Essen. Zwei alte Bekannte in vorderster Bewerberfront und spürbare Verjüngung nur bei den Frauen: Mit eiserner Disziplin küren die Grünen ihr Rats-Team.
Zum Mittagessen gibt es ein Möhrchen-Madrascurry-Süppchen mit Ingwer und Kokosmilch. Vegan versteht sich, und umweltgerecht kredenzt in Bio-Geschirr aus Zuckerrohr. Auch sonst scheint dieser Samstag im Alten Bahnhof Kettwig so ganz nach dem Geschmack der Grünen: Vorbei die Zeiten, da sie sich zur Kandidatenkür für den Rat gefetzt haben wie die Kesselflicker. Jetzt wird – Virus hin oder her – geherzt und liebgehabt: Eitel Sonnenblumenschein mit zwei Altbekannten an der Spitze.
Denn Hiltrud Schmutzler-Jäger und Rolf Fliß sollen es wieder richten, sollen die im Aufwind befindlichen Grünen im September in einen Wahlkampf um die 82 Essener Stadtrats-Sitze führen, bei dem die Partei sich locker 15, wenn’s besonders gut läuft, vielleicht auch 20 eroberte Sitze erhofft. Sie ist 57, er 60 Jahre alt, Abteilung Erfahrung also, und in Frage gestellt wird da mal nichts: Keine Gegenkandidaten, keine Experimente, heißt die Devise.
Der Nachwuchs formuliert seine politischen Träume mit leuchtenden Augen
Das ändert sich auf den weiteren Plätzen, vorzugsweise bei den Frauen: Junge Leute rücken wie selbstverständlich auf die aussichtsreichsten Listenplätze, Nachwuchspolitikerinnen wie Orcherstermusikerin Sandra Schumacher oder Uni-Mitarbeiterin Inga Dominke, die mit leuchtenden Augen politische Träume formulieren. Und jene nach hinten drängen, die wie Kulturpolitikerin Lisa Mews schon einige Ratsperioden hinter sich und gelernt haben, dass mancher Blütentraum im Polit-Alltag schnell verwelkt. Immerhin, Mews landet auf einem – angesichts der grünen Stimmung im Lande – immer noch guten 11. Platz.
Und Ahmad Omeirat sogar einen Rang davor – trotz mancher Ungeschicklichkeit und Polterei, trotz seines umstrittenen Eintretens für die libanesische Community. Vielleicht weil er einmal mehr Abbitte leistet für seinen skandalösen Nazi-Vergleich, mit dem er vor einiger Zeit einen CDU-Politiker überzog, ein „Social Media-Augenblicksversagen“ sagt er. Vielleicht aber auch, weil die Grünen ahnen, dass sie sich und ihrem Antirassismus-Anspruch vielleicht doch keinen Gefallen tun, wenn sie Omeirat fallen lassen.
Ein paar „alte weiße Männer“ müssen neuen „alten weißen Männern“ weichen
Andere dagegen haben dieses Nachsehen, Ratsfrau Irmgard Krusenbaum trifft es genauso wie ihre männlichen Kollegen Ernst Potthoff und Walter Wandtke: Es scheint, als seien Letztere ein wenig aus der grünen Zeit gefallen, was auch, aber sicher nicht nur am Alter liegen kann. Denn gerade bei den Männern werden zumindest einige „alte weiße Männer“ durch neue „alte weiße Männer“ ersetzt.
Die wollen es noch mal wissen: Mehr als je zuvor spürt man und frau offenbar, dass den Grünen in der kommenden Ratsperiode eine tragende Rolle zukommen könnte – wenn sie es denn nicht noch selber irgendwie vermasseln. Die Quote erweist sich dabei diesmal nicht als Falle, sondern als Treiber der Erneuerung: Selbst um den 19. Platz der Rats-Reserveliste liefern sich ein halbes Dutzend Frauen einen Kampf, der erst im achten (!) Wahlgang entschieden wird.
Von wegen sich arrangieren wollen: Zu spüren ist eine neue Ernsthaftigkeit
Spätestens hier preisen alle das TeleVoting-System als echten Segen, weil nur wenige Sekunden nach der Abstimmung per Knopfdruck die Ergebnisse vorliegen. Wer kein Votum verpassen will, kann sich längere Raucherpausen kaum erlauben, und Gequassel in den Gängen auch nicht. Es herrscht eine für grüne Wahl-Verhältnisse selten gekannte Disziplin.
Und das in vielen Jahren Ratsarbeit erlernte Sich-arrangieren mit den Verhältnissen, es weicht einer neuen Ernsthaftigkeit und Rigorosität: Wer immer es mit diesen Grünen im Rat zu tun haben wird, muss sich wohl auf forsche Forderungen einstellen. 30 Jahre habe er in der Essener Politik zugebracht, so formulierte es etwa Planungsexperte Christoph Kerscht auf der Bühne und lässt den neuen Anspruch durchscheinen: „Diese Zeit haben wir jetzt nicht mehr.“
Die grüne Reserveliste
Insgesamt 40 Kandidaten nominierten die Grünen am Samstag für die Wahl zum Stadtrat. Sie belegen die 20 aussichtsreichen Plätze:
01. Hiltrud Schmutzler-Jäger
02. Rolf Fliß
03. Sandra Schumacher
04. Christoph Kerscht
05. Inga Dominke
06. Ulrich Pabst
07. Elke Zeeb
08. Stephan Neumann
09. Hannah Berg
10. Ahmad Omeirat
11. Lisa Mews
12. Jan Karsten Meier
13. Dorothea Blümer
14. Sascha Berger
15. Tabea Buddeberg
16. Silas Haake
17. Svenja Weitzig
18. Marc Zietan
19. Chr. Müller-Hechfellner
20. Yilmaz Günes