Essen. Der Kabarettist hinter der Kamera: Dieter Nuhr zeigt in Essen neue Bilder aus China, Sri Lanka und dem Iran

Wenn Dieter Nuhr auf die Welt blickt, dann sieht er: Risse. Nun scheint die Wahrnehmung des Verfallenen und Verwitterten nicht überraschend - angesichts der aktuellen Weltlage. Doch Deutschlands vielbeschäftigter Satiriker zeigt in seinen abstrakten Fotografien keine Bilder einer kaputten Welt, keine dokumentarischen Zeugnisse menschengemachter Zerstörung, schon gar keine Reisebilder. Obwohl er doch so gerne unterwegs ist: In China, Sri Lanka, Iran und Georgien hat er die Motive seiner aktuellen Ausstellung gefunden, die bis zum 7. März in der Galerie Obrist zu sehen ist; und die stille Schönheit abgeblätterter Wandfarbe feiert: Dieter Nuhr zeigt die Welt in Texturen.

Der Galerie-Auftritt am Rande seines Grugahallen-Gastspiels hat Tradition. Nuhr, der während seines Studiums in den 1980ern an der Essener Uni Kunst-Student bei Laszlo Lakner war, hat hinter der Kamera längst eine zweite Karriere gestartet.

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Inzwischen sind die Ausstellungsorte so international wie seine Bilder - von Peking bis zur Kunsthalle Dresden. Im Frühjahr werden Nuhrs Weltbilder im Puschkin-Museum in St. Petersburg hängen.

Eine Welt, die von der Zivilisation in verblichenen Farben gezeichnet ist

Kein Kontinent, den der gebürtige Niederrheiner nicht schon mit der Kamera bereist hat. Er zeigt fast beiläufig eine Welt, die von der Zivilisation in verblichenen Farben gezeichnet ist - manchmal mit einem matten Betongrau, das sich in brüchigen Schuppen aus der ozeanblauen Wandfarbe wie ein naturgeschaffenes Materialbild herausschält. Manchmal knallbunt, als hätten sich Pinsel und Farbeimer zu einem explosiven Date am Straßenrand verabredet. Und so mutet ein Wartehäuschen im Iran plötzlich wie ein abstraktes Gemälde an. „Zerkratzt und aufgerissen, brüchig und doch unfassbar schön“, sagt Nuhr. Und es könnte in diesem Moment auch eine Beschreibung für den Iran sein.

Wo Nuhr sonst kein Blatt vor den Mund nimmt, darf die Farbe in seinen leise-melancholischen Bildern ganz unspektakulär abblättern. Es sind stille Bilder mit fremden Namen wie „Yazd“ oder „Zugdidi“, die als Textildruck ungemein plastisch und geradezu malerisch-brillant wirken.

Nuhr spürt Orte auf, die ganz anders sind als die erwartbaren Katalog-Kulissen

„Der Punkt ist, dass man über das Land eigentlich nichts erfährt“, erklärt Nuhr die Absicht seiner Kunst. Er will den Blick lenken auf das Beiläufige, Orte aufspüren, die ganz anders sind als die erwartbaren Katalog-Kulissen. Ohne konkrete Erwartungen und vorgefertigte Bilder aufzubrechen, das gehöre nun mal zum Prinzip seiner Reisen. Für Nuhr bedeutet das Freiheit: Anders als die Leute, „die sich in Mexiko erst mal einen Poncho kaufen und nach drei Wochen meinen, das Land zu verstehen“.

Im Februar bricht er wieder auf. In Vietnam hat er schon neue Motive vor Augen. Dann lässt Nuhr, der rhetorische Präzisionsarbeiter, einfach mal wieder die Zeit und den Zufall für sich arbeiten.

Dieter Nuhr: Neue Fotografien. 25. Januar - 7. März 2020, Galerie Obrist, Kahrstraße 59. Öffnungszeiten: Mittwoch - Freitag, 12 bis 18 Uhr / samstags 10 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung. www.galerie-obrist.de