Diskussionen.

Und auch in ihrem Freundeskreis werde die 31-jährige Pflegerin inzwischen geschnitten. „Manche meiner Freunde meiden im Moment schon den Kontakt zu mir, weil sie Angst haben, ich könnte sie mit dem Coronavirus anstecken“, gibt Emcan schulterzuckend zu. Dann zieht sie für das Pressefoto ihre Schutzkleidung, ehe sie sich wieder ihren Patienten zuwendet und sagt: „Da müssen wir jetzt durch.“