Essen. Ein Schulgebäude in Essen steht so schief, dass Schüler und Lehrer seit langem über Kopf- und Rückenschmerzen klagen. Nun will die Stadt handeln.

„Bitte langsam laufen“, steht auf einem selbstgemalten Warndreieck an der Wand. Wer in der Grundschule an der Immelmannstraße in Schonnebeck die Treppen hinuntergeht und nicht auf der Nase landen will, sollte diesen Hinweis sehr ernst nehmen. Denn das Gebäude, in dem die städtische Schillerschule und die katholische Johann-Michael-Sailer-Schule untergebracht sind, steht schief. So schief, dass es schon zu Unfällen gekommen ist und Lehrkräfte wie Schüler über Kopf- und Rückenschmerzen klagen.

Dass das Schulgebäude schief steht, ist den zuständigen Behörden bekannt. Und das bereits seit 40 Jahren, was die Stadt auch offen einräumt. In Essen stehen viele Häuser schief. Das ist eine Folge des Bergbaus. Der Untergrund gibt nach, Fundamente sacken ab.

Die Unfallkasse NRW soll über den Schiefstand seit 2014 im Bilde sein

Offenbar wurde aufseiten der Verwaltung auch deshalb sehr lange getreu dem rheinischen Motto verfahren, das lautet: „Et is noch immer jot jejange.“ Nun aber wird gehandelt. Warum erst jetzt? Eine Beschwerde der Schulgemeinschaft gebe es erst seit 2018, so eine Stadtsprecherin. Seitdem stehe die Verwaltung mit der Unfallkasse NRW, der Bezirksregierung und der Schulgemeinschaft im Austausch. Die Unfallkasse NRW ist seit Herbst 2017 im Bilde und war nach Angaben eines Sprechers mehrmals vor Ort.

Im Dezember 2018 hatte sich eine Vertreterin der Schulpflegschaft der Schillerschule gegenüber der Redaktion über den massiven Schiefstand des Gebäudes beklagt. Anschaulich schilderte die Mutter die Bedingungen, unter denen die Grundschüler lernen müssen: „Türen und Tafeln fallen von alleine zu, die Kinder sitzen schief, und Stifte rollen vom Tisch“ – und fragte: „Wie soll man sich da konzentrieren können?“

Lehrerinnen, die ein Kind erwarten, dürfen in dem Gebäude nicht unterrichten

Da hatte der Betriebsärztliche Gesundheitsdienst bereits ein Gutachten erstellt und die Empfehlung ausgesprochen, dass Schwangere das Gebäude erst gar nicht betreten sollten. Lehrerinnen, die ein Kind erwarten, dürfen dort nicht mehr unterrichten. 1,71 Meter in der Diagonalen sei das Schulgebäude abgesackt, berichtet Bettina Falkenroth, Schulleiterin der Johann-Michael-Sailer-Schule.

Mittlerweile scheint mehr Druck im Kessel zu sein. Im Januar machte sich Oberbürgermeister Thomas Kufen gemeinsam mit Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher persönlich ein Bild vom Schiefstand.

Nachdem die Stadt zunächst versucht hat, mit „kleineren Maßnahmen“ wie zusätzlichen Geländern und Bodentritten für mehr Standsicherheit zu sorgen, will man es nun mit Podesten versuchen. Zur Probe soll in jeweils einem Klassenraum beider Schulen der Boden begradigt werden.

Tafel und Waschbecken müssen versetzt werden, wenn der Boden in Waage liegt

Nicole Brandenberg, Schulleiterin der Schillerschule, findet das erst einmal positiv, stellt sich aber auch die Frage: „Können wir das leben?“ Tafel und Waschbecken werden versetzt, da sie sonst schief hingen. Fenster und Türen bleiben schief. Was bedeutet das für den Gleichgewichtssinn? Können sich Kinder und Lehrkräfte daran gewöhnen? Oder fühlen sie sich wie an Deck eines Windjammers während einer Sturmfahrt?

14 Tage nach dem Umbau der Klassenräume, will die Verwaltung auswerten, welche Erfahrungen Schüler und Lehrer damit gemacht haben. Sollte eine Verbesserung eintreten, könnten alle Räume auf diese Weise begradigt werden, heißt es. Die Kosten dafür würden nach Angaben der Stadt bei rund 500.000 Euro liegen. Das ganze Gebäude anzuheben, sei nicht möglich.

Und wenn keine Verbesserung eintritt? Im ungünstigsten Fall drohe die Schließung, warnt Tim Wortmann, schulpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Rat der Stadt. Der Versuch, einzelne Klassenräume mit Podesten zu einem in Waage liegenden Boden zu verhelfen, sei passabel, „gleichzeitig muss aber auch für den Worst Case vorgearbeitet werden“, so Wortmann. Ein Neubau müsse in diesem Fall die zu präferierende Option sein. Konkrete Pläne, heißt es vonseiten der Stadt, gebe es für einen solchen bislang nicht.