Essen. Die Linkspartei wird nach der Kommunalwahl ohne jede Ratserfahrung an den Start gehen: Auch Wolfgang Freye scheiterte knapp bei der Nominierung.
Die Revolution, so lautet ein geflügeltes Wort, frisst ihre Kinder – und manchmal hängt dies an einer einzigen Stimme. Die hätte dem langjährigen Ratsherrn der Linkspartei, Wolfgang Freye, am Samstag nämlich gereicht, um bei der Kandidatenkür der Linkspartei zum Rat wieder auf einen aussichtsreichen Platz der Reserveliste zu landen. Doch dort stehen jetzt ausschließlich Neulinge.
Denn nachdem Fraktionschefin Gabriele Giesecke genauso wie Ratskollege Yilmaz Gültekin im Vorfeld auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatten, scheiterte neben Freye auch Ratsfrau Ezgi Güyildar mit ihrer Bewerbung. Tabula rasa bei den Roten.
Daniel Kerekeš ist (noch) Sprecher, OB-Kandidat und Listenführer in einer Person
Seinen unfreiwilligen Abschied aus dem Stadtparlament kommentierte Freye im Netzwerk Facebook noch am selben Abend nachlesbar vergrätzt: Es sei „bitter“, dass Beteuerungen, in der Vergangenheit mit guter Ratsarbeit gepunktet zu haben, „wohl doch nicht so ernst gemeint waren“. Er jedenfalls werte seinen gescheiterten Anlauf zum ohnehin schon zurückhaltend gewählten vierten Listenplatz „als Aufforderung ,meines’ Kreisverbandes, nach fast 21 Jahren Kommunalpolitik in Essen in Rente zu gehen“.
Daniel Kerekeš lässt das erstmal so stehen, bedauert aber die Nichtwahl: „Es war ja denkbar knapp“, sagt der 32-Jährige erklärte „Antikapitalist“ und ehemalige Bundessprecher der Linksjugend, der nun für ein paar Monate zu dem Mann mutiert, an dem links nichts mehr vorbeigeht: Kreissprecher, OB-Kandidat und Listenführer der Linken zur Kommunalwahl in einer Person.
Bundesweite Schlagzeilen der Linken werden auch in Essen zum Thema
Einer, der vor einer Woche bei einer Linken-Strategiekonferenz in Kassel mit im Saal saß, als der Spruch von der Erschießung der Reichen bundesweites Kopfschütteln auslöste. Auch bei Kerekeš, der ungefragt versichert, den ironisch gemeinten Spruch einer Teilnehmerin für genauso indiskutabel zu halten wie die verunglückte flapsige Reaktion von Parteichef Riexinger.
Derlei Schlagzeilen sorgten bei der Essener Kandidatenkür genauso für Gesprächsstoff wie die Aussagen von Ex-Parteichefin Sahra Wagenknecht zur aktuellen Flüchtlingspolitik in einem Phoenix-Interview oder das Bekenntnis des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, einem AfDler für den Vizepräsidenten-Job die Stimme gegeben zu haben.
Fünf Mandate im nächsten Stadtrat, „wenn wir keinen Mist bauen“
Kerekeš und Co. sind über so viel politischen Pragmatismus nach eigenem Bekunden „konsterniert“, „schockiert“, „erbost“. Und manchem innerhalb und außerhalb der Partei schwant, dass die örtlichen Linken künftig mehr denn je die Revoluzzer-Bühne suchen könnten, als sich um das Klein-Klein lokaler Probleme zu scheren – und die Frage, was sich von links zur Lösung beitragen lässt.
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Was noch zu beweisen wäre: Mit vier Ratsmandaten rechnet man fest, fünf könnten es werden, „wenn wir keinen Mist bauen“, wie Kerekeš es formuliert, gar sechs, „wenn es richtig gut läuft“. Und auch Wolfgang Freye will man doch irgendwie noch einbinden, als versierten Vertreter der Linken im Ruhrparlament. Ob der 65-Jährige erfahrene Gewerkschafter sich dazu breitschlagen lässt, war am Wochenende noch nicht raus.