Essen-Werden/Kettwig. Die Karnevalszüge in Kettwig und Werden wurden abgesagt. Die Narren machen aus der Not eine Tugend und sorgen in den Kneipen für super Stimmung.
Es wäre mit rund 450 Aktiven sicherlich der größte in 42 Jahren gewesen: Doch der Werdener Bollerwagenzug 2020 musste aufgrund katastrophaler Wetterprognosen für den Tulpensonntag abgesagt werden. Wenige Stunden zuvor hatten bereits die Kettwiger Jecken die Reißleine gezogen und am Samstagvormittag bekannt gegeben, dass der Umzug durch die Kettwiger Altstadt ausfallen werde.
Wettervorhersage nahm den Organisatoren die letzte Hoffung
Die Bollerwagen-Jecken Anja Kirchhoff und Ulf Korten waren geknickt. Als Veranstalter hatten sie in den vergangenen Jahren schon viele Rückschlage hinnehmen müssen und es doch immer geschafft. Aber diesmal hatten sie keine Chance, so Korten: „Die Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes nahm uns am Samstagnachmittag die letzte Hoffnung.“
Die Gefahr für Teilnehmer und Zuschauer wäre zu groß gewesen: „Wir haben in Werden unendlich viele kleine Kinder an der Zugstrecke. Die Leute kommen zu uns, weil es hier ungefährlich ist. Die Eltern vertrauen uns da. Das war für uns das Ausschlusskriterium. Wir haben letztlich die Verantwortung. Dann mussten wir herumtelefonieren und absagen: Behörden, Müllabfuhr, Sicherheitsunternehmen, Teilnehmer. Man ist ganz schön einsam bei so einer Entscheidung.“ Er habe schlecht geschlafen in der Nacht. Korten: „Doch nun blicken wir raus und fühlen uns bestätigt.“
Strüssje, Kekse und Bonbons sind übrig
Anja Kirchhoff nickt: „Ich habe so manches Tränchen vergossen. Aber wir als Verantwortliche mussten leider so entscheiden.“ Kurzentschlossen übergeben die Beiden große Teile ihres Wurfmaterials an die Fischlaker Narren, die traditionell am Essener Rosenmontagszug teilnehmen. Korten zählt auf: „Wir reichen 400 Strüssje, 70 Tafeln Schokolade und zehn große Kartons mit Waffeln, Keksen und Bonbons weiter. Der Rest hält noch bis 2021, den werden wir gut verwahren.“
Georg Dopp ist König und 2. Vorsitzender bei den Fischlaker Narren und bedankt sich mit dampfender Erbsensuppe: „Die wollten wir ja eigentlich beim Bollerwagenzug ausgeben. Die Absage ist schade, denn wir hatten uns intensiv vorbereitet. Doch sie ist richtig.“ Der Sitzungskarneval sei etwas holprig gewesen, da die Domstuben geschlossen wurden. Dopp: „Aber wir sind mit unserer neuen Heimat im Gemeindesaal von Christi Himmelfahrt sehr zufrieden.“
Durch den Ausfall des Bollerwagenzuges bleibe noch viel „Munition“ übrig: „Jetzt haben wir über 200 Kilo Wurfmaterial für den Rosenmontagszug. Da können die in Rüttenscheid sich drauf freuen.“ Anja Kirchhoff und Ulf Korten entscheiden spontan, die Fischlaker als für die Sicherheit sorgende Wagenengel zu unterstützen. Man hält halt zusammen in Werden.
Tuchmacher Stuben sind gerammelt voll
Dann geht es für die Bollerwagenjecken in ihre Stammkneipe. Die Traditionsgaststätte Tuchmacher Stuben in der Heckstraße ist schon gerammelt voll, und Wirt Wolfgang Werk zapft im Akkord, was die Hähne hergeben.
Die Gäste lassen sich die Stimmung nicht vermiesen vom Wetter. Lachyoga-Guru Willi Hagemann strahlt: „Ein echter Karnevalist lässt sich nicht abschrecken. Dann machen wir halt Indoor-Karneval. Früher hieß das Polonaise.“
Absage der Umzüge trifft auf volles Verständnis
Da muss Reinhard Viehausen lachen. Er ist Vorsitzender des Bollerwagenzug-Fördervereins und hat mit den anderen zusammen monatelang Spenden gesammelt für die Kosten des Sicherheitskonzeptes: „Was haben wir uns gefreut auf diesen Tag. Es ist sehr traurig.“
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Er spürt, dass es etliche Verärgerte geben wird, die die Absage des Bollerwagenumzugs nicht verstehen wollen: „Aber wir können den Wettergott nicht beeinflussen. Gut, dass rechtzeitig abgesagt wurde. Die Entscheidung teile ich, Sicherheit steht absolut über allem. Wir setzen jetzt einmal aus, dafür machen wir dann am 14. Februar 2021 das Doppelte.“
Der kommissarische Bezirksbürgermeister Benjamin Brenk fühlt mit den Organisatoren: „Als Veranstalter sind sie in der Verantwortung. Für die Absage habe ich daher volles Verständnis. Schade für die Aktiven, aber Sicherheit geht vor. Auch wir von der SPD wären als Rote Socken mitgelaufen.“
Im Kettwiger Eckhaus steppt am Tulpensonntag der Bär
Schweren Herzens hatten sich die Kettwiger Jecken dazu entschieden, den Zug am Tulpensonntag abzusagen. Man habe in direktem Kontakt zum Deutschen Wetterdienst gestanden. Dessen verheerende Prognose habe keine andere Möglichkeit gelassen: „Wir haben uns diese Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht, aber die Sicherheit aller Teilnehmer und Zuschauer ist uns sehr wichtig.“
Die Absage wird wohl allgemein akzeptiert. Doch als erste Rufe nach einer Verschiebung in wärmere Jahreszeiten aufkommen, gibt Beate Lienert von den Kettwiger Jecken zu bedenken: „Karneval ist Brauchtum. Da kommt Sommer nicht drin vor. Strahlende Kinderaugen sind immer schön. Aber die Karnevalszeit ist am Aschermittwoch vorbei.“
Doch nun ist Tulpensonntag und im Eckhaus steppt der Bär. Markus Bredenfeld ist Vorsitzender des Kettwiger Karneval Clubs Blau-Weiss und berichtet von turbulenten Stunden: „Die Kettwiger Jecken haben da richtig entschieden. Nach der Absage hat bei uns KKClern natürlich das karnevalistische Herz geblutet. Aber nach zehn Minuten der Trauer haben wir spontan etwas auf die Beine gestellt.“ Die traditionelle After-Zug-Party wurde kurzerhand auf 13.11 Uhr vorverlegt.
Fantasievoll verkleidete Narren sorgen für Stimmung
Dann wurde eifrig telefoniert: „Eine Security bestellen, den DJ informieren, Getränke nachordern, ein Programm organisieren.“ Der Kindergarde wurde Bescheid geben, dass der KKC sie ausnahmsweise zum Ratinger Rosenmontagszug mitnehmen wird. Bredenfeld: „So etwas klappt nur, wenn ein Vorstand so gut funktioniert wie unserer. Gemeinsamkeit wird bei uns großgeschrieben und heute haben wir das wieder bewiesen.“
Im Eckhaus fliegen derweil die Löcher aus dem Käse und fantasievoll verkleidete Narren sorgen für eine volle Bude. Das Ruhrsound-Orchester eröffnet die Sause und sorgt mit heißen Rhythmen sofort für die richtige Stimmung. Der ganze Saal jubelt der Prinzengarde und dem Tanzmariechen Diana Cavara bei ihren Auftritten zu. Der DJ lässt es krachen, und es wird ausgelassen getanzt.
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Eine Fête für alle Altersklassen
Mittendrin SPD-Bezirksvertreter Daniel Behmenburg: „Die Absage finde ich total schade. Aber Safety First ist absolut berechtigt. Schön, dass die Kettwiger hier so eine tolle Party organisiert haben. So muss Karneval sein.“ Auch der kommissarische Bezirksbürgermeister Benjamin Brenk schwoft mit – im Matrosenkostüm: „Eine klasse Fête. Hier feiern alle Altersklassen miteinander. Toll.“
Markus Bredenfeld strahlt: „In Kettwig ist immer Party angesagt. Wenn’s läuft, dann läuft’s.“
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