Essen. Das beliebte Café Seitenblick in der Essener Innenstadt ist geschlossen. Mitarbeiter klagen über nicht gezahlte Löhne. Die Polizei ermittelt.
Dienstagmorgen, Café Seitenblick in der Trentelgasse. Normalerweise treffen sich hier Essener zu dieser Zeit in der Innenstadt gerne zum Frühstück. Doch an diesem Morgen ist es stockduster im Lokal, das Gitter der Eingangstür heruntergezogen und nur ein weißes DIN-A4-Blatt erklärt in wenigen Worten: „Heute geschlossen“.
Doch so, wie es momentan scheint, wird das Café auch nicht am Mittwoch oder überhaupt an einem der nächsten Tage wieder öffnen. Inhaber Dominik K. erklärt auf Nachfrage, dass er das Restaurant geschlossen hat. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Geschichte, die sich als ein Fall für die Staatsanwaltschaft entpuppen könnte.
Das Wichtigste in Kürze:
- Das Café Seitenblick in Essen ist geschlossen.
- Ehemalige Mitarbeiter klagen über nicht gezahlte Löhne.
- Teile des Inventars befanden sich bereits auf Ebay zum Verkauf.
- Am Montagabend kam es in dem Café zu einem Streit.
- Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen.
Rückblick. Es ist Montag, um 11 Uhr, im Arbeitsgericht Essen, Saal 322. Richterin Katja Buschkröger wartet vergebens auf Dominik K. Dieser ist eigentlich vorgeladen, weil er einem ehemaligen Mitarbeiter noch Lohn schulden soll. Doch K. erscheint nicht. Wieder einmal. Richterin Buschkröger bleibt nur, ein Versäumnisurteil gegen den Unternehmer zu verkünden. Damit kann Anwalt Oliver Post, der den ehemaligen Mitarbeiter vertritt, nach wenigen Minuten seinen Aktenordner wieder zuklappen. Er hat nun die Möglichkeit, den Lohn zu pfänden.
14 Zahlungsklagen gegen Inhaber des Café Seitenblick am Arbeitsgericht
Die beschriebene Szenerie erleben die Richter am Arbeitsgericht seit Wochen. Mehrere ehemalige Mitarbeiter des Cafés Seitenblick hatten ausstehenden Lohn vor Gericht eingeklagt. Im Fall, den Anwalt Oliver Post vertritt, soll K. Außenstände von rund 1600 Euro brutto haben. Insgesamt 14 solcher Zahlungsklagen ehemaliger Mitarbeiter sind beim Arbeitsgericht seit September vergangenen Jahres eingegangen. Doch es sind offenbar nicht die einzigen, denen K. noch Geld schuldet.
Auch ein Handwerker meldet sich am Dienstag in der Redaktion, der nach eigenen Angaben für Arbeiten aus dem Monat Dezember noch 450 Euro von K. bekommt. Öffentlich will der Handwerker seinen Namen nicht nennen. Normalerweise habe er für K. nur gearbeitet, wenn er die Leistungen nach Fertigstellung immer sofort in bar bezahlt bekam. Außer bei seinen jüngsten Reparaturarbeiten, da habe K. ihn vertröstet. Auch Lieferanten sollen zuletzt nur noch gegen Bargeld Waren ans Seitenblick geliefert haben, berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin.
Das Aus des Cafés am Montag machte schnell die Runde unter Mitarbeitern und Ehemaligen. Auch der Handwerker, der gute Kontakte zu Mitarbeitern pflegte, wusste Bescheid. „Meine Erfahrung sagte mir: Schau mal auf Ebay nach.“ Tatsächlich hatte Dominik K. dort mehrere Anzeigen unter seinem Namen eingestellt und wollte offensichtlich Teile des Interieurs des Cafés veräußern. Kaffeemaschinen, ein Thermomix, eine Saftpresse, eine Spülmaschine sollen darunter gewesen sein, berichtet er. „Alles Dinge, die normalerweise bei einer Insolvenz noch Geld bringen“, so der Handwerker. Am Dienstagmittag gab es dann nur noch zwei Anzeigen auf Ebay: Schöpfkellen und Besteck.
Inhaber will Interieur auf Ebay verkaufen
Der Handwerker gab sich schließlich bei Ebay als Interessent aus und sollte K. Montagabend, 22 Uhr, im Lokal treffen. Dort soll es dann zu einem verbalen Streit gekommen sein, berichtet die Polizei. Die Beamten waren von einer ehemaligen Mitarbeiterin, die ebenfalls vor Ort war, gerufen worden. K. musste schließlich den Laden verlassen. Die Polizei versiegelte die Eingangstür. „Wir wollten verhindern, dass weitere mögliche Wertgegenstände entfernt werden. Wir ermitteln jetzt wegen Bankrotts“, sagte eine Polizeisprecherin.
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Die Frage bleibt: Was hat das eigentlich beliebte Café, das es seit 2005 gibt, so in Schwierigkeiten gebracht? Am Zuspruch kann es wohl nicht gelegen haben. Das Restaurant soll häufig sehr gut besucht gewesen sein. Dominik K. schreibt dazu auf Nachfrage: „Der Betrieb konnte nicht mehr kostendeckend arbeiten. Die Frischeküche ist personalkostenintensiv und nicht kostendeckend. Der Umsatz blieb hinter den Erwartungen zurück.“ Außerdem hätten das neue Kassengesetz und notwendige Investitionen ihn zur Schließung bewogen.
Stefanie Müller, eine ehemalige Mitarbeiterin, die ihren richtigen Namen ebenfalls nicht öffentlich nennen möchte, erzählt allerdings von teils chaotischen Zuständen, die sie in dem Restaurant während ihrer Beschäftigung erlebte. „Da ging vieles drunter und drüber. Die Leute, die da arbeiteten, hatten keine Ahnung“, waren offenbar schlecht oder gar nicht eingewiesen.
Um den Betrieb am Laufen zu halten, habe sie als Servicekraft auch Küchenarbeiten mit erledigt. Dominik K., der zu diesem Zeitpunkt noch zwei Läden in Bochum und Ratingen betrieb, sei kaum vor Ort gewesen, berichtet sie. Tatsächlich mehrten sich in den letzten Monaten bei Google auch die negativen Stimmen von Gästen. Sie beklagten sich u.a. über lange Wartezeiten, schlecht organisierten, unfreundlichen Service.
Inhaber kündigt Insolvenzverfahren an
Beim Einstellungsgespräch im September habe K. ihr zwar erzählt, dass es im Seitenblick gerade einen größeren Personalwechsel gebe, berichtet Stefanie Müller, die mehrere Jahre Erfahrung in der Gastronomie hat. „Ich habe mir da noch nichts weiter gedacht, hatte auch nichts Negatives im Internet über das Café gefunden“, sagt sie rückblickend. K. schuldet auch ihr noch anderthalb Monatsgehälter aus November und Dezember. Sie steht nach eigenen Angaben mit zwölf weiteren Mitarbeitern in Kontakt, die von K. noch Gehalt bekommen. Wie viele es tatsächlich sind, ist nicht bekannt.
Stefanie Müller ist nicht gut auf K. zu sprechen. Sie war es auch, die am Montagabend die Polizei rief. „Mich ärgert einfach, dass er mich wohl eingestellt hat, obwohl er schon wusste, dass er mich nicht bezahlen kann.“ Sie ist Mutter einer kleinen Tochter. „Hätte ich meinen Freund nicht, der mich unterstützt, hätte ich nicht gewusst, wie ich die letzten Wochen über die Runden hätte kommen sollen.“
Angestellte können sich an die Arbeitsagentur wenden
Wie es jetzt mit den Mitarbeitern und den Ehemaligen weiter gehen wird? Dominik K. teilte dazu mit: „Es wird ein geordnetes gerichtliches Verfahren geben. Ehemalige Angestellte können sich an die Agentur für Arbeit wenden und erhalten – ggf. auch rückwirkend – Zahlungen.“
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Bis Dienstag jedenfalls hatte K. noch keine Insolvenz angemeldet. Und die ehemaligen Beschäftigten, denen K. noch Geld schulden soll, für die wird es eher schwierig. „Sie müssen sich, falls es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommen wird, für die Insolvenztabelle anmelden“, sagte Anwalt Oliver Post. Und schiebt hinterher: Falls bei K. noch genügend Vermögen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden sei. Der erwähnte Handwerker rechnet eher nicht mehr damit, dass er sein Geld noch sieht. „Mir ist es nur wichtig, dass jemand damit nicht einfach so durchkommt.“