Essen. Der langjährige ARD-Journalist Joachim Wagner kritisiert die Essener SPD. Sie sei nicht bereit, sich fürs Thema Zuwanderung zu öffnen.
Das Thema Zuwanderung polarisiert die Gesellschaft. Der frühere Leiter des ARD-Politmagazins Panorama, Joachim Wagner, hat für sein überarbeitetes Buch („Die Macht der Moschee“) genauer hingeschaut. Der Publizist diagnostiziert ein „repressives Meinungsklima in unserem Land“ und den weitgehenden Verlust von „Dialog- und Streitfähigkeit“. Was das mit Essen zu tun hat? Hier habe er nicht nur die Sprachlosigkeit der Mitte erlebt, sondern auch die Diffamierung bei der SPD, politisch am rechten Rand zu stehen. Essens SPD-Parteichef widerspricht.
Wagner bezieht sich auf die Teilnahme an einer SPD-Diskussion im Grillo-Theater („In Vielfalt geeint?“), die ihm als „unerfreulich“ und „von Vorurteilen geprägt“ in Erinnerung geblieben ist. Zu der Veranstaltung hatte die SPD im März 2019 eingeladen. Der langjährige ARD-Journalist geht hart mit den Essener Sozialdemokraten ins Gericht. „Die SPD in Essen ist völlig verkrustet in Feindbildern und Vorurteilen“, urteilt der langjährige ARD-Journalist im Gespräch mit dieser Zeitung.
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„Man warf Wagner vor, fremdenfeindlich eingestellt zu sein“
Folgt man der Darstellung des jetzt aus der SPD ausgetretenen Ratsherrn und Parteivizes Karlheinz Endruschat, muss die Art und Weise, wie die Diskussion mit Wagner zustande gekommen ist, weitaus interessanter gewesen sein als die Aussprache auf dem Podium selbst. So ist von einer monatelangen Kontroverse im Vorfeld die Rede. „Joachim Wagner wurde parteiintern als Rechtsaußen abgelehnt“, sagt Endruschat. Der Politiker nimmt nach Rückgabe seines Parteibuches kein Blatt mehr vor den Mund und fügt hinzu: „Man warf Wagner vor, fremdenfeindlich eingestellt zu sein.“
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Deshalb seien bei der Debatte im Grillo auf innerparteilichen Druck hin zwei politische „Gegengewichte“ zu Wagner aufgeboten worden: der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Ahmet Toprak („Der Schlüssel für Integration ist Bildungs- und Chancengleichheit“) unter SPD-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Gereon Wolters, ein Rechtswissenschaftler, als Moderator.
Wagner: „Wegen angeblicher AfD-Nähe wurden Veranstaltungen von mir abgesagt“
In einem Interview mit der Berliner Morgenpost, die wie diese Zeitung von der Funke Mediengruppe herausgegeben wird, berichtet Wagner ausführlich über Versuche, ihn in die „rechte Ecke“ zu stellen. Man habe ihn mehrfach als „Rassisten“ beschimpft, und in Hamburg und Rheinland-Pfalz seien Veranstaltungen mit ihm „wegen angeblicher AfD-Nähe“ sogar abgesagt worden. Gegenüber dieser Zeitung betont Wagner: „Mein Buch ‘Die Macht der Moschee’ ist in Lizenz von der Bundeszentrale für Politische Bildung nachgedruckt worden, eine Institution, die über jeden AfD-Verdacht erhaben ist.“
Seine Teilnahme an der Essener SPD-Veranstaltung sei auf Initiative Karlheinz Endruschats zustande gekommen. „Er hatte mein Buch gelesen und ist auf mich zugekommen.“ Endruschat berichtet, dass in der SPD nur sehr widerwillig eine Arbeits- und Projektgruppe „Integration und Sicherheit“ ins Leben gerufen worden sei. Auch die hochkarätig besetzte Diskussion mit Joachim Wagner habe „kaum Parteimitglieder“ und nur sehr wenige aus der „Projektgruppe“ angelockt. Mit gerade einmal drei Dutzend Besuchern sei die Debatte auf ein spärliches Echo gestoßen. „Danach folgten nur noch Jubelveranstaltungen“, fügt Endruschat sarkastisch hinzu.
SPD-Parteichef: „Wir sind ganz offen und nehmen das Thema Integration sehr ernst“
SPD-Parteichef Thomas Kutschaty („Wir sind ganz offen“) tritt dieser Darstellung vehement entgegen. „Die Partei nimmt das Thema Integration sehr ernst, weil wir wissen, dass es die Menschen bewegt.“ Gerade im Vorfeld der Kommunalwahl 2020 beschäftige sich die SPD mit diesem Thema – auch im Hinblick auf die letzten Wahlergebnisse im Norden und die hohen Stimmenanteile der AfD.
Ob Karlheinz Endruschat in Essen oder Joachim Wagner in Hamburg – unabhängig voneinander ziehen beide dieselben Schlussfolgerungen: „Die SPD-Mehrheit in Essen ist nicht bereit, sich für das Thema Zuwanderung zu öffnen.“