Berlin. Was macht es mit einer Familie, wenn die Tochter plötzlich ein Junge sein will? Dann beginnt ein Spießrutenlauf durch die Instanzen.
Kinder können verloren gehen. Sie können entführt und Opfer eines Pädophilen werden. Sie können sich kriminellen Banden anschließen oder im Drogensumpf versinken. Es gibt Kinder, die werden radikal, zu Islamisten und Terroristen. Und Mädchen, die in den Dschihad ziehen. Kinder können einen schweren Unfall haben, Krebs bekommen. Sie können sterben.
Die Angst vor dem, was alles passieren könnte, treibt mich um, seitdem meine Kinder auf der Welt sind. Und dann verlor ich meine Tochter Sophie, doch das Kind ist mir geblieben: als Paul.
Transgender. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. Eine wirre Vorstellung von Leben im falschen Körper. Von Männern, die mit Frauenkleidern rumlaufen. Schräge Vögel jedenfalls.
Als Sophie im Teenageralter in Depressionen verfiel, war mir das völlig fremd. Ich bin pragmatisch, optimistisch. Ich fand, sie solle einfach aufstehen, an die frische Luft gehen, Sport treiben. Doch sie zog sich immer mehr zurück, verbrachte viel Zeit in ihrem stickigen, düsteren Zimmer. Rollos runter, Decke über dem Kopf.
Skype-Gespräche über Kafka und Nietzsche
Das fröhliche Kind, das so gern mit uns auf Reisen ging, schlenderte lustlos durch Venedig und London. Als wir in New York waren, verschanzte sie sich im MoMA — auf der Suche nach düsterer Kunst. Sie malte Mangas, dürre, androgyne Typen. Sie wurde vegan und alles drehte sich ums Essen.
Irgendwann kam sie mit einer Freundin an. Ein seltsames Wesen, das nicht sprach, drei Tage nur Toast mit Honig aß und hingebungsvoll an Sophies Lippen hing. Dass mein Kind lesbisch ist, davon war ich längst überzeugt.
Im Internet hatte sie eine Menge Freunde, allesamt ernst, verschroben. Schulversager in Therapie aber hochintelligent. Sophie skypte mit diesen Freunden jeden Abend über Kafka, Nietzsche oder andere irgendwie geniale wie schwierige, bisweilen psychisch gestörte Charaktere. „Mama, wir sind wesensverwandt“, sagte sie über ihre Online-Beziehungen.
Dass meine Tochter Sophie Hilfe braucht, war mir nicht wirklich klar. Schließlich war sie immer schon ein schwieriges Kind, das sich häufig in den Schlaf weinte, wenn es in meinen Armen lag. Im Familienkreis führte sie das große Wort. Sie redete uns in Grund und Boden, lamentierte über ihre Lehrer, ihre Maus Mimi, für die wir auf einer Reise mal 100 Kilometer zurückgefahren sind, um sie in einer Raststätte wiederzufinden.
Nichts konnte Sophie auslasten
Glücklich war sie nur mit ihrer Zwillingsschwester Anne: Zwei Mädchen am Maltisch. Zwei Mädchen mit Playmobil und Lego. Zwei Mädchen, die weder etwas mit Autos noch mit Puppen anfangen konnten. Den Sommer über verbrachten die Zwillinge mit ihren Plastiktieren und Männchen in unserem kleinen Garten, versunken in ihrer eigenen Welt.
Auf dem Gymnasium fand Anne den Absprung, baute sich einen eigenen Freundeskreis auf. Sophie, die bisher auf ihrer Montessorischule ihr eigenes Lerntempo hatte, war vollkommen verzweifelt. Nichts konnte sie auslasten. Die Schule empfahl, ein Jahr zu überspringen. Sie landete in einer Klasse voller pubertierender Mädchen, fand eine allerbeste Freundin, Tochter einer alleinerziehenden Ärztin, die Sophie quasi adoptierte.
Irgendwann wurde es ihr zu viel, sie fühlte sich drangsaliert, bevormundet, die beste Freundin und die anderen aus ihrer Klasse fingen an, sie lenken zu wollen in eine mädchenhafte Richtung mit kurzen Röcken, Wimperntusche und viel Gekicher.
Sophie kündigte radikal all ihre Freundschaften, schnitt sich die Haare kurz und fing an, sich zu verkleiden wie ihre androgynen Mangafiguren: Kurze Hose, Kniestrümpfe, weißes Hemd, dünne Krawatte. In der Schule hielten sie mein Kind nun für total verrückt. Sie war dort vollkommen allein.
Therapeuten spricht von Suizidgefahr
Dass wir als Familie von Essen nach Berlin umziehen mussten, empfand sie daher als Glück. In der neuen Schule tauchte sie mit Irokesenhaarschnitt, alten Jeans und Bandshirts auf. Anne entpuppte sich hingegen mehr und mehr als Modeikone. Dass sie Zwillinge sind, wusste zunächst niemand.
Während Anne unter dem Berliner Leben litt, den saufenden und kiffenden Mitschülern, die sich ungezügelt und unerzogen dem Nachtleben hingaben – sie schimpfte jeden Tag nach der Schule gehörig über Lehrer, Mitschüler, Dreck und Chaos – schleppte sich Sophie schweigend in die Schule.
Hätte sie nicht ihre Neigungsfächer gewählt – wir hätten sie nicht motivieren können. Aber nun war sie in der Oberstufe mit Kunst Leistungskurs, viel englischer Literatur und Philosophie. Sie reiste mit ihrem Kurs nach Venedig zur Biennale. Zu ihren Mitschülern hatte sie lose, kumpelhafte Kontakte. Sie funktionierte – und suchte sich selbst eine Therapeutin.
Die bestellte mich ein. „Ihr Kind ist schwer krank“, sagte sie mir. „Eine schwere Depression“. Sie sprach von einer hohen Suizidgefahr.
Natürlich war uns Eltern klar, dass etwas nicht stimmte. Doch wir hatten keine Vorstellung, dass es so schlimm ist. Die Therapeutin öffnete uns zwar über die Depression die Augen, dem Kind helfen konnte sie indes nicht. Sie hatte kein Verständnis dafür, dass Sophie sich nun Paul nannte und von allen Bezugspersonen forderte, nicht mehr „misgendert“ zu werden.
Ein Jahr mit Schule aussetzen, um gesund zu werden
Diesen Paul machte fassungslos, wie gern ich mich auf die Seite der Therapeutin schlug. Wir stritten immer häufiger, parallel dazu vernachlässigte sich mein Kind, das ich nicht mehr Sophie nennen durfte, immer mehr. Blieb in seinem Zimmer, wann immer es ging. Duschte unregelmäßig. Aber Paul ging zur Schule, seine Leistungen waren immer noch so gut, dass sich kein Lehrer mit uns in Verbindung setzte.
Dann beschloss er, ein Jahr mit der Schule auszusetzen, um gesund zu werden, die Depression zu überwinden. Diesmal unterstützte die Therapeutin ihn sehr.
Wir gaben dem nach und suchten noch einen Psychiater, einen Arzt, der die medikamentöse Behandlung übernehmen sollte. Obendrein ging Paul zum Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité in die Beratung. So schaffte er es, um einen stationären Aufenthalt in einer therapeutischen Einrichtung herum zu kommen.
Immer noch skypte er jeden Abend. Den Tag gliederten die vielen Termine bei Ärzten und Therapeuten. Der Psychiater unterstützte Paul als Transmann sehr, für ihn war es ein Teil der Genesung. Der Berater der Charité und die Therapeutin hielten Pauls Ansinnen für eine Teenager-Marotte, für ein Lifestyle-Phänomen im hippen Berlin.
Der Berater lud uns Eltern zum Gespräch. Ein recht junger Mann, Sexualwissenschaftler und Arzt, mit Hemd und Krawatte, erklärte, wir sollten uns keine Sorgen machen. Er lullte uns ein, das seien Identitätsstörungen der Pubertät. Bis 24 sei die Identitätsfindung nicht abgeschlossen. Höchstwahrscheinlich „wächst sich das raus“, übrig bleibe dann eine Homosexualität, sagte er.
Paul: „Wann kann ich endlich Hormone nehmen?“
Er bot uns Rotbuschtee an, es war gemütlich im Beratungszimmer. Wir begannen, uns wohl zu fühlen. Ja, so muss es sein. Lesbisch, wie wunderbar. Das ist ja nun wirklich kein Problem mehr. Das Institut sei sehr konservativ, es helfe, Hormongaben und Operationen hinauszuzögern. „Seien Sie froh, dass sie nicht in Hamburg bei den Kollegen sind. Die agieren sehr schnell im Sinne der Betroffenen“. Außerdem riet er uns, noch einmal seinen extrem konservativen Kollegen in Zürich zu kontaktieren.
Paul, der derweil vor der Tür wartete, wurde hereingerufen. Er war hochrot im Gesicht und ließ die mühsam aufgebaute Wohlfühlatmosphäre mit einem Satz platzen: „Wann kann ich endlich Hormone nehmen?“ Der Berater sprach nun von der Frist, die Paul als Mann leben müsse, und von Gutachten.
„Das dauert bestimmt noch ein Jahr“. Nun schrie Paul: „Ich bin doch schon seit Monaten für alle Paul. Ich will einfach nur mein Leben als Mann leben.“ Dann setzte er hinterher: „Ich weiß schon, wo ich mir das Testosteron beschaffe.“
Natürlich verließen wir traumatisiert das Beratungszentrum. Paul erklärte uns noch am selben Tag, er werde sein Abitur als Mann machen – samt Namen auf dem Zeugnis. Mit der Schule habe er schon gesprochen, die Oberstufenkoordinatorin sei einverstanden. Er solle sich keine Sorgen machen.
Sophie gehen lassen, um Paul zu akzeptieren
Auch das machte mich fassungslos. Er war minderjährig. Und das Zeugnis ein Dokument – das nicht mit der Geburtsurkunde übereinstimmte. An der Schule hielt es niemand für nötig, die Eltern einzubeziehen. Paul wiederum verbat sich jegliche Einmischung.
Inzwischen ging er wieder zur Schule. Alle nannten ihn Paul, auch die alten Lehrer, die ihn noch als Sophie kannten. Einige schafften nicht, die richtigen Personalpronomen zu verwenden, Paul spürte aber ihr Entgegenkommen und sah darüber hinweg. Seine Noten waren exzellent. Als wir wieder mal über den Namen auf dem Abizeugnis stritten, erklärte er: Die guten Noten – die habe Paul erreicht, nicht Sophie.
Ich hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Langsam begriffen wir als Familie: Da ist nichts mehr zu machen. Pauls Entschluss, als Mann zu leben, ist unerschütterlich und alles andere als leichtfertig getroffen. Es ist sein innerstes Bedürfnis, seine gefundene Identität mit allen Konsequenzen auszuleben. Wir würden Sophie gehen lassen müssen, um Paul zu akzeptieren, ihn zu lieben und zu unterstützen. Wir hatten eingesehen, dass alles andere uns unglücklich macht.
Damit begann die Zeit, in der wir als Familie unseren Frieden fanden. Besonders hilfreich waren die Geschwister. Die kleine, die von der depressiven großen Schwester so lange arg gequält wurde. Es gab Zeiten, da bekam sie von Sophie nicht viel mehr als „halt die Fresse“ zu hören. Nun hatte sie großes Verständnis. „Du musst Paul sagen“, belehrte sie mich stets, weil ich so lange brauchte, bis mir das richtige gendern leicht über die Lippen kam.
Paul will Staatsanwalt werden
Die Zwillingsschwester Anne nahm ihn ohnehin immer in Schutz, wenn es nötig war. Sie war total glücklich, dass Paul nach dem schulischen Sabbat-Jahr wieder mit ihr in einer Stufe war. Auf der Abifeier beim Gruppenfoto stellte sie sich mit Kleid und goldenen High Heels zu den Mädchen. Paul trug einen Anzug und schob sich zwischen riesige Jungs.
Mit der Zeit arrangierten wir uns alle. Paul schrieb einen Brief an Großeltern, Onkeln und Paten, indem er seine Situation erklärte. Wir Eltern bekamen daraufhin eine Menge Anrufe. Was das Kind alles durchgemacht habe, sagten sie. Und das sie ihn unterstützen wollen. Sie versuchten alle sofort, ihn richtig zu gendern. Ich weiß bis heute nicht, was in dem Brief stand, aber er muss gut gewesen sein.
Seit diesem Outing geht es Paul viel besser – allerdings nimmt er weiterhin Psychopharmaka. Wie als kleines Kind redet er alle in Grund und Boden. Er studiert begeistert Jura, will Staatsanwalt werden. Er hegt jede Menge Zukunftspläne, legt sich auf Kriminologie als Schwerpunkt fest, spricht von einem Aufbaustudiengang Psychologie und einem internationalen Abschluss in den USA.
Anne hat sich Pharmazie ausgesucht – ein Studium mit langen Tagen im Labor. Als wäre es nie anders gewesen, leben die Zwillinge ihr Studentenleben. Paul nimmt Testosteron. Ab und zu muss er sich rasieren. Der Stimmbruch ist schon längst vorbei, Kellner sprechen ihn mit „junger Mann“ an.
Uni verweigert ihm den Namen
Doch nun beginnt das Spießrutenlaufen, das ihn juristisch zum Mann machen soll. Hin und her geht es zwischen Gutachtern, Richtern, Amts- und MDK-Ärzten (medizinischer Dienst der Krankenkassen). Sachbearbeiter und Beamte bestellen ihn ein und setzen Fristen, die Paul gar nicht einhalten kann, weil die Bescheide im Berliner Behördenchaos wochenlang liegenbleiben, bevor sie in der Post landen.
Die Universität verweigert den Namen Paul – nicht nur auf dem Studentenausweis und dem Semesterticket, sondern auch zu Beginn einer jeden Klausur, bei der jeder Studierende namentlich aufgerufen wird. Er schreibt die Klausuren zusammen mit behinderten Studenten, die nicht diskriminiert werden dürfen, separat. Er beschwert sich beim Studentenwerk und beim Dekan. Er lässt sich beraten. Nichts hilft.
Mehrmals muss er zum Amtsgericht. Immer wieder zum Psychologen. Jedes Mal muss er versichern, wie ernst es ihm sei. Immer wenn ich ihn treffe, ist er voller Aufregung, weil er auf irgendwelche Bewilligungen, Gutachten, Bescheide wartet. Die Therapeutin fühlt sich überfordert, Paul muss sich einen neuen Zweitgutachter suchen. Das kostet Zeit – und Geld. Das Amtsgericht meldet sich, bestellt ihn ein, so verlangt es das Gesetz. Wie schon so oft zuvor muss er sich erklären.
Zunächst sagt er bei diesen Anhörungen die Wahrheit: „Ich weiß doch nicht, was in 30 Jahren ist. Aber jetzt ist es richtig“. Doch das Transsexuellen-Gesetz verlangt, es müsse „mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird“. Eine MDK-Ärztin, die entscheiden soll, ob geschlechtsangleichende Behandlungen von der Krankenkasse finanziert werden, ist sich daraufhin nicht sicher.
Sie lädt ihn zu einer weiteren Befragung ein. Diesmal antwortete er, er sei sich zu 100 Prozent sicher, dass er immer ein Mann bleiben wolle. Und ja, er wolle alle Operationen, die möglich sind. „Die wollen das hören“, sagt er später zu mir. „Also habe ich ihr den Gefallen getan“.
Transgender hat es immer gegeben
Seine Wangen färben sich rot bei dem Gespräch. Ich sehe sein rundes Kindergesicht vor mir, aus dem ich immer herauslesen konnte, wann Sophie log.
Als ob es so einfach wäre: homosexuell oder hetero, Frau oder Mann. Die Übergänge sind fließend, es gibt Transgender, die die soziale Geschlechterrolle wechseln, ohne auf geschlechtsangleichende Maßnahmen zu bestehen.
Andere wiederum lassen sich Testosteron spritzen oder Östrogen, ihnen werden Brüste wegoperiert oder kompliziert aufgebaut, es gibt Transmänner, die sich aus Hautlappen, Gewebe und Adern des Unterarms einen funktionsfähigen Penis kreieren lassen und andere, denen es reicht, Männerkleider zu tragen oder einen Kurzhaarschnitt.
Transgender hat es immer gegeben. Das bekannteste Vorbild ist wohl Jeanne d’Arc, die die Weigerung, auf Männerkleidung zu verzichten, mit dem Tod bezahlte. Inzwischen werden Transgender immer öfter von der Gesellschaft akzeptiert, jüngst etwa die Managerin Sarah Ungar, die vor zwölf Jahren als Herr Ungar beim Essener Thyssen-Krupp-Konzern ihre Karriere startete.
2016 – Sarah Ungar leitete inzwischen die Personalabteilung einer Konzerntochter – traf sie die Entscheidung, nur noch als Frau aufzutreten. Doch das ist nicht die Norm: Nach wie vor schaffen es Transgender häufig nicht, bürgerlich zu leben. Kleinkunst, Rotlicht, Prostitution; sehr bunt und oft auch sehr prekär bleibt ihr Alltag.
In anderen Ländern brauchen Transgender keine Gutachten
Doch Paul will einen ordentlichen Beruf in soliden Verhältnissen – und zwar als Mann, juristisch wie auch äußerlich. Es ist seine Identität, und das fühlt sich für ihn normal an. In der Rechtspraxis ist dies aber ein medizinisch behandlungsbedürftiger Zustand – so, als handele es sich um eine Krankheit.
Es ist nach wie vor so: Wollen Transgender eine gesetzliche Legitimation zur offiziellen Geschlechtsumwandlung, müssen sie die Krankheit, die sich nicht als solche empfinden, beweisen, und zwar mit zwei voneinander unabhängigen Gutachten. „Geschlechter-TÜV“ nennen Kritiker diese Praxis.
Damit dürfte es wohl bald vorbei sein: Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Transsexualität keine psychische Störung mehr, die in die „Internationale Klassifikation von Krankheiten“ einsortiert wird. Und wer nicht krank ist, braucht keine Gutachten.
Andere Länder haben ihre Gesetze inzwischen entsprechend geändert. In Luxemburg brauchen Betroffene weder Gutachten noch ärztliche Atteste oder medizinische Eingriffe, wenn sie ihr Geschlecht ändern möchten. Ein Antrag beim Justizministerium reicht aus. Ähnlich liberal ist das Gesetz in Norwegen. Und auch in Malta, Dänemark, Portugal, Belgien und Irland werden Transgender nicht mehr zwangsweise pathologisiert. Positiv gesehen ist wenigstens etwas im Fluss. Dem wird sich auch Deutschland nicht entziehen können.
Paul ist wieder fröhlich, optimistisch, ehrgeizig
Paul jedenfalls hat den Kampf mit Behörden, Ärzten und Institutionen überstanden. Irgendwann flatterten tatsächlich die Bescheide ein, er konnte zum Amt, den alten Personalausweis abgeben und einen neuen beantragen. Das schluckte nun auch die Univerwaltung. Pass, Studentenausweis, Semesterticket, Kranken- und EC-Karte: Er ist jetzt Paul, und zwar ganz offiziell. Auch wenn er hierzulande – und das mit vielen Gutachter-Stempeln – als psychisch krank gilt und, was wiederum die Berufswahl des angehenden Juristen einschränken könnte. Etwa als Beamter.
Wir als Familie sind nun aber froh, die Krise erst mal überstanden zu haben. Das Thema Transgender ist abgehakt. Paul ist wieder fröhlich, optimistisch, ehrgeizig – und in allen wichtigen Dokumenten richtig gegendert.
Die Frage nach Pauls Identität überschattet nicht mehr seine Zukunftspläne. Er will nun nach München, die Humboldt-Uni habe, sagt er, den falschen Schwerpunkt. Und danach an eine gute Uni in den USA.
Über diese Dinge geht es nun, wenn wir uns als Familie treffen. Wir lachen über Kommilitonen, erzählen von unseren Jobs, wir freuen uns, dass die Jüngste so schön Querflöte spielt und die Zwillingsschwester von ihrem Pharmazie-Studium in Beschlag genommen wird. Ganz normal leben wir im Hier und Jetzt mit Paul. Das Mädchen Sophie ist natürlich ein Teil davon.
(Die Autorin arbeitet als Journalistin in Berlin. Die Namen der Zwillinge sind geändert)