Essen. Lars ist seit einem Herzinfarkt arbeits- und obdachlos. Er schlief im Gebüsch oder in Toiletten. Jetzt logiert er in einem Mini-Heim auf Rädern.

Die letzten kalten Januar-Nächte hat Lars in einem Wärmezelt des DRK in Borbeck verbracht. Der 45 Jahre alte Essener ist seit zweieinhalb Jahren obdachlos. Doch damit ist seit Sonntag erst einmal Schluss. Lars, der sein Gesicht nicht zeigen und auch seinen Familiennamen nicht nennen möchte, hat eine ungewöhnliche Notunterkunft bezogen: das „Lesshome“, ein Domizil auf zwei Quadratmetern und vier gelben Rädern. Es ist nicht mehr als ein Handwagen mit einer Mini-Wohnkiste darauf.

Auf dem kleinen Gaskocher in der Mini-Küche will sich Lars eine Mahlzeit brutzeln

Der Berliner Tüftler Wolfgang Goergens ist der Erbauer des Lesshome. Vier solcher Handwagen sind fertig, das erste ist in Essen in Betrieb gegangen.
Der Berliner Tüftler Wolfgang Goergens ist der Erbauer des Lesshome. Vier solcher Handwagen sind fertig, das erste ist in Essen in Betrieb gegangen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Es fühlt sich richtig gut an da drin“, sagt Lars und lächelt. Dass es in dem Mini-Haus eine kleine handbetriebene Waschmaschine, ein Handy und sogar eine Dusche gibt, verblüfft den Essener. „Mein Respekt, was da alles eingebaut worden ist.“ In der winzigen Küche hat er beim Einräumen einen kleinen Gaskocher entdeckt, den er schon bald ausprobieren will.

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Wenn die Zutaten passen, könnte er auf einer einzigen Flamme sogar eine leckere Mahlzeit brutzeln. Schließlich ist er gelernter Koch. Bis zu seinem sozialen Abstieg vor vier Jahren hat er zuletzt in der Restaurantküche eines Vier-Sterne-Hotels im Ruhrgebiet am Herd gestanden.

„2015 hatte ich einen Herzinfarkt, von da an ging es bergab“, erzählt der Essener. Um wieder auf die Beine zu kommen, schicken sie ihn zunächst in die Reha. Danach kümmert er sich zunächst um seine Mutter, die ein Pflegefall wird und ebenfalls hilfebedürftig ist. Als sie in ein Pflegeheim kommt, hofft Lars ihre Wohnung samt Mobiliar übernehmen zu können. Doch der Plan scheitert. „Es gab einen Streit innerhalb der Familie, ich habe den Kürzeren gezogen und bin aus der Wohnung geflogen“, berichtet er mit einem Unterton der Verbitterung. Seine Mutter ist inzwischen verstorben.

Zuerst der Herzinfarkt, dann scheitert die berufliche Rehabilitation: „Ich bin abgestürzt“

Als er dann auch noch eine berufliche Rehabilitation abbricht, gibt es kein Halten mehr. „Ich bin regelrecht abgestürzt.“ Früher wäre es ihm schwer gefallen über sein Schicksal zu berichten, jetzt nimmt er kein Blatt vor der Mund. „Ich habe im Sommer im Gebüsch geschlafen.“ Dreimal in der Woche steht er bei den Fairsorgern an der Kirche St. Gertrud an und holt sich dort eine warme Mahlzeit, außerdem nutzt er das Suppenfahrrad der Initiative „Essen packt an“.

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Obwohl ihm zwischenzeitlich Arbeitslosenhilfe zugestanden hätte, schlägt er sich lieber als Dosensammler durch. Auch in seinem Fall macht Not erfinderisch. „Ich habe in Frohnhausen eine öffentliche Toilette gefunden und dort übernachtet.“ Funktioniert habe das sehr einfach. „Ich habe fünfzig Cent gezahlt, die Tür hinter mir verschlossen und bin dann in den Schlafsack gekrochen.“ Eine andere praktische Adresse für die Nacht sei der Warteraum am U-Bahnhof Breslauer Straße.

„Ja, ich hatte mich zwischenzeitlich aufgegeben“

Jeder Handwagen ist mit einer Notfallleuchte ausgestattet. Außerdem gibt es drinnen ein Signalhorn. Es ist so lautet, dass es nicht zu überhören ist.
Jeder Handwagen ist mit einer Notfallleuchte ausgestattet. Außerdem gibt es drinnen ein Signalhorn. Es ist so lautet, dass es nicht zu überhören ist. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Ja“, gesteht er, „ich hatte mich zwischenzeitlich aufgegeben.“ Aber jetzt wolle er endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben. Vor kurzem hat er Arbeitslosengeld I beantragt, das noch bis Mitte Februar gezahlt werde, danach hoffe er auf Sozialhilfe.

Die Zeit im fahrbaren Mini-Haus sei eine Übergangszeit. „Ich habe gute Aussichten, bald eine eigene Wohnung zu bekommen.“ Dann, so sein Kalkül, habe er auch bessere Aussichten endlich wieder einen Job zu bekommen. „Wenn du im Gebüsch schläfst, kannst du ja nirgendwo als Koch arbeiten.“ Dank des „Lesshome“ sieht sich Lars auf dem Trip in die Normalität. Das Gefährt gibt ihm Würde und Hoffnung.

Der Berliner Tüftler Wolfgang Goergens (59) ist der Erfinder des „Lesshome“-Mobils. Vier dieser Handwagen hat er bislang gebaut, drei für Berlin, eines für Essen. Seinen Nutzern verspricht er eine menschenwürdige Infrastruktur. „Das Essener Lesshome ist das erste, das an den Start geht“, sagt er stolz. Ein Geschenk auf Zeit und vielleicht sogar mehr: ein Vehikel raus aus der sozialen Sackgasse. Wo er das Wohn-Wägelchen abstellen wird, will Lars nicht verraten. Mit einer stabilen Kette kann er es an eine Laterne oder einen Baum ketten, damit niemand damit Schabernack treibt.

Vergabe der Not-Unterkunft läuft über die Freiwilligen-Initiative „Essen packt an“

Gesponsert wird das Essener Projekt vom Unternehmer Reinhard Wiesemann („Unperfekthaus“). „Es ist für mich ein Experiment“, sagt er, und fügt hinzu: „Bestimmt nicht der Weisheit letzter Schluss, aber besser als nix.“ Sollte es hingegen erfolgreich sein, könne man weitere Handwagen anschaffen.

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Die Vergabe der Lesshome-Handwagen liegt in den Händen des Freiwilligen-Verbandes „Essen packt an“. Dessen Sprecher Markus Pajonk ist zuversichtlich, dass das Projekt erfolgreich sein wird. „Wir möchten gerne einen zweiten Handwagen auf die Essener Straßen bringen.“