Essen-Burgaltendorf. Katholiken, Protestanten oder Konfessionslose: Die in der Nacht schweigenden Glocken bewegen viele in Burgaltendorf. Das Entsetzen bleibt groß.
„Wer war zuerst da, die Kirche oder die Neubauten?“, fragt Andrea Jost eher rhetorisch. Die Mitinhaberin des Elektrofachbetriebes an der Alten Hauptstraße war eine der ersten in Burgaltendorf, die ihre Unterschrift für die Wiedereinführung des Glockenschlags rund um die Uhr geleistet hat. Der wurde nachts in der Zeit von 23 bis 6 Uhr abgestellt, da neue Nachbarn wegen ihrer Nachtruhe in der Gemeinde Herz Jesu darum gebeten hatten. Der Protest dagegen reißt nicht ab.
Katholiken, Protestanten oder Konfessionslose, das Thema Glockenläuten bewegt die Gemüter im ländlich geprägten Quartier. „Wir heißen nicht nur Burgaltendorf, wir sind Burgaltendorf“, betont Reinhild von der Gathen. Sie hat die Protest-Aktion gegen die Entscheidung des Gemeinderates von Herz Jesu ins Leben gerufen. Die 64-Jährige wohnt seit 1979 im Dorf und gehört zu den vielen Anwohnern, die das viertel- und stündliche Schlagen der Turmuhr nicht stört.
Viele Menschen vermissen die nächtlichen Glockenschläge
„Ich kenne das nicht anders.“ Gern orientiere sie sich daran, wenn sie abends unterwegs ist. „Viele Menschen vermissen die durchgängigen Glockenschläge“, weiß sie. Martin von der Gathen, ihr Sohn, betreibt die Homepage im Stadtteil. Auch dort haben sich viele Befürworter der alten Läuteordnung gefunden. Die galt bis zur Änderung am 1. Dezember stolze 115 Jahre. Doch mit dem ersten Türchen im Adventskalender begann für manche Anwohner keine schöne Zeit.
Eine von ihnen ist Marietta Hohendahl. Die Burgaltendorferin ist seit der Kindheit fest mit dem Ort verwurzelt. „Ich bin sehr traurig über die Entscheidung des Gemeinderats“, erzählt sie. Die 56-Jährige wohnt seit 30 Jahren an der Alten Hauptstraße 68 und hat dort mit ihrem Mann vier Kinder in unmittelbarer Nähe der Herz Jesu Kirche großgezogen. Das Gotteshaus steht auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber.
Burgaltendorferin hat ihren Küsterdienst aufgegeben
Elf Jahre hat Marietta Hohendahl den Küsterdienst in der Kirche versehen. Als Nachbarin konnte sie mal eben die Kirchtür auf- oder abschließen und war immer schnell vor Ort, wenn in der Gemeinde Hilfe braucht wurde.
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Am meisten entsetze sie, dass keiner vom Gemeinderat das Gespräch mit ihr gesucht habe. Als ihr zu Ohren kam, dass das von den Katholiken gewählte Gremium mit Pastor Ulrich Neikes den neuen Anwohnern aufgrund ihrer mündlichen und schriftlichen Beschwerden im Sommer dieses Jahres nachgegeben hatte, war ihre Enttäuschung so groß, dass sie den Küsterdienst zum 1. Dezember aufgab
„Unser Ältester lebt in Marburg. Er hat sich eine Wohnung direkt neben einer Kirche gesucht, um nachts schlafen zu können“, erzählt sie. Marietta Hohendahl jedenfalls leidet nach eigenen Angaben seit dem Teil-Stopp der nächtlichen Turmuhrschläge unter massiven Schlafstörungen. Auch wenn es sich absurd anhört: Die Stille in der Nacht beunruhigt sie. Sie fühle sich morgens wie gerädert und aus dem Takt gebracht. „Das nimmt mich alles sehr mit!“
Eine Familie ist wegen der Glocken nach Burgaltendorf gezogen
Zwei, drei Sitzungen habe sich der Gemeinderat mit dem strittigen Thema beschäftigt, bis er am Ende darüber abgestimmt habe. Dabei kenne sie selbst in den Neubauten Mieter, die das Schlagen nachts vermissen. „Eine Familie ist extra wegen der Glocken aus Heisingen nach Burgaltendorf gezogen“, weiß sie.
Die Freiwillige Feuerwehr hat ihre Wache rund 50 Meter unterhalb der Kirche. „Die fahren hier auch nachts mit Blaulicht und Martinshorn vorbei“, fügt die Anwohnerin hinzu. Direkt vor den Neubauten hält der Bus. „Das weiß man doch alles vorher“, findet Birgit Straten. Die 55-Jährige wohnt am Mühlenweg. Auch dort sei das Läuten vielen eine liebgewonnene Tradition und kein störender Lärm.
Frühere Anwohner mussten unterschreiben, dass sie sich nicht beschweren
„Dass der Gemeinderat diese wichtige Entscheidung der Bevölkerung nicht vorher mitgeteilt hat, ärgert mich.“ Gleich heute morgen hat sie ihren Unmut per Unterschrift kundgetan. Nun hofft sie auf das Einsehen des Gemeinderates. „Wir möchten, dass das Glockenläuten so bleibt, wie es immer war.“ Und das waren 115 Jahre.
„Wir haben als einzige Kirche im Umkreis noch den Stundenschlag hat“, betont sie. „Wie konnte der Gemeinderat wegen weniger neuer Anwohner gleich so einknicken?“, möchte Stephan Jost wissen. Auch er stammt aus dem Dorf an der Ruhr und vermisst die alte Läuteordnung. „Wenn früher jemand in die unmittelbare Nähe der Kirche zog, musste er unterschreiben, sich nicht über die Glocken zu beschweren“, weiß er. Nicht nur er fragt sich, ob man das bei den Mietverträgen versäumt habe.