Essen. Am Wochenende küren Essens Grüne ihre Kandidaten zur Kommunalwahl – und müssen dort erstmals das „Luxusproblem“ möglicher Direktmandate lösen.

Stimmzettelchen häufeln und zählen? Das war gestern. Wenn Essens Grüne am bevorstehenden Wochenende ihre Kandidatenschar zur Kommunalwahl küren, dann greifen die Mitglieder erstmals zu kleinen TeleVoting-Geräten: Abstimmen und auszählen in Sekundenschnelle – wie ließe sich besser symbolisieren, dass man und frau sich im Zeichen der Sonnenblume als Partei der Stunde versteht?

Ablesbar ist die grüne Begeisterung auch an der regelrechten Bewerberwelle, die über die Partei hereingeschwappt ist und alles andere als ungelegen kommt. Denn auf der Reserveliste für den Rat sollen am Ende nicht weniger als 40 Plätze vergeben werden, 30 davon in Einzelwahl. Nur zur Erinnerung: Bei der Kommunalwahl 2014 zogen gerade mal zehn Grüne ins Stadtparlament ein.

Parteisprecher Gehring will eine „Mischung aus erfahrenen Leuten und frischem Wind“

Welche Zielmarke sie sich diesmal gesetzt haben? „Fragen Sie mich gern noch mal in einem halben Jahr“, so hatte Parteisprecher Kai Gehring noch vor einem halben Jahr vertröstet, aber jetzt will er dann doch nicht raus mit der Sprache. Dass es „mehr“ sein werden als vor sechs Jahren, geht bei dem Lauf, den die Grünen gerade haben, als Binsenweisheit durch. Andererseits hat der 42-jährige Bundestagsabgeordnete auch schon erlebt, wie rosarote Umfragewerte bis zum Wahltag auf graues Normalmaß schrumpften: „Wir machen uns keine Gedanken um soundsoviel Prozent.“

Sondern? Darum, dass sie bei den Bewerbern eine „prima Mischung“ hinbekommen, sagt Gehring: Ein ausgewogener Mix „aus erfahrenen Leuten und frischem Wind“. Der allerorten spürbare Trend Richtung Grün dürfte der Partei dabei ein zähe Schlacht um die aussichtsreichsten Listenplätze ersparen, denn vor der grünen Ratstür wird es eng: Mit Ausnahme von Christine Müller-Hechfellner wollen es alle Noch-Ratsmitglieder nochmal wissen.

Von den neun Grünen im Essener Stadtrat wollen acht erneut kandidieren. Nur Christine Müller-Hechfellner – hier rechts mit Fraktionsgeschäftsführer Helmar Pless und Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger – verzichtet wohl.
Von den neun Grünen im Essener Stadtrat wollen acht erneut kandidieren. Nur Christine Müller-Hechfellner – hier rechts mit Fraktionsgeschäftsführer Helmar Pless und Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger – verzichtet wohl. © FFS | Socrates Tassos

Das Europawahl-Ergebnis zeigt, wo grüne Bewerber Direktwahl-Chancen haben

Und über 30 Neulinge drängen nach: Kandidaten zwischen 19 und 69 Jahren, die fünf Minuten Zeit haben, um sich im Alten Bahnhof Kettwig zu präsentieren und weitere fünf Minuten, um Rede und Antwort zu stehen. Ein wahrer Nominierungs-Marathon, für den gleich zwei aufeinander folgende Tage reserviert sind. Was einerseits daran liegt, dass „niemand bis ein Uhr nachts da sitzen will“, wie Parteisprecher Gehring es formuliert, und andererseits daran, dass die Grünen ein „Luxusproblem“ ereilt hat: Erstmals bei einer Kommunalwahl haben sie realistische Chancen, Direktmandate zu holen.

Zwar will niemand das „supergroßartige“ Europawahl-Ergebnis (O-Ton Gehring), bei dem die Grünen nur um 1597 Stimmen den Rang als stärkste politische Kraft in Essen verpassten, 1:1 auf die Kommunalwahl übertragen. Es zeigt aber auf, dass bei einem ansatzweise vergleichbaren Ergebnis im September bis zu einem knappen Dutzend Direktmandate erzielbar wären.

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Ein ausgeklügeltes Verfahren, damit die Quote stimmt und keine(r) sich vordrängelt

Das allerdings könnte den Plan einer durchgehend mit mindestens 50 Prozent Frauen besetzten Ratsliste torpedieren, also haben die Grünen für ihre Besetzung der einzelnen Kommunalwahlbezirke einen Sicherheits-Mechanismus eingebaut: Jene Kandidatinnen und Kandidaten, die es am Samstag auf die ersten 20 Listenplätze schaffen, sollen – untereinander abgestimmt – tags darauf in den 20 aussichtsreichsten Direktwahlbezirken antreten. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass die Quote kippt oder sich wer vordrängelt.

Die TeleVoting-Geräte sollen bei der ganzen Prozedur viel Zeit sparen. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, braucht es am Ende allerdings dennoch eine schriftliche Abstimmung, geheim und mit Stimmkarte und Stimmzettel. Altmodisch, aber muss sein.